Braucht die Friedensethik eine Zeitenwende?
Kunst für den Frieden. Foto: Barbara Gerbl
Online-Diskussion zu Friedensethik
Zu dieser brandaktuellen Frage hatte die Domberg Akademie der Erzdiözese München und Freising zu einer kontroversen Debatte als Online-Veranstaltung eingeladen. Der Ukrainekrieg spaltet die Gesellschaft in Befürworter und in Gegner der Waffenlieferungen aus dem Westen. Wie können wir Frieden schaffen?
Es gehe heute Abend nicht nur um den Ukrainekrieg, sondern ebenso um Kriege, die weitgehend ignoriert würden, eröffnete Thomas Steinfurtner, Referent für Erwachsenenbildung der Domberg Akademie den Abend. Es gehe um die grundlegende Frage, die der Ukrainekrieg mit aller Schärfe aufgeworfen habe, welche Rolle Waffengewalt zur Friedenschaffung spiele und ob militärischer Widerstand durch Dritte unterstützt werden dürfe. Oder aber ob gewaltfreie Wege möglich wären.
Prof. Markus Vogt bei einer Veranstaltung der Stiftung Kulturelle Erneuerung 2018 in München. Foto: Petra Kurbjuhn
Die Friedensethik bedarf einer Revision. Diese Forderung stellt der Sozialethiker und Theologe Markus Vogt. Der Professor an der LMU München betonte, dass wir uns in einer Dilemmasituation befinden und in seiner Brust zwei Seelen wohnten, immerhin habe er den Militärdienst verweigert.
In seinem fundierten und präzisen Vortrag stellte er seine Sicht in sieben Thesen dar, die er durch Beispiele untermauerte. Die Friedensordnung sei zertrümmert und brauche eine Zeitenwende, die kein Paradigmenwechsel, sondern eine Aufwertung der Friedensethik bedeute. Dabei müsse man vom Begriff des Gerechten Krieges hin zum Begriff des Gerechten Friedens kommen.
Schutzverantwortung
Er plädierte für eine Schutzverantwortung gegenüber der Ukraine. „Der Dialog reicht nicht, um Putin zu stoppen“, konstatierte Markus Vogt und „Du sollst nicht töten lassen“. Dabei aber dürfe Deutschland trotz notwendiger Waffenlieferungen niemals Kriegspartei werden.
Die russische Kriegspropaganda arbeite kontrafaktisch und spreche der Ukraine das Existenzrecht ab, der Konflikt sei also ein Konflikt zwischen Lüge und Wahrheit und nicht, wie behauptet würde, zwischen Ost und West.
Wehrhafte Demokratie
Und dennoch gehe es um eine neue Weltordnung, in der die multiplen Krisen der Gegenwart nur durch eine Reform des Weltsicherheitsrates oder die Gründung eines Europäischen Sicherheitsrates gelöst werden können.
Und es brauche, so schloss Markus Vogt, eine wehrhafte Demokratie nach innen und außen, wobei es auch um eine Energiesicherheit als Resilienzfaktor gehe. Zudem sei der Kontakt zur russischen Zivilbevölkerung erforderlich.
Prof. Josef Freise. Foto: privat
Eine Friedensethik in Nachfolge des gewaltfreien Jesus forderte sein Diskussionspartner Josef Freise. Der emeritierte Professor für Soziale Arbeit ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Pax Christi. Er verwies in seinem engagierten Beitrag auf die christlichen Traditionen, etwa auch auf das Motto „Schwerter zu Pflugscharen“ in der ehemaligen DDR.
„Liebet Eure Feinde“, so heißt es in der Bergpredigt und die frühe christliche Kirche habe einen Totalpazifismus vertreten. Erst später sei der Krieg als Notwendigkeit zum Erhalt des Christlichen Reiches erklärt worden.
Kunst für den Frieden. Foto: Barbara Gerbl
Das Prinzip des gerechten Krieges, wie es Augustinus oder Thomas von Aquin formuliert habe, sei oft missbraucht worden und sei so heute nicht mehr anwendbar. Er selbst sei konsequenter Pazifist, erkenne aber an, dass es für die Sicherung des Friedens UNO-Interventionstruppen als eine Weltpolizei geben müsse.
