Frauen im Schatten von Schloss Elmau
Ulrike Leutheusser im Gulbransson-Museum. Foto: Katja Klee
Buchvorstellung in Tegernsee
In ihrem neuesten Buch holt die Kulturjournalistin Ulrike Leutheusser drei Frauen aus der Vergessenheit, die die 100-jährige Geschichte von Schloss Elmau entscheidend prägten. Am vergangenen Sonntag stellte sie die drei Protagonistinnen im Olaf Gulbransson Museum in Tegernsee vor.
Dominanz des männlichen Blicks
Es waren zwei Dinge, die Ulrike Leutheusser dazu bewogen, sich intensiv mit den „Frauen im Schatten von Schloss Elmau“ – so der Titel des von ihr herausgegebenen Buches – zu beschäftigen: Zunächst die Begegnung mit einem Gemälde von Friedrich August von Kaulbach in der Eingangshalle von Schloss Elmau. Es zeigt eine schöne Frau in selbstbewusster Pose und trägt die Bildunterschrift „Elsa Gräfin von Waldersee, geb. Haniel, Mitgründerin von Schloss Elmau“. Wer war diese Frau und welche Rolle spielte sie in Johannes Müllers „Menschenheim“ in der Elmau? Ulrike Leutheussers Neugier war geweckt. Doch auch die 2015 erschienene Chronik „Schloss Elmau. Eine deutsche Geschichte“ von Dietmar Müller-Elmau, dem Enkel des Schlossgründers, ließ Fragen offen. Denn auch hier verstellt der männliche Blick auf die Geschehnisse die Sicht auf die drei Protagonistinnen der Frühgeschichte von Schloss Elmau: Elsa Gräfin von Waldersee sowie die beiden Ehefrauen von Johannes Müller, Marianne Fiedler und Irene Sattler. Alle drei sind heute in Vergessenheit geraten.
Elsa Gräfin von Waldersee, Gemälde von Friedrich August von Kaulbach, 1904 im Schloss Elmau
Frauen ins Licht
Dabei waren alle drei Frauen, jede für sich, zu ihren Lebzeiten anerkannt und hoch geschätzt und für Johannes Müller ebenso bedeutend wie für Elmau, so Ulrike Leutheusser: „Ohne Johannes Müller gäbe es Elmau nicht, ohne die drei Frauen hätte er sich nicht so entwickeln können. Und ohne Irene Sattler und Gräfin Waldersee gäbe es Elmau auch heute nicht mehr. Alle drei Frauen gehören ins Licht von Elmau und in die Öffentlichkeit.“
Davon konnte Leutheusser auch andere überzeugen. Sie stellte ein Buchprojekt mit einem kleinen Autorenteam zusammen über die drei Frauen, die so gar nicht dem damaligen Rollenverständnis entsprachen, sondern sich selbst verwirklichen wollten: Micaela Händel verfasste das Portrait über die Künstlerin und erste Ehefrau von Johannes Müller, Marianne Fiedler, deren Enkelin sie ist. Benedikt Maria Scherer, ein ausgewiesener Kenner der Familie Sattler, trug die Beiträge über Müllers zweite Ehefrau Irene und deren Bruder Carl Sattler bei, der die „Freistatt persönlichen Lebens“ in der Elmau plante. Ulrike Leutheusser widmete sich der Mäzenin und Mitgründerin von Schloss Elmau, Elsa Gräfin von Waldersee. Harald Haury verfasste den Auftaktbeitrag über den Religionskritiker Johannes Müller.
Johannes Müller – „Seelenführer“, „Prophet“, „Reformator“
In ihrem Vortrag skizzierte Leutheusser zunächst den historischen Hintergrund, vor dem das Wirken Johannes Müllers als „Seelenführer“ in Umbruchzeiten stattfand. Die rasante Entwicklung im Zuge der Industrialisierung und die weltpolitischen Turbulenzen in der zweiten Hälfte des Deutschen Kaiserreichs hatten bei vielen Menschen zu Verunsicherung und Orientierungslosigkeit geführt. Müllers Vorträge über eine „Wesenskultur persönlichen und gemeinschaftlichen Lebens“ trafen da den Nerv vieler Zeitgenossen. Er propagierte ein einfaches, natürliches und gesundes Leben, die Erholung in der Natur und bei Musik und Tanz. Unter Müllers zahlreicher Zuhörerschaft waren sinnsuchende Menschen jeden Alters und aus allen Schichten, Frauen ebenso wie Männer. Natürlich gab es auch kritische Zeitgenossen wie den Theologen Ernst Troeltsch, der Müller als „Mann von in der Tat ungewöhnlicher Ursprünglichkeit und Kraft der Persönlichkeit und von einer umso weniger ursprünglichen philosophischen Bildung, halb ein wahrhafter Prophet und Reformator, halb ein Sonntagsphilosoph, der sich seine Bildung zusammengelesen und zusammengearbeitet hat wie ein besserer Oberlehrer“ charakterisierte. Müllers Erfolg tat das aber keinen Abbruch.
