Hildegard von Bingen – dinkelfrei
Heike Feist und Gotthard Lange spielen „Hildegard von Bingen dinkelfrei“. Foto: IW
Theater in Holzkirchen
Dinkelfrei? Bei diesem Programmtitel meint man zuerst, dass es in diesem Stück nicht unbedingt ernst zugeht, oder doch? Ja und nein. Hier geht es ums Ganze. Heike Feist hat sich in ihrem aktuellen Biografie-Theater einer Ikone des Mittelalters zugewandt, die manchmal zu Unrecht unterschätzt wird.
Wie sagt man so schön: Die Allgemeinbildung geht den Bach runter. Was wissen die meisten von Hildegard von Bingen? Gibt man in Google ein: „Hildegard von Bingen“ kommt gleich eine endlose Liste mit Vorschlägen – von Dinkelmüsli bis Dinkelkaffee. Das muss wohl Heike Feist gegen den Strich gegangen sein, dass die große Visionärin und Frauenrechtlerin des Mittelalters zu oft auf Kräuter und Küche reduziert wird.
Frauenpower damals und heute
Genau wie Hildegard von Bingen ist die Berliner Schauspielerin so ein Typus Frau, von dem mancher Regisseur vermutlich oft genug gedacht hat: „Die schon wieder!“ – nämlich eine, die von einem „das geht nicht“ oder „das macht man nicht“ geradezu beflügelt wird. Ebenso wie Hildegard von Bingen mit ihrer Beharrlichkeit wohl manchem Bischof oder Kardinal gewaltig auf den Senkel ging. Wurde sie abgewiesen, schrieb sie eben an den Papst – und erhielt prompt eine wohlwollende Antwort.
Im Handumdrehen verwandelt sich Heike Feist in die enthusiastische Nonne Richardis von Stade, die engste Freundin Hildegard von Bingens. Foto: IW
Universalgelehrte und Heilige
Es war jedoch ein weiter Weg dahin und es klappte längst nicht immer reibungslos. Als 8-jähriges Mädchen, zehntes Kind ihrer Eltern, in einer Klosterklause eingemauert, wehrte sie sich später gegen Fremdbestimmung. Sie kämpfte gegen die lebensfeindlichen Bedingungen im Kloster, gegen die Ungerechtigkeiten und Unterdrückungen der Nonnen im Vergleich zu den Mönchen, der Frauen im Vergleich zu den Männern. Sie gründete zwei Frauenklöster, war Autorin zahlreicher visionärer Bücher, Komponistin von etwa 80 liturgischen Gesängen, Äbtissin, Dichterin, Mystikerin und Universalgelehrte – und sie legte sich mit den Mächtigen ihrer Zeit an.
Zwischen Ehrfurcht, Staunen und Humor
Ein radikaler Stoff also, der sehr viel mehr hergibt als Dinkelrezepte. Die Berliner Schauspielerin und Regisseurin Heike Feist schrieb daraus ein Stück für die Bühne, in der die bemerkenswerte Frau ihren verdienten Platz erhält. Und das mit ganz viel Humor auf der einen Seite und Nachdenklichkeit, Andacht und Demut auf der anderen. Der Spagat gelingt und das Publikum ist hingerissen.
Hildegard darf in die Bücher ausländischer Gelehrter hineinlesen – und ist überwältigt. Foto: IW
„Wer das Fleisch tötet, tötet die Seele“, hat Hildegard von Bingen angeprangert. Heike Feist zerstört wütend auf der Bühne den metallenen Bußgürtel, der blutig ins Fleisch schneidet – und wirft ihn in einen silbern glänzenden Tretmülleimer. Als eine Seite aus dem kostbaren Buch fällt, wird sie mit Tesa angeklebt und die Stimme aus dem Off kündigt nicht nur die Pause an, sondern geht nahtlos über in die faszinierenden liturgischen Gesänge, die aus der Feder der Universalgelehrten stammen. In diesem Stück dürfen sich fröhlich das Mittelalter und das Heute vermischen, in den Dingen und in den Worten und Gesten. Ganz schlicht hingegen ist das Bühnenbild des mittelalterlichen Klosters, und damit so spartanisch wie flexibel.
Hildegard, Volmar und Richardis
Heike Feist und ihr Bühnenpartner Gotthard Lange spielen mit großer Leidenschaft, feinem Humor und sensiblem Gespür die diversen Rollen der Eltern, der Hildegard von Bingen und des Propst Volmar, ihrem engen Vertrauten. Wenn Heike Feist in die Rolle der jungen Nonne Richardis von Stade schlüpft, die zu Hildegards bester und engster Freundin wird, gibt es viel zu lachen. Dann juckt die Neugier ebenso wie ein Fussel in der Nase, über allem aber steht eine bedingungslose Liebe und Unterstützung Volmars und Richardis für Hildegard. Die fröhlichen Episoden sind ebenso eindringlich wie die tragischen, wie Enttäuschungen, Leid und Verlust.
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Auch die Zuschauer helfen mit, das Frauenkloster zu errichten: Gotthard Lange, Heike Feist, Lizzy Hladek (v.l.). Foto: IW
Gebannt folgten die Zuschauer im FoolsTheater im Kultur im Oberbräu Holzkirchen dem roten Faden der kurzweiligen Geschichte, den die beide Schauspielenden auf der Bühne spannen. Manch Zuschauer und Zuschauerin wurde mit einbezogen, den einen wurde Medizin verabreicht, andere durfte Hildegard unterstützen, eine Aussprache mit dem Kardinal zu führen oder die Baupläne für das neue Frauenkloster auszubreiten.
Gern hätte man noch viel mehr gehört und erlebt, aber leider war der begeisternde Abend irgendwann zu Ende. Eines ist jedoch sicher: Keiner der Anwesenden wird jemals wieder Hildegard von Bingen auf Heilkräuter und Dinkel reduzieren.