Bis die Augen aufgehen
Die Fotografin Candida Schlichting. Foto: Petra Kurbjuhn
Fotoausstellung in Miesbach
„Augenblicke, bis uns die Augen aufgehen“ beschert uns Candida Schlichting mit ihrer Ausstellung im Waitzinger Keller – Kulturzentrum Miesbach. Die Fotografin versteht es ganz ausgezeichnet, Motive aus der gewohnten Umgebung herauszunehmen und den Betrachter neugierig zu machen, ebenfalls auf Entdeckungsreise zu gehen.
Es sind keine spektakulären Aufnahmen von grandiosen Landschaften oder Sonnenuntergängen, die die Miesbacher Fotokünstlerin präsentiert. Es sind eher unscheinbare Details aus unserer Umgebung, die wir alle sehen, aber zumeist nicht wahrnehmen, an denen wir vorübergehen.
Das Auge macht das Bild
Candida Schlichting aber gelingt es, einmalige Momente, vielleicht erzeugt durch ein besonderes Licht oder aber auch nur durch die pure Form, einzufangen und dem Betrachter sichtbar zu machen. „Das Auge macht das Bild, nicht die Kamera.“ Diese Worte der Fotografin Gisèle Freund, so schreibt sie, sei die treibende Kraft ihrer Arbeit.
Die Fotografie Nr. 41. Repro: Petra Kurbjuhn
Und die Miesbacherin hat das besondere Auge, das die Wirklichkeit in ihrer Einmaligkeit sieht. Und nicht nur das, wie Bürgermeisterin Ingrid Pongratz in ihrer Begrüßung formulierte, Candida Schlichting habe auch das Herz für Fotografie, was sich in ihren Bildern wiederspiegle.
Der Besucher ist gebannt
Kommt der Besucher die Treppe herauf, überrascht ihn ein Bild, aus dessen Mitte ihn Augen anschauen. Er bleibt stehen und fragt sich, was das sein könne. Er ist gebannt, fixiert und wird seine eigene Interpretation für dieses erstaunliche Bild finden.
Dieses Bild ist ein Beispiel für das, was Johannes Schlichting in seiner Laudatio erklärte.
Gemeinsam mit seiner Frau Bernadetta am Flügel gestaltete er die Einführung dramaturgisch überzeugend. Beginnend mit einer Sonate von Domenico Scarlatti führte er durch die Zeit vor der Fotografie hin zur heutigen digitalen fotografischen Überflutung.
Sohn Johannes Schlichting bei seiner Laudatio. Foto: Isabella Krobisch
Dazu zitierte er den französischen Philosophen Roland Barthes, der sich in seinem Essay „Die helle Kammer“ mit dem Wesen der Fotografie auseinandergesetzt hat. Dabei gehe es um den Fotografen, den Betrachter und das Gezeigte. Und hier wiederum sei die Frage, warum uns manche Fotos ansprechen, uns nicht egal seien.
Nocturne von Chopin
Mit einem Nocturne von Frederic Chopin sprach die Pianistin die Zuhörer musikalisch an und Johannes Schlichting fuhr fort: Man könne ein Foto studieren, also mit dem vorhandenen Wissen betrachten und dabei höfliches Interesse bekunden oder aber ein Foto treffe den Betrachter. „Punktum“ nennt das Barthes. Dann werde der Betrachter erreicht und das Bild hinterlasse einen „Sprung im Glas der Offensichtlichkeit“. Mit einem Stück des zeitgenössischen slowakischen Komponisten Eugen Suchoň geleitete Bernadetta Schlichting in die Jetztzeit.
Die Pianistin Bernadetta Schlichting. Foto: Isabella Krobisch
In der Banalität und Masse an digitalen Fotos, so Johannes Schlichting, habe derjenige, der Fotos ausdrucke, einen Grund. Hier sei es das künstlerische Ziel, Fotografien, die in Ruhe entstanden seien, dem „digitalen Orkus zu entreißen“. Diese Ruhe empfindet der Betrachter beim Rundgang.
Fenster und Türen öffnen den Blick
Im Foyer Ost trifft er auf Fotografien, die er identifizieren kann, ein gerollter Store am Fenster, eine zerdrückte Plane, Sackleinwand hinter einem Fenster. Offensichtlich haben es der Fotografin Fenster und Türen, aber auch Treppenaufgänge angetan, sie öffnen den Blick, sie machen neugierig, was wohl dahinter sein möge.
Blick in die Ausstellung. Foto: Isabella Krobisch
Mich fasziniert ganz besonders ein Bild. Eine Metallwand, die von einem Mann im weißen Hemd hochgeschoben wird. Von dem Mann sieht man nur den Brustkorb. Sofort entsteht im Kopf eine Geschichte, was sich hinter der Metallwand abspielen könnte.
Oder das Fenster, das mit weißer Farbe gestrichen ist und aus dem nur in der Mitte ein goldgerahmtes Bild hervorblitzt. Manche der Arbeiten muten abstrakt an und man erahnt erst beim genauen Hinschauen, was sich dahinter verbirgt. Sind das wellenförmige gegossene Betonplatten? Was verbirgt sich hinter der Wölbung?
Der Betrachter ist neugierig geworden
Der Betrachter geht hinaus und schaut genauer hin, er ist neugierig geworden, was er selbst alles an Fassaden, Fenstern, Türen, an Treppen, Wolken, Wasser entdecken kann. Und wie ihm dabei die Augen aufgehen.