„Wer schwankt, hat mehr vom Weg“
Führten kundig durch den Filmabend: Filmemacher Tom Dauer (l.) und Bergfilm-Festival-Leiter Micki Pause. Foto: Volker Camehn
Filmabend in Miesbach
Einsamkeit in unwirtlichen Höhen? Panorama-Ausblick? Abenteuerlust? Weshalb es Menschen in die Berge zieht, sie mitunter gefährliche Touren wagen, so ganz ohne Not bei Nacht und Schnee – eine Antwort darauf blieb der Filmabend im Waitzinger Keller schuldig. Denn vielleicht ist es ja einfach nur ein Ringen um die eigene Wirklichkeit.
Also erstmal Gipfel gucken. „Das Beste aus Alpen Film Festival und Bergfilm-Festival Tegernsee“ (Ankündigung) gab’s am vergangenen Freitagabend im renommierten Miesbacher Kulturzentrum zu sehen, fünf Kurzfilme zwischen 15 und 30 Minuten Länge. Ausgesprochen unterschiedliche Werke, die Filmemacher Tom Dauer und Bergfilm-Festival-Leiter Micki Pause da vor vollem Haus präsentierten.
Volles Haus beim Bergfilmabend im Waitzinger Keller. Foto: Volker Camehn
Geboten wurde eine Mischung aus Spielfilm-Drama, Pseudo-Doku und Selbstfindungstrips. Da ist die Balkan-Tour per Fahrrad inklusive Gleitschirm-Impressionen („Connecting Flights“), Sinnsuchendes der Niederländerin Line van den Berg („My Phantom“), das schelmisch-satirische „Aufnahmen einer Wetterkamera“ oder „Eiger – Eine Geschichte des modernen Alpinismus“, bei der Bergläufer Philipp Reiter und Bergführer Martin Schidlowski auf den Pfaden der Eiger-Nordwand-Pioniere Toni Kurz und Anderl Hinterstoisser radeln. In „Neuzeit“ geht es schlussendlich um eine nicht ganz leichte Vater-Sohn-Beziehung (großartig: Simon Schwarz und Nils Hohenhövel).
Geschichten von Scheitern und Glück
So unterschiedlich diese Filme auch sind – allen ist gleich, dass die Berge bzw. ihre Begehung lediglich Ausgangspunkte sind für etwas Größeres, bei dem der Mensch sprichwörtlich klein und hilflos anmutet. Es sind nicht weniger (und nicht mehr) als vielfältige Beziehungsanalysen, Geschichten von Freundschaft und Abhängigkeiten, Teamgeist, Scheitern und Glück. Zwischen Steigeisen und Eispickel, Tourenrucksack und Stirnlampe: Der Weg ist hier nicht das Ziel, er ist immer und vor allem auch Ankommen und Neuorientierung. Sisyphus als glücklicher Grenzgänger.
Bergfilm-Leinwand: Ausgangspunkte für etwas Größeres. Foto: Volker Camehn
Das Ganze ist hier mitunter nicht ohne Witz, etwa wenn „Vater“ Simon Schwarz bei einer Rast die Schnapsflasche zückt und wanderphilosophisch erklärt: „Wer schwankt, hat mehr vom Weg.“ Ein Kalauer, klar, aber andererseits wird so jede Form der Zielerreichung aufs Charmanteste relativiert.
In diesen Kontexten weicht die Enttäuschung über das drohende Scheitern einer Mission (siehe „Eiger“) dem Glücksgefühl der Einsicht, es zumindest versucht zu haben. „Das Leben ist kalt aber schön“, heißt es etwa in „Connecting Flights“, selbst wenn „die Stimmung kalorientechnisch angespannt“ ist. Mehr Euphemismus im Höhenrausch geht eigentlich nicht.
Filmszene aus „My Phantom“: Bergsteigerin Line van den Berg. Foto: Volker Camehn
Und auch Tragik bliebt hier, jenseits der Kamera, nicht ausgeschlossen: Line van den Berg sollte nach Fertigstellung ihres Films bei einem Lawinenabgang tödlich verunglücken.
Seilschaften-Stau an der Eiger-Nordwand
Womit sich gerade bei den drei Dokumentarfilmen dieses Abends die Frage stellt: Wo bilden sie Geschehen ab, wo beginnt und endet die (Selbstinszenierung)? Über das Thema „Social Media“ spricht Bergläufer Philipp Reiter in „Eiger“ selbstkritisch, ohne das Paradoxon auflösen zu können: Seine Posts führten dazu, dass es auf der geplanten Route einen regelrechten Seilschaften-Stau gab und er seinen Aufstieg abbrechen musste. Die Inszenierung von Wirklichkeit verändert diese auch immer aufs Neue.
Das Spiel mit der Realität – nirgends wird es indes so hinterlistig inszeniert, wie in „Aufnahmen einer Wetterkamera“. Das Dokumentarische im scheinbar zufälligen Vorgeben, um nicht weniger als ein tragikomisches Kammerspiel zu entwickeln. Mehr Wirklichkeit geht vielleicht gar nicht.
Zum Weiterlesen: Seilschaften und große Menschheitsthemen