Annäherung an die Natur
Natur im Gelände der Stiftung Nantesbuch. Foto: Franz Kimmel
Festival in Bad Heilbrunn
Was macht die Natur mit den Menschen? Was machen die Menschen mit der Natur? Beim alljährlichen „Moosbrand“ Festival der Stiftung Nantesbuch in Bad Heilbrunn haben sich großartige Künstler, Musiker und Schauspieler mit diesen Fragen beschäftigt und Antworten darauf in der Literatur von der Romantik bis in die Gegenwart gesucht.
Natur zu bestimmen, sie als Lebensraum wahrzunehmen, in der Kunst zu reflektieren, sie zu gestalten und allzu oft auch zu zerstören, damit beschäftigen sich die Menschen von Beginn an. Die Auseinandersetzung damit ist unendlich vielschichtig vom romantischen „Einssein mit der Natur“ bis zum verhängnisvollen „Macht euch die Erde untertan“. Und allzu oft vergessen wir in unserem Allmachtsanspruch, dass auch die Natur unser Leben bestimmt und uns Grenzen setzt. – Dieser Interaktion widmete die Stiftung Nantesbuch ihr diesjähriges, zum vierten Mal stattfindendes Herbstfestival „Moosbrand“ (18.-20. September).
Auf die Corona-Problematik hatte die Stiftung, die über ein reichliches Budget verfügt, eine interessante Antwort gefunden: Wer nicht zu den 50 Teilnehmern gehörte, die Tickets ergattert hatten und im Saal mit den gebotenen Abständen den Lesungen und Konzerten lauschen durften, konnte einen Kopfhörer ausleihen und die Veranstaltungen über einen „Landschaftsfunk“ im Liegestuhl vor dem Tagungszentrum oder auf Spaziergängen durch die Moorwiesen rundum verfolgen. Bei strahlendem Herbstwetter fanden einige der hochkarätigen Vorträge aber ohnehin auf Freilichtbühnen ohne Zuschauerbeschränkung statt.
Vertonte Liebes-Lyrik
Den Anfang machten am Freitagabend die Schauspieler Ulrich Noethen und Marie-Lou Sellem, die an verschiedenen Spielorten rund um das Haus sechs Gedichte aus dem Zyklus „La Comédie de la mort“ von Théophile Gautier auf Deutsch und Französisch vortrugen – allesamt der Liebe und damit der wichtigsten Triebfeder menschlicher Natur gewidmet. Zu später Stunde gab es dieselben Gedichte noch einmal als Konzert in der Vertonung von Hector Berlioz (Sopran: Vera Icanović).
Ulrich Noethen und Marie-Lou Sellem lesen Liebesgedichte im letzten Abendlicht. Foto: Philipp Zentgraf
Der Samstagnachmittag führte das Thema in drei Lesungen weiter: Thomas M. Peters präsentierte den Roman „Pfaueninsel“ von Thomas Hettche, in dem die Landschaftsgestaltung der Havel-Insel in Berlin eine entscheidende Rolle spielt. Christoph Luser entführte die Zuhörer mit Auszügen aus dem Roman „Das Ministerium der Gärten und Teiche“ von Didier Decoin in das Japan des 12. Jahrhunderts. Lena Stolze las Gedichte von Annette von Droste-Hülshoff, und Juliane Köhler ließ die Dichterin dazu in Auszügen aus Karen Duves Roman „Fräulein Nettes kurzer Sommer“ auferstehen. Sensible musikalische Antworten auf die Texte gab es zu allen drei Lesungen vom Boulanger Trio mit Violine, Cello und Klavier.
Kritisches zum Thema Heimat
Einen interessanten Kontrast dazu schuf am Abend August Diehl mit seiner Lesung aus dem Roman „Auslöschung“ von Thomas Bernhard, der in diesem letzten großen Werk sein gebrochenes Verhältnis zur Heimat dokumentiert. Ergänzend dazu gab es Auszüge aus der dazu passenden filmischen Erzählung „Der Italiener“ von Ferry Radax.
Norbert Scheuer präsentiert auf der Naturbühne seinen Roman „Winterbienen“
Foto: Marc Tügel
Prominenter Gast in der Sonntags-Matinee war Norbert Scheuer, der aus dem Bestseller-Roman „Winterbienen“ las und im Gespräch mit Festival-Kurator Hans von Trotha über seine Heimat in der Eifel und die Recherchen zu dem Roman berichtete.
Zum Abschluss kam noch einmal der großartige Schauspieler Ulrich Noethen zu Wort, der auf einer kleinen Naturbühne in schönster Herbstlandschaft den dramatischen Text „Paradise lost“ von John Milton (1667) rezitierte, musikalisch untermalt vom Duo Aliada mit Klarinette und Akkordeon. Die breit ausgemalte Parabel über das Bibelmotiv der Vertreibung aus dem Paradies und der Schuld des Menschen daran entließ die Teilnehmer nachdenklich aus der hervorragend organisierten und kuratierten Veranstaltung.
Lesetipp: Dinner mit Risiko