Faktencheck wichtiger denn je
Faktencheck: Facts or Fake?. Foto: MZ
Online-Diskussion bei acatech am Dienstag
Wie ein wirksamer Kampf gegen Lügen und Falschmeldungen im Netz aussehen kann, darüber diskutierten Experten von Faktencheck bei acatech am Dienstag. Angesichts der weltpolitischen Situation gewinnt das Thema an Brisanz.
Mittlerweile gehören sie zum festen Bestandteil jeder mittleren und größeren Redaktion im Print- und Rundfunkbereich: die „Faktenchecker“. Sie prüfen Nachrichten oder Gerüchte, die in den Social Media ihre Runde machen, auf ihren Wahrheitsgehalt und auf ihre wissenschaftliche Evidenz. Und sie prüfen die Vertrauenswürdigkeit der Quellen. Expertinnen und Experten diskutierten bei acatech am 22. Februar unter anderem darüber, bei welchen Sachverhalten eine Faktenprüfung überhaupt möglich ist, wie sich „Fake News“ zum Beispiel mithilfe von algorithmischen Suchfiltern identifizieren und unterbinden lassen und was diese Automatisierung für Konsequenzen hätte.
Brisanz von Falschinformationen
acatech Präsident Jan Wörner begrüßte und gab zum Einstieg ins Thema Beispiele zu Fake News aus Vergangenheit und Gegenwart. acatech Mitglied Peter Weingart, langjähriger Leiter der Akademienprojekte zum Verhältnis von Wissenschaft, Öffentlichkeit und Medien sowie der Implikationen der Digitalisierung für die Qualität der Wissenschaftskommunikation, bekräftigte, dass die Corona-Pandemie, genauso wie auch schon die Berichterstattung rund um die US-amerikanischen Wahlen, gezeigt hätten, welche Brisanz Falschinformationen in digitalen Medien entfalten können. Corona habe nochmal explizit die Gefahren, die von Falschmeldungen für den Bereich der Wissenschaftskommunikation ausgehen, aufgezeigt.
acatech Mitglied Peter Weingart (Universität Bielefeld), Jan-Hendrik Passoth (Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder), Uschi Jonas (CORRECTIV.Faktencheck-Team), und Moderator Holger Wormer (TU Dortmund) [im Uhrzeigersinn] bei acatech am Dienstag zum Thema „Faktencheck – wirksamer Kampf gegen Lügen und Falschmeldungen im Netz?“. Foto acatech
Uschi Jonas, Redakteurin im CORRECTIV.Faktencheck-Team, erklärte zu Beginn ihres Vortrags, dass der Begriff „Fake News“ inzwischen selbst zu einem politischen Instrument geworden sei und zudem häufig falsch verwendet würde – unter anderem, um Medien zu diskreditieren. Stattdessen würde sie selbst einen Begriff wie „Desinformation“ bevorzugen, wenn eine Information falsch ist, oder eine falsche Information gezielt verbreitet wird, um damit bewusst irrezuführen. Die Ziele der Menschen, die solche Desinformationen verbreiten, seien meist politisch oder wirtschaftlich motiviert, sagte Uschi Jonas weiter. Falschinformationen könnten Angst und Hass schüren, sogar Menschenleben kosten.
Desinformation durch Corona verstärkt
Desinformation sei indes kein neues Problem, aber erst durch die Corona-Pandemie sei der Umfang des Problems sichtbar geworden. Die Flut an Falschmeldungen sei seit Anfang 2020 immens gestiegen, die WHO spreche in diesem Zusammenhang sogar von einer „Infodemie“, sagte Uschi Jonas. CORRECTIV habe es sich zur Aufgabe gemacht, Fotos, Videos und Textbeiträge in Online- und Printmedien zu prüfen und nach einer Bewertungsskala in „richtig“, „teilweise falsch“ und „frei erfunden“ zu klassifizieren.
Jan-Hendrik Passoth, Professor für Techniksoziologie an der European New School of Digital Studies der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder), stellte in seinem Impulsvortrag heraus, dass die Hoffnungen darauf, dass Fakt Checking im Netz in naher Zukunft automatisiert oder teil-automatisiert werden könnte, verfrüht sind. Dafür sind zum einen Technologien der Text-, Bild-, Ton- oder Videoverarbeitung nicht in der Lage, selbst wenn innovative Verfahren maschinellen Lernens genutzt werden.
Faktencheck mit automatisierten Werkzeugen
Zum anderen geht es beim Fact Checking um Einordnung, Kontextualisierung und Quellenprüfung – allesamt Aktivitäten, die in den letzten Jahrzehnten durch Digitalisierung, aber auch durch Veränderungen der Wissensproduktion anspruchsvoller geworden sind. Diese Veränderungen sind Fluch und Segen zugleich: die Zunahme der Akteure in der Wissensproduktion und in der Offenlegung der Prozesse der Wissensproduktion bei gleichzeitiger Zunahme von Publikationen, Daten und Modellierungen machen den Umgang mit Wissen einerseits anspruchsvoller. Andererseits sind diese Entwicklungen aber auch der Schlüssel zu mehr Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Werkzeuge der automatisierten oder teil-automatisierten Text-, Bild-, Ton- oder Videoverarbeitung können hier helfen – aber vorerst nur dann, wenn sie Werkzeuge in den Händen kompetenter und an Einordnung interessierter Fact Checker sind.
Befähigung zu selbständigen Überprüfung
In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum, durch die Moderator Holger Wormer vom Lehrstuhl für Wissenschaftsjournalismus von der TU Dortmund führte, wurde vor allem das verlorengegangene Vertrauen in klassische staatliche Institutionen, aber auch die Medien allgemein thematisiert und es ging um die Neudefinition von Expertise und Gegenexpertise. Das Podium plädierte dafür, nicht einem Vertrauensverlust hinterher zu trauern oder unnötige Energie in Kampagnen zur Wiederherstellung dieses Vertrauens zu stecken. Vielmehr sei mit einem Aufzeigen der dahinterstehenden arbeitsintensiven Methoden (wie z.B. der Peer-Review-Prozesse in wissenschaftlichen Fachcommunities) und dem gezielten, aber auch breiten Fördern von Quellenbewertungskompetenz eine Befähigung zur selbstständigen und reflektierten Plausibilitätsprüfung möglich. Es müsse in vermehrtem Maße die Kompetenz vermittelt werden, selbstkritisch zwischen einfachen und komplexen Narrativen und auch zwischen stark perspektivischem (Leitfrage: Wer und mit welchem Interesse erzählt hier seine Deutungen einer Gegebenheit?) und „faktischem“ Wissen (Leitfrage: Was kann durch Bildmaterial, vertrauensvolle Quellen usw. belegt werden?) zu unterscheiden.
Zum Weiterlesen: Corona in den Medien