Kaptalismus als Kriegstreiber
Bei den Ursachen des Ukrainekrieges bedürfe es der kritischen Selbstreflexion, forderte Josef Freise. „Kriegstreiber ist der globalisierte Kapitalismus“, konstatierte er, der Westen sei daran interessiert gewesen, aus dem Zusammenbruch des Kommunismus Kapital zu schlagen. Die USA und die NATO hätten wiederholt das Völkerrecht gebrochen, weil sie Politik als „Sicherung militärischer und ökonomischer Einflusszonen“ betrieben hätten.
Kunst für den Frieden. Foto: Barbara Gerbl
Josef Freise plädierte vehement für nicht militärische Sicherheitssysteme als Ausweg in der derzeit drohenden Weltkriegskatastrophe. Als Möglichkeiten für alternative Gewaltüberwindung nannte er die Gemeinschaft Sant‘Egidio für Verhandlungslösungen. Die Vermittlungstätigkeit der Gemeinschaft zeitigte schon mehrfach bei Friedensverhandlungen Erfolg. Zudem müsse es alternativen zivilen und sozialen Widerstand geben.
Er erinnerte an Dietrich Bonhoeffer und dessen Forderung, dass die westliche Christenheit aus der Bergpredigt neu geboren werden müsse und er konstatierte: „Jetzt ist Zeit, nicht für Waffen, sondern für Verhandlungen.“ Dazu bedürfe es einer Stärkung der Friedenspädagogik und der gewaltfreien Kommunikation. Die Kirchen müssten den zivilen Friedensdienst stärken. „Wir brauchen ein ökumenisches Friedensforschungsinstitut.“
Gewaltfreier Widerstand
In der Diskussion der beiden Referenten wurde die kontroverse Haltung deutlich. Markus Vogt betonte, dass der gewaltlose Widerstand eines Gandhi am fehlenden Rechtsbewusstsein Putins scheitern müsse. Zudem wolle sich die Ukraine verteidigen. Er sei froh, dass Hitler von den Alliierten gestoppt wurde. „Wir brauchen eine Weltpolizei.“
Der gewaltfreie Widerstand sei möglich, konterte Josef Freise, wenn er von der Weltöffentlichkeit gefördert werde und darüber hinaus brauche es den zivilen Widerstand in Russland. In diesem Punkt waren sich beide einig.
Gespräche jenseits der Öffentlichkeit
Die Lehre des Gerechten Krieges müsse überdacht werden, forderte Josef Freise und Markus Vogt ergänzte, dass es die Pflicht der internationalen Staatengemeinschaft sei einzugreifen. Aber wie, fragte Josef Freise, inzwischen würde ja bereits offen über den Einsatz von Atomwaffen gesprochen.
Als Hoffnungsschimmer bezeichnete Markus Vogt letztlich, dass es Gespräche jenseits der Öffentlichkeit von Papst Franziskus und Sant’Egido bereits gebe.
Preisgekröntes Foto einer geflüchteten Ukrainerin. Foto: Florian Bachmeier
In der Diskussion mit den Teilnehmenden gab es mehr Fragen als Antworten möglich waren, vor allem war es eine Ukrainerin, die konstatierte: „Wir verteidigen uns vom äußeren Feind, was bedeutet Frieden für die Ukrainer?“ Josef Freise musste einräumen, wie schwer darauf eine Antwort ist. Die Lösung wäre, den zivilen Widerstand zu mobilisieren, wobei die Welt dahinterstehen müsse. Und Markus Vogt sagte: „Die Brutalität Putins wurde unterschätzt, deshalb müssen ihm von außen Grenzen gezeigt werden.“ Die Kirche habe die Aufgabe, alle Möglichkeiten der Diplomatie und Solidarität auszuschöpfen.
Kooperierende Armeen
Wie beim Klimawandel stehe die Welt an einem Kipppunkt, warnte Josef Freise und man habe nicht mehr viel Zeit, die Katastrophe eines Weltkrieges abzuwenden. Josef Freise forderte statt nationaler Streitkräfte eine starke UN-Einsatztruppe, Markus Vogt plädierte für kooperierende Armeen in Europa, wozu schon erste Schritte gegangen werden.
Wie soll die Friedensethik aussehen?
Fazit: Es braucht eine neue Friedensethik, über deren Definition aber herrschte kein Konsens. Während Markus Vogt für Waffenlieferungen im Sinne einer Schutzverantwortung plädiert, lehnt Josef Freise Gewalt in Nachfolge von Jesus ab und setzt auf zivilen Widerstand. Einigkeit herrschte darüber, dass eine Reform des Weltsicherheitsrates nötig sei.
Zum Weiterlesen: „Fratelli tutti“ – eine Vision, die auf Umsetzung wartet