Portrait Johannes Müller. Foto: Ulrike Leutheusser
Marianne Fiedler
Als 36-Jähriger, bekannter Vortragsredner lernte er bei einem Kuraufenthalt im Sommer 1900 die selbstbewusste Marianne Fiedler kennen und lieben. Sie war eine anerkannte und erfolgreiche Künstlerin und eine der ersten Lithografinnen in Deutschland. Heute ist sie völlig in Vergessenheit geraten. Fiedler stammte aus Dresden. Nach dem Abschluss der höheren Schule hatte sie in Berlin Malerei studiert, in Dresden die Kunstakademie und in München die Damenakademie besucht. Dort blieb sie zunächst. Sie gehörte dem Kreis der „Malweiber“ an und war gut befreundet mit Käthe Schmidt, später Kollwitz. Fiedlers Werke wurden in Gemeinschafts- und Einzelausstellungen, u.a. im Dresdner Kupferstichkabinett gezeigt. Sie erhielt immer wieder Malaufträge, weil es, wie sie selbst einmal sagte „nicht immer ein Lenbach sein“ müsse.
Selbstportrait von Marianne Fiedler als Bacchantin, Lithografie, um 1894
Ihre Ehe mit dem gleichaltrigen Johannes Müller wurde rasch geschlossen. Sie währte nur wenige, bewegte Jahre, die geprägt waren vom Umbau Schloss Mainbergs zum „ersten Menschenheim“, der häufigen Abwesenheit Johannes Müllers aufgrund seiner Vortragsreisen und der Sorge um die Familie. Marianne Fiedler gebar kurz hintereinander drei Kinder, nur wenige Wochen nach der Geburt des dritten Kindes starb sie an einer Lungenentzündung.
Irene Sattler
Bereits zehn Monate nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete Johannes Müller Irene Sattler. Die langjährige Freundin und enge Vertraute von Müllers verstorbener Ehefrau Marianne kannte die Familie und Schloss Mainberg gut. Irenes Bruder Carl war zudem als Architekt und Baumeister in Mainberg und später in der Elmau tätig. Auch Irene Sattler war damals eine bedeutende Künstlerin, die heute kaum mehr bekannt ist. Ihr künstlerischer Weg war allerdings steinig gewesen. Denn obwohl auch ihr Vater Kunstmaler war und die Begabung seiner Tochter früh erkannt und gefördert hatte, musste sich Irene immer wieder gegen seine beherrschende Art und seinen unruhigen Geist durchsetzen. Den Malerkollegen Hans Thoma inspirierte dies zu einer vielsagenden Zeichnung.
Hans Thoma: Irene bändigt den Drachen (Irenes Vater Johann Ernst?), 1895
Dennoch konnte auch Irene Sattler ihrer künstlerischen Neigung nachgehen und sich selbst verwirklichen. Sie besuchte die Bildhauerklasse Adolf von Hildebrands in München und reiste mit 23 Jahren alleine nach Paris, um Kunst zu studieren. Als ihre Freundin Marianne Fiedler starb, war sie noch nicht zurück und konnte daher nicht an der Beisetzung teilnehmen. Vater Sattler, der in Johannes Müller den „Räuber seiner Ältesten“ witterte, versuchte eine Begegnung seiner Tochter mit Müller mit allen Mitteln zu verhindern. Doch Müller schüttete der Freundin selbst sein Herz aus und im Juli 1904 trafen sie erstmals nach dem Tod Mariannes wieder zusammen. Schnell entwickelte sich eine tiefe Beziehung, die durch die Hochzeit am 1. Januar 1905 in Schliersee besiegelt wurde. Irene nahm sich nicht nur der drei Kinder aus der ersten Ehe Müllers an, sondern sie gebar selbst acht weitere Kinder und wurde die treusorgende „Mama Müller“. Daneben kümmerte sie sich um Haus und Hof und war weiterhin bildhauerisch tätig.
Elsa Gräfin von Waldersee, geb. Haniel
Künstler und Visionäre brauchen Förderer und Sponsoren. Auch Müller war auf großzügige Gönner angewiesen, als das „Menschenheim“ Mainberg zu klein wurde und nach einer neuen Wirkungsstätte gesucht wurde. In Elsa Gräfin von Waldersee aus der Duisburger Industriellenfamilie Haniel fand Müller nicht nur eine große Bewunderin, sondern auch eine seiner Familie lebenslang verbundene Freundin und großzügige Mäzenin. Sie half bei der Suche nach einem geeigneten Grundstück und beteiligte sich großzügig an der Finanzierung von Grund und Bau von Schlos Elmau. Dabei achtete sie darauf, dass Elmau als Stiftung für das Wohl des Menschen ohne Profit geführt werden konnte. Bedingung für ihre Unterstützung war, dass sie als Spenderin ungenannt blieb. Man muss das Gemälde von ihr im Eingangsfoyer des Schlosses Elmau schon genau ansehen, um sie ins rechte Licht zu rücken. Ulrike Leutheusser hat es getan.