Experiment „Erzählcafé“ geglückt
Moderatorin Anja Gild. Foto: MZ
1. Erzählcafé in Holzkirchen
Das ZAMMA-Festival in Holzkirchen war ein willkommener Anlass, um einen schon lange gehegten Wunsch umzusetzen: ein Erzählcafé als Dialog der Generationen zu installieren, bei dem erzählt, zugehört und reflektiert wird.
Das Kooperationsprojekt von KulturVision mit Kultur Valley und dem Bistro im KULTUR im Oberbräu ging voll auf: Es kamen mehr Gäste als erwartet, gerade so viele, dass jeder, der erzählen wollte, auch Raum und Zeit dafür bekam.
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Moderatorin Anja Gild, Expertin für Story Telling aus Valley hatte gerade ein Internationales Symposium zum Thema ausgerichtet. Sie erklärte den Zweck des Formats. „Wir wünschen uns eure biografischen Erzählungen, keine Diskussionen, es geht nicht um Fakten.“ Aber es gehe auch um Zuhören, was wohl langsam verlorengehe, und es gehe um Reflexion, was die Geschichten bei einem selbst machen.
Organisatorinnen Monika Ziegler und Anja Gild. Foto: Becky Köhl
Dazu hatten die beiden Organisatorinnen Impulse mitgebracht, aus welchen Bereichen die Geschichten kommen könnten, etwa Familie, Schule, Beruf, Beziehung, usw. Zum anderen aber auch Kategorien, wie Vertrauen, Mitgefühl, Verbundenheit, Abschied, usw.
Gesprächskultur entwickeln
„Wir wollen wieder Gesprächskultur entwickeln“, sagte Anja Gild und eröffnete die erste Runde: „Erinnere dich an einen Moment in deinem Leben, als eine andere Generation dir oder einem anderen Menschen gegenüber verletzend oder ungerecht war und nicht wertschätzend gedacht, gesprochen oder gehandelt hat.“
Die Impulse waren gar nicht nötig, die Geschichten warteten nur darauf, erzählt zu werden. Foto: MZ
Die Geschichten sprudelten. Ungerechtigkeit und Unverständnis von Älteren gegenüber von Kindern, letztlich aber aufgrund von Einsamkeit, Ausgrenzung von Migrantenkindern, fehlende Anerkennung gegenüber ausländischen Zertifikaten, Diskriminierung aufgrund unmodischer Kleidung. Das Publikum von 10 bis Mitte 80 öffnete sich und erzählte eigene Erfahrungen, die zum Teil Jahrzehnte zurücklagen und sich tief eingebrannt hatten.
1. Erzählrunde. Foto: MZ
Anja Gild verstand es, aus jeder Geschichte den Kern zusammenzufassen. In der Resonanzrunde wurde klar, wieviel Verantwortung jeder Einzelne dafür hat, wie es dem anderen geht und dass wir weg von einer wertenden und voreingenommenen Haltung kommen müssen.
Jede Geschichte ein Zündfunke
In der zweiten Runde ging es um positive Erfahrungen, die mit der anderen Generation gemacht wurden. Auch hier bedurfte es keiner langen Aufforderung, eine Geschichte diente als Zündfunke für die nächste. Gute Bewertungen und Verständnis von Lehrern, eine Erfahrung in Schweden wenige Jahre nach dem Krieg, als eine junge Pflegerin wieder mit ihrer Arbeit Sympathie für die Deutschen weckte. Die Weisheit und Liebe von Großeltern, die Respekt, Perspektivwechsel und auch Zurücknahme lehrten. Die Erzählung der Kriegsgeschichte vom Vater, die die Widersinnigkeit des Krieges zeigte.
2. Erzählrunde. Foto: MZ
Auch hier war die jeweilige Zusammenfassung der Moderatorin eine zusätzliche Hilfe. Ihre mitgebrachte Uhr, um eventuelle Ausuferungen zu stoppen, fand keine Anwendung. Alle Erzählenden fassten sich knapp, um auch anderen die Möglichkeit zu geben, ihre Geschichte in die Runde zu schicken.
Geschenk für das Erzählcafé
In einer letzten Runde forderte Anja Gild dazu auf, aufzuschreiben, was jeder dem Kreis mitgeben wolle, sozusagen ein Geschenk. Sie mischte die Texte und so konnte jeder ein Geschenk eines anderen verlesen. Es waren Wünsche für Gerechtigkeit, Freundlichkeit, Zuhören, Respekt, aber auch Danksagungen für die Offenheit und die berührenden Geschichten.
Dank und Wunsch eines Gastes. Foto: MZ
Und es war der Wunsch, dass das Erzählcafé keine einmalige Veranstaltung sein würde. Noch lange danach saßen die Gäste beieinander und machten sich bekannt, erzählten und ließen sich berühren von den Geschichten der anderen.