Wer bin ich und wer will ich sein?
Der junge Haris – Identitätssuche anhand einer persönlichen Geschichte. Foto: Thurn Film
Filmfestival in Miesbach
„Hier und dort“, der Eröffnungsfilm der Filmale Miesbach 2019, ging unter die Haut. Zugleich warf der Dokumentarfilm von Regisseurin Bettina Renner mit seiner Komplexität viele Fragen auf. Die Filmale findet alle 2 Jahre in Miesbach statt und ergänzt das Angebot von Kino in der Kirche.
Kameramann Roman Schlaack war von Dresden angereist, um im Gespräch mit Regisseur und Drehbuchautor Robert Krause Einblick auf das Geschehen hinter der Kamera zu geben. Wie macht man eigentlich einen Dokumentarfilm? Sind die Szenen gestellt oder passieren sie einfach? Wie gelingt es dem Filmteam, so nah an die Menschen heranzukommen, ohne zu sehr in deren Intimsphäre einzugreifen? In der Apostelkirche wurden am ersten Tag der Filmale Miesbach Fragen gestellt, die sich wahrscheinlich schon viele Menschen beim Ansehen von Dokumentarfilmen gefragt haben.
Aus Bosnien, in Dresden geboren
Der Protagonist des Filmes ist Haris, ein sechzehnjähriger Jugendlicher. „Ich bin aus Bosnien, in Dresden geboren“, sagt er über sich selbst. Seine Mutter war damals mit ihren zwei Kindern, Haris‘ Schwestern, dem Krieg in Bosnien entflohen. Haris kam in Dresden zur Welt. Sein Vater stammt aus Montenegro und hat eine permanente Aufenthaltsbewilligung. Da Haris Eltern nicht verheiratet sind, müssen er und seine Mutter immer wieder Anträge stellen, um in Deutschland bleiben zu dürfen. Über weite Strecken sogar alle drei Monate.
Wer bin ich und wer will ich sein?
Die Unsicherheit darüber, nicht zu wissen, ob er in Deutschland bleiben darf, trifft Haris in einer Lebensphase, die an sich schon von Unsicherheit geprägt ist. „Wer bin ich und wer will ich sein?“, das Motto der Filmale, spielt wohl im Alter von 16 Jahren eine bedeutende Rolle. Bettina Renner und ihr Filmteam zeigen Harris auf Streifzügen mit seinen Freunden, beim Fußball und Grillen am Fluss. Die Identifikation mit der Gruppe, die Wichtigkeit des nach außen Tragens der inneren Einstellung, auch wenn dafür eine halbe Stunde lang die Kurzhaarfrisur gestylt werden muss, transportiert der Film mit starken Bildern von Alltagsszenen.
„Hier und dort“ – ein Dokumentarfilm von der Suche nach Heimat. Foto: Thurn Film
Mit Feingefühl zeigt der 2018 am Münchner DOK.fest vorgestellte Film wie schon ein Jugendlicher mit verschiedenen Rollen zurechtkommen und sich in sie hineinfinden muss. Haris wechselt vom coolen Macker mit Freunden zum kleinen Bruder, fürsorglichen Sohn und Schüler, dessen Leistungen unter häufigem Fehlen leiden. Er muss nicht nur in seiner Familie, bei Freunden und in der Schule seinen Platz finden. Er bewegt sich auch zwischen den Werten und Botschaften verschiedener Kulturen.
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Zwischen zwei Kulturen
In einem Gespräch mit seiner älteren Schwester, das während eines Bosnien Besuchs gedreht wird, wird der Versuch Haris‘, auch seine bosnischen Wurzeln Teil seiner Persönlichkeit werden zu lassen, deutlich. Bei seinen konservativen Ansichten, wie eine bosnische Frau finden zu wollen, deren Erwerbstätigkeit mit dem Eintreffen des ersten Kindes enden würde, stellen sich die Nackenhaare der Schwester zu Berge. Ein konservatives Leben ohne die Errungenschaften der Frauenbewegung in Ländern wie Deutschland kann sie sich weder für sich noch für ihren Bruder vorstellen.
Kameramann Roman Schlaack im Publikumsgespräch mit Robert Krause (v.l.). Foto KS
Für die Filmale in Miesbach hat Kameramann Roman Schlaack samt seiner achtjährigen Tochter eine siebenstündige Zugfahrt in Kauf genommen. Im Gespräch mit Regisseur Robert Krause beschreibt er das notwendige Fingerspitzengefühl beim Drehen. Oft gehe es darum, einfach dazubleiben, auszuharren, weiterzudrehen, obwohl schon vieles gesagt worden sei. Keine der Szenen des Filmes sei gestellt. Sehr wohl würden aber Gesprächssituationen geschaffen, in denen vieles möglich sei.
Vielfältige Filmale Miesbach 2019
Roman Schlaack beschreibt eine sehr intuitive Arbeitsweise, die sich besonders beim Bosnien Besuch der Familie bezahlt machte. Bosnisch sprach das Filmteam nämlich nicht und verstand somit rein gar nichts während der Dreharbeiten und ermöglichte trotzdem besonders berührende Szenen. Ehrliche, innige Gespräche zwischen Mitgliedern der Familie hinterlassen einen nachhaltigen Eindruck des Versuches der Familie, trotz allem ein gutes Leben zu leben.