Der Samen wartet auf günstige Bedingungen
André Stern besuchte nie eine Schule und ist heute Gitarrenbauer. Foto: Pandora Film
Filmmatinee in der Reihe Anders wachsen in Holzkirchen
Er hat nichts von seiner Dringlichkeit verloren, der Film „Alphabet“ von Erwin Wagenhofer. Mit ihm startete die neue Kooperation von „Anders wachsen“ mit dem FoolsKINO in Holzkirchen. Eine lebhafte Diskussion im Anschluss zeigt, wie wichtig das Thema Bildung ist.
Nach „We feed the world“ und “Lets make money” ist “Alphabet” der dritte zeitkritische Film des Österreichers Erwin Wagenhofer, der vor fünf Jahren in die Kinos kam. Bildung sei das Schlüsselwort zur falschen Entwicklung in der Welt, meinte Pastoralreferent Christof Langer zur Begrüßung im FoolsKINO.
Christof Langer, Pastoralreferent beim KBW Miesbach und Tom Modlinger, Betreiber des FoolsKINOs. Foto: Petra Kurbjuhn
Eindrücklich zeigt Erwin Wagenhofer an seinen ruhigen Bildern und Gesprächen, wie Leistungsdruck und Konkurrenzdenken der Natur des Kindes widersprechen. Die Bilder der Kinder in China, die enormem Druck von Schule und Eltern ausgesetzt sind, prägen sich ein. Da ist ein preisgekrönter Junge, der vor Erschöpfung einschläft. Ein Pekinger Professor spricht sogar von hoher Selbstmordrate unter den Jugendlichen. Aber Andreas Schleicher, der PISA entwickelte, sieht China als Vorbild.
Neurobiologiker Gerald Hüther. Foto: Pandora Film
Der Neurobiologe Gerald Hüther, der mit seinem Hund spazieren geht, hat eine Erklärung für dieses System. Unsere Geschichte sei voller Kriege, Elend und Vertreibung. Die dadurch entstehenden Ängste würden von Generation zu Generation weitergegeben. Zudem brauchen Wirtschaft und Staat funktionierende, abgerichtete Menschen.
Topmanager wie aufgezogene Barbiepuppen
Diesen begegnet Wagenhofer bei McKinsey. Topmanager, wie aufgezogene Barbiepuppen, alle gleich gekleidet, verkünden ihre Lebensziele, die nur etwas mit Leistung zu tun haben. Was aber braucht es in unserer Zeit? Der Bildungsexperte Ken Robinson spricht es aus: unangepasstes Denken und Kreativität.
Allerdings wird dies, so zeigt eine Studie, im Laufe des Lebens immer weniger. Bei Drei- bis Fünfjährigen sind es 98 Prozent, bei 13 – 15-Jährigen sind es 10 Prozent und bei Erwachsenen sind es jämmerliche zwei Prozent, die mit unangepasstem Denken punkten. Und warum? Weil Kinder unterrichtet, also gerichtet werden, sagt Hüther. Kinder aber sind spontan, lieben ihre Freiheit.
Arno Stern und seine Malschule. Foto: Petra Kurbjuhn
Diese können sie bei Arno Stern in der Malschule ausleben. Da wird keiner beurteilt, da gibt es keine Konkurrenz, keiner muss etwas produzieren, sondern sie dürfen spielen und aktiv sein. Arno Stern lädt seit über 60 Jahren Kinder zum freien Malen ein. Er sagt: „Kinder sind genial, wenn sie dürfen.“ Aber die Gesellschaft brauche den untertänigen Menschen, den unzufriedenen, der sich in Konsum flüchtet. Es sei jammerhaft zu sehen, wie Kinder in der Schule überlastet sind und nur noch überlegen, was von ihnen erwartet wird.
„Die Schule nimmt mir die Kindheit“
Yakamoz Karakurt ist eine solche Schülerin aus Hamburg, die 2011 in einem offenen Brief in der ZEIT das System anklagte, davon spricht, dass sie unter permanenten Stress steht, zu wenig Schlaf hat. „Die Schule nimmt mir die Kindheit“, sagt sie.
Ehemaliger Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger. Foto: Petra Kurbjuhn
Thomas Sattelberger, bis 2012 Personalvorstand bei der Telekom, hat das erkannt. Die Verkürzung des Lebens auf die Ökonomie trage die Schuld an den beiden Krisen, die erste sei die Klimakrise und die zweite sei die Krise, was die menschlichen Ressourcen anbelange. Reformen, so sagt er, nützen nichts, das Bildungssystem müsse zertrümmert werden.
Studie mit Kleinkindern. Foto: Petra Kurbjuhn
Der Film zeigt eine beeindruckende Studie, die an Säuglingen durchgeführt wurde. Sechs Monate alte Kinder greifen automatisch nach einer Figur, die vorher eine andere unterstützt hat, nicht aber nach einer, die behindert hat. Mit einem Jahr aber gibt es schon Kinder, die nach dem Störer fassen.
Wieso hat es die Evolution vom Einzeller zum Vielzeller geschafft, fragt Gerald Hüther. Durch Kooperation. Der spanische Pädagoge Pablo Pineda drückt es klar aus: Das herrschende Schulsystem sei durch Konkurrenz und Auslese geprägt, letztlich also durch Angst. Er, der mit dem Down-Syndrom zur Welt kam, setzt das Konzept der Liebe entgegen.
Statt Regulierung Begeisterung
Dass ein Leben ohne Schule gelingen kann, zeigt André Stern, der nie eine Schule besuchte, mehrere Sprachen spricht und als Gitarrenbauer tätig ist. Nicht Regulierung, sondern Begeisterung sei immer seine Triebkraft gewesen. Und dafür habe er sich seine eigenen Regeln als Gerüst gegeben.
Zum Schluss kommt noch einmal Ken Robinson zu Wort, der das unerwartete Leben im Death Valley nach einem Regenschauer mit der Bildung vergleicht: Der im Boden vorhandene Samen wartet auf gute Bedingungen.
Im Anschluss an den Film leitete Christof Langer die Diskussion, in der der Wunsch nach Veränderung im Schulsystem hin zu Empathie und Kreativität klar ausgedrückt wurde.
Wer sich für das Thema Bildung interessiert:
Am 21. November um 19.30 Uhr lädt KulturVision e.V. zum Warngauer Dialog in den Altwirtsaal in Oberwarngau ein. „Ist unser Bildungssystem noch zukunftsfähig?“ diskutieren zwei Experten kontrovers.
Lust auf Weiterlesen?
- Dem Holzkirchner Malort widmeten wir einen Beitrag in der 28. Ausgabe der KulturBegegnungen:
- Erwin Wagenhofer inverwieten wir in der 22. Ausgabe der KulturBegegnungen
- Gerald Hüther schrieb den Titeltext „Begeisterung ist Dünger fürs Hirn“ der 16. Ausgabe der KulturBegegnungen