Nicht nur für Bücherwürmer: Lesen in der Malerei
Pablo Picasso, La Lecture, 1953 Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin, Museum Berggruen. Foto: bpk / Nationalgalerie, SMB, Museum Berggruen/Jens Ziehe
Ausstellung in Kochel
Eine interessante Ausstellung ist derzeit im Franz-Marc-Museum in Kochel zu sehen, die nicht nur Liebhaber der Malerei, sondern auch Bibliophile und Leseratten begeistert. „Lektüre. Bilder vom Lesen – Vom Lesen der Bilder“ ist eine spannende Werkschau mit Bildern von 41 namhaften Malern – von Ernst Barlach über die Künstler des Blauen Reiters bis Edouard Vuillard.
An der Ausstellung ist interessant, dass nicht nur, wie man irrtümlich meinen könnte, Bilder vom Lesen und von Lesenden zu sehen sind. Im Gegenteil, es geht auch um die Art des Lesens von Bildern, beispielsweise anhand ausgewählter Werke von Cy Twombly und Paul Klee. Letzterer entwickelte aus Schrift oder Schriftzeichen die Grundstruktur vieler seiner Werke. Auf zahlreichen Bildern verdichtet sich die Gewissheit, dass das Entziffern der Buchstaben und das Verstehen der Wörter nicht ausreichen. Indem man an ihrer Lektüre scheitert, wird der grundlegende Charakter des Lesens sinnlich erfahrbar.
Cy Twombly: Ohne Titel (Roma), 1969. Foto: Sammlung Speck, Köln
Ganz andere Gedanken bewegen die Betrachter bei den Bildern der Lesenden. Warum werden so viele Menschen in stillen, ins Buch vertieften Momenten gemalt? Was macht den Leser, die Leserin als Motiv für einen Maler interessant? Warum malt er eine Person, die ihn nicht anblickt, deren Gesicht sogar vor ihm verschlossen ist? Die Gefühle und Gedanken des Lesenden sind nicht identifizierbar. Doch wirkt er entrückt, weit entfernt von der geräuschvollen Realität, aus der er sich zurückgezogen hat. Ihn oder sie genau im Moment intimer Entrücktheit einzufangen, war wohl die Herausforderung, die Künstler wie Pablo Picasso, Erich Heckel, August Macke, Auguste Renoir, Edouard Vuillard, Lovis Corinth, Ernst Ludwig Kirchner, Max Beckmann und viele andere fasziniert haben.
Jean-Etienne Liotard: Leserin im orientalischen Gewand, 1748-52. Foto: Sammlung Schirmer, München
Die Bilder von lesenden Menschen indes üben eine berührende Faszination auf die Betrachter aus. Mancher mag sich wiederentdecken in dieser Versunkenheit in eine spannende Lektüre. Die Maler erfassten den Zustand einer „kontrollierten Entrücktheit“. Symbolisch steht der Lesende oder die Lesende demnach auch für die geistige Entwicklung des Menschen, seiner zunehmenden Unabhängigkeit. Andererseits ist der Rückzug ins Private, Intime allerdings auch ein Privileg. Das beispielsweise hat Liotard anschaulich umgesetzt, indem er seine Leserinnen in orientalische Gewänder hüllt, um die „Exotik“ des entrückten Buchlesens im 18. Jahrhundert zu unterstreichen.
Romantische Abkehr vom Alltag
Im frühen 19. Jahrhundert symbolisiert die konzentrierte „Abwesenheit“ beim Lesen eine romantische Abkehr von der Wirklichkeit. Beispielhaft dafür stehen August Mackes Darstellung der dem Sohn vorlesenden Mutter und ebenso die Leserinnen Pablo Picassos, deren „Unberührbarkeit“ sinnliche Züge annimmt.
Erich Heckel – Lesendes Mädchen, 1913. Foto: Kunstmuseum Bonn, Reni Hansen
Im deutschen Expressionismus wiederum ist die Lektüre, etwa bei Erich Heckel oder Ernst Ludwig Kirchner, eher Ausdruck eines Lebensgefühls von Bohémiens, die sich am hellen Tag „unproduktivem“ Müßiggang hingeben. Am Ende des Jahrhunderts präsentiert Candida Höfer mit ihren Fotografien von Bibliotheken „Erinnerungsbilder“ wie einen Abgesang auf die Epoche der Lektüre – im Zeitalter der Kindles und e-books.
Franz Marc Museum Kochel verlängert die Ausstellung
Natürlich fehlen auch Bilder von Franz Marc, Max Liebermann, Henri Matisse, Adolf Menzel, Gabriele Münter, Emil Nolde und Marcel Proust in dieser umfassenden, faszinierenden Werkschau rund um die „Lektüre“ nicht. Die Ausstellung umfasst 90 Exponate. Sie ergänzen sich fabelhaft und werfen einen facettenreichen Blick auf das Lesen und die Leseart von Bildern.