Florian Bachmeier: Fotografie 2013 bis 2022 in der Ukraine
Florian Bachmeier-Fotografie 2013-2022
Online-Ausstellung und Fotobuch
Acht Jahre lang reiste Florian Bachmeier in die Ukraine und fotografierte das Leben der Menschen. Daraus entstanden die virtuelle Ausstellung und das Buch IN LIMBO. Am Sonntag lud der Haushamer Fotograf, zugeschaltet aus Polen, zu einer Online-Führung ein.
Auch jetzt war Florian Bachmeier wieder in die Ukraine gereist. In der Nacht zum Sonntag gelang ihm die Flucht aus Lwiw nach Kattowitz in Polen. Er berichtete von dramatischen und chaotischen Situationen der Flüchtlinge, die die Grenze nach Polen erreichen wollen.
Seine Fotografien, die er 2013 bis 2022 in der Ukraine anfertigte und die derzeit in einer virtuellen Ausstellung zu sehen sind, erhalten durch den Angriffskrieg Russlands eine neue Dimension. Deshalb hatten Thomas Gust, Kurator der Ausstellung der Galerie Buchkunst Berlin in Zusammenarbeit mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. zu einer Online-Führung eingeladen. Man wolle gemeinsam auf das individuelle Leid der Menschen in der Ukraine, wie auch auf ihr Engagement für demokratische Wahlen und Reformen der vergangenen Jahre aufmerksam machen, hieß es in der Einladung.
In neuer Realität überleben
Aus Kiew zugeschaltet war die ukrainische Autorin Kateryna Mishchenko, die Texte zu den Fotos beigesteuert hatte. Sie berichtete mit berührenden Worten von der Angst und Hilfslosigkeit, in der sie sich befinden. „Wir müssen in einer neuen Realität überleben“, sagte sie und sie versuche für ihren kleinen Sohn ein Stück Normalität zu bewahren. „Wir wissen nicht, was von der Ukraine bleibt“, und „wir werden bestraft, weil wir kritisch über unsere Vergangenheit sprechen“, kommentierte sie die Situation.
Florian Bachmeier-Fotografie: Ukraine-2013–2021-ongoing
Die Bilder beschreiben die Lebenswelten und Landschaften dieser Region. Den Aufnahmen gelingt es, die historischen und gesellschaftlichen Prozesse bis in die Gegenwart sichtbar zu machen. Florian Bachmeiers Porträts zeichnen dabei auch die psychologischen und sozialen Auswirkungen von politischen Konflikten, militärischer Gewalt und vielfacher Umbrüche auf die Menschen nach. Der Titel „IN LIMBO“ bezieht sich auf den in der katholischen Theologie entsprechend bezeichneten äußersten Höllenkreis, in welchem sich diejenigen Seelen aufhalten, die ohne eigenes Verschulden aus dem Paradies ausgeschlossen worden sind.
Erfahrungen mit Gewalt
Moderiert von Thomas Gust führten Kateryna Mishchenko und Florian Bachmeier durch die virtuelle Ausstellung. Als Symbol für die neue Ukraine hat das Buch „IN LIMBO“ als Titelbild den Blick auf eine Wahlkabine einer demokratischen Wahl in der Ukraine.
Dann aber gibt es viele Fotografien von Gewalt und Massenprotesten in Kiew, insbesondere vom Majdanplatz. „Wir haben Erfahrungen mit Gewalt und wissen, wie wir unsere Stadt schützen müssen“, sagte Kateryna Mishchenko.
Getrennte Familien
Als Gegenentwurf zu den Bildern von den Massakern 2014 bezeichnete Florian Bachmeier ein Bild von alten Frauen in Donezk, die die Abspaltung von der Ukraine bejubelten. Bilder von Abschiedsszenen am Busbahnhof und am Flugplatz gewinnen einen besonderen Bezug zur Gegenwart, in der Familien getrennt werden.
Nach der Annexion der Krim durch Russland habe es kein Wasser gegeben, erzählte Florian Bachmeier, bedrückend ist das Foto der alten Frau, die mit Wasserbehältern vom Supermarkt in ihr Dorf geht.
Florian Bachmeier-Fotografie: War in Donbras
Thomas Gust betont, dass die Fotos große Empathie für die Menschen bezeugen, so auch das Bild des alten Mannes, einsam auf der Straße.
Florian Bachmeier hat in den acht Jahren das Leben in der Ukraine in vielen Facetten gezeichnet. Er zeigt militarisierte Kinder, die zu Kosaken ausgebildet werden, vormilitärische Ausbildung von Jugendlichen, er zeigt das Foto eines Flüchtlingsmädchens, das die Pumps seiner Mutter in der Hand hält und es zeigt die geflüchtete Schwangere mit zwei Kleinkindern.
Vielfalt der Kultur
Die Vielfalt der Kultur und der Völker in dem zweitgrößten Land Europas dokumentiert er mit Fotos von unterschiedlichen religiösen Gemeinschaften.
Dazwischen sind immer wieder Landschaftsbilder zu sehen, die eine heile Welt vorgaukeln, aber, wie Florian Bachmeier berichtet, ist es ein Minenfeld.
Mitleid nicht verlernen
„Wir dürfen unser Mitleid nicht verlernen“, fordert Thomas Gust die Teilnehmenden auf. Ein Foto einer mit einem Teppich zugedeckten Leiche vor Müllcontainern sowie Fotografien von Kindern, deren Mutter getötet wurde und die jetzt allein in einem angeschossenen Haus leben, berühren tief.
Aufmerksame Alltagsbeobachtungen
Florian Bachmeier fotografierte in den Städten, auf den Dörfern und an der Front. Aus dem inneren politischen Konflikt entwickelte sich in acht Jahren ein unbarmherziger Stellvertreterkrieg, der schon jetzt mehr als 13 000 Menschenleben gekostet hat und sich in all seinen Auswirkungen über das ganze Land legt. Die genauen und aufmerksamen Alltagsbeobachtungen erzählen aber auch von den verwickelten Nachwirkungen der (post-)sowjetischen und Weltkriegsgeschichte auf diese Gesellschaft, die zwischen Aufbrüchen und Stagnation oszilliert. Am Ende bleibt bei dieser Unsicherheit und fehlenden Perspektive nur die Entscheidung, sich entweder in diesem Zustand einzurichten oder das Land, die Heimat zu verlassen.
Ein Foto, das einen Weg in den Nebel zeigt, beendet den virtuellen Rundgang als Symbol für die Gegenwart. Florian Bachmeier sagt in Richtung Kateryna Mishchenko „Wir sehen uns bald wieder.“
Fotobuch FLORIAN BACHMEIER – IN LIMBO Herausgeber: Thomas Gust, Ana Druga, Essay: Kateryna Mishchenko ISBN: 978-3-9819805-4-7, Buchkunst Berlin 2022.
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