Endet das Flüchten niemals?
Saeid Ahmadi hat zweieinhalb Monate an seiner Skulptur „Verliere Deine Träume nicht / never stop dreaming“ im Atelier von TOBEL in Valley gearbeitet. Foto: IW
Mit einer „Stillen Auktion“ unterstützt die Olaf Gulbransson Gesellschaft e.V. Tegernsee Ukraineflüchtlinge, insbesondere den Bildhauer Saeid Ahmadi und die Künstlerin Sofiia Kozoriz. Die Versteigerung von Werken beider Kunstschaffenden endete im Rahmen eines Face-to-face Gespräches im Museum.
Bereits seit dem 27. Mai waren im Olaf Gulbransson Museum Tegernsee die beiden Skulpturen „Gefallener“ und „Verliere Deine Träume nicht“ von Saeid Ahmadi sowie das „Portrait einer Geflüchteten“ von Sofiia Kozoriz zu sehen. Die Idee von Michael Beck, Vorsitzender der Olaf Gulbransson Gesellschaft e.V. und Galerist, war diese: Interessenten sollten bis zum Face-to-Face Gespräch am 03. Juni auf die drei Kunstwerke bieten. Wer überboten wurde, war eingeladen, das Gebot zugunsten des Sozialfonds „Flüchtlingshilfe Ukraine“ abzugeben, darüber hinaus waren Spenden jederzeit willkommen.
Zeitzeugen berichten aus erster Hand
Das Thema des Face-to-Face Gespräches „Endet das Flüchten niemals?“ hätte nicht aktueller sein können. Michael Beck hatte drei Persönlichkeiten aufs Podium geladen, „Zeitzeugen, die aus erster Hand berichten können“ und aus unterschiedlichen Blickwinkeln und Erfahrungen zum Thema Flucht sprachen.
Horst Teltschik, langjähriger Chef der Münchner Sicherheitskonferenz und einst Vertrauter Bundeskanzler Helmut Kohls, war als Kind selbst von 1944 bis 1946 mit seiner Mutter und seinem Zwillingsbruder vor sowjetischen Truppen von Nordmähren bis Tegernsee auf der Flucht gewesen, während sich der erst 14-jährige große Bruder aus russischer Kriegsgefangenschaft quer durch Europa schlug, ebenso wie der Vater. Das Schicksal ließ die ganze Familie lebend am Tegernsee ankommen. Noch heute erinnert Teltschik sich lebhaft an seine Kindheitsalbträume.
Face-to-Face Gespräch mit Künstler Aljoscha aus Kiew, Ina Brock, Horst Teltschik, Michael Beck (v.l.). Foto: IW
Die Münchener Anwältin Ina Brock weiß aus ihrer eigenen, generationsübergreifenden Familiengeschichte, wie sich Entwurzelung anfühlt. Sie organisierte die Flucht einer Familie aus Kabul, um sie nach zwei Jahren Trennung und der Todesangst sicher wieder mit der nach Deutschland geflüchteten Tochter, der Aktivistin Zakia Mohammadi, zu vereinigen. Die Mitbegründerin des afghanischen Radsportteams musste aus der Ferne mit ansehen, wie ihre Freundinnen am Tag, als Kabul wieder an die Taliban fiel, ihre Diplomurkunden und Radtrikots verbrannten und sich in Burkas hüllten, während sie um ihr Leben bangten. Ihre in Kabul gebliebene Familie erhielt Morddrohungen. Zakia Mohammadi war ebenfalls im Museum und berichtete bewegt über die Wiedervereinigung.
Kunst statt Waffen
Schließlich sprach auf dem Podium der international renommierte Künstler Aljoscha aus Kiew, der seit vielen Jahren in Deutschland lebt und in der Ukraine bereits 2014 auf dem Maidan mit Kunstaktionen auf sich aufmerksam machte. Als bekennender Pazifist entschloss er sich, gemeinsam mit seiner Frau die gefährliche Reise durch vermintes Gelände in die Ukraine zu machen – und Kunst zu bringen statt Waffen. In Schulen, Internaten und Seniorenheimen installierte er luftig schwebende Objekte – um den Menschen etwas zu geben, die grundsätzlich vergessen werden und doch Enormes leisten: Lehrerinnen, Krankenschwestern, Pflegende, Küchenhilfen.
Saeid Ahmadis Holzskulptur „Gefallener“ sucht noch einen Käufer. Foto: IW
Das Face-to-Face-Gespräch mit der spontanen „Stillen Auktion“ zu verbinden, war Michael Beck ein wichtiges Anlegen. Über die Flucht zu sprechen sei das eine, das andere, etwas Konkretes zu tun. Auf Saeid Ahmadi war der Galerist aufmerksam geworden, als KulturVision den Spendenaufruf für den iranisch stämmigen Bildhauer aus Charkiw startete. Er konnte nach Kriegsbeginn mit seiner Familie nach Valley flüchten. Dort hatte er bereits im Jahr 2016 am Internationalen Bildhauersymposium von Kunstdünger teilgenommen, wo seine Holzfigur „Gloria“, das Mädchen mit den Friedenstauben, entstand, die auch beim Menschenrechtsfestival in Holzkirchen ausgestellt war.
Lesetipp: Spendenaufruf für Bildhauer aus der Ukraine
Sofiia Kozoriz und ihr „Porträt einer Geflüchteten“. Foto: IW
Die erst 19-jährige Kunststudentin Sofiia Kozoriz war gemeinsam mit ihrer Mutter aus der Ukraine geflüchtet und zunächst im Pop-up Hotel in Kreuth untergekommen. Mittlerweile leben die beiden Frauen bei einer Gastfamilie in Tegernsee. Sofiia setzt ihr Studium derzeit online fort, Arbeit fand sie zudem in der Kinderbetreuung des Hotels. Die Begegnung mit Künstlerin Suse Kohler in Kreuth beflügelte Sofiia: Für das Bild „Porträt einer Geflüchteten“ konnte sie deren Atelier und Materialfundus nutzen.
Erfolgreiche Aktion
Saeid Ahmadis Skulptur „Verliere Deine Träume nicht / never stop dreaming“ konnte für 6.000 Euro versteigert werden, das „Porträt einer Geflüchteten“ von Sofiia Kozoriz für 850 Euro. Der „Gefallene“ darf noch eine Weile im Olaf Gulbransson Museum stehen und die Besucher an den Krieg mahnen. „Vielleicht findet sich auf dem Wege noch ein Käufer“, so Michael Beck. Eine Summe von mehr als 3.000 Euro ist zudem aus den Geboten sowie direkten Spenden zusammengekommen, die dem Tegernseer Helferkreis für Integration übergeben werden konnte. Weitere Spenden gehen noch ein.
„Wie kann Kunst Hoffnung bringen?“, war die Frage, die Michael Beck eingangs in den Raum stellte. Die „Stille Auktion“ der drei Kunstwerke sei eine spontane Idee gewesen, gezielt mit Kunst zu helfen. „Den hier Ankommenden einen neuen Lebenssinn zu geben, Geld zu geben für einen Neuanfang und etwas Hoffnung einzustreuen.“