Gedanken zum „Welttag des Buches“
Heute, am 23. April 2022, wird wieder der „Welttag des Buches“ gefeiert. Foto: Welttag des Buches
Welttag des Buches
Ich gebe es zu, ich bin fremd gegangen – und zwar meinem Buchhändler. Nicht nur einmal, sondern in den vergangenen Jahren schon mehrere Male und die Hinterlassenschaften meiner Ausflüge liegen verstaubt auf meinem Nachttisch. Sie ahnen es bereits, ich habe meinen geliebten Büchern den Rücken gekehrt und bin auf einen digitalen E-Book-Reader umgestiegen. Heute, am 23. April, holt mich das schlechte Gewissen ein. Gedanken zum „Welttag des Buches“.
Lesetipp: Lyrische Miniaturen
Freilich habe ich nicht damit aufgehört zu Lesen und damit kann ich meinen imaginären Kritiker auch schon wieder etwas besänftigen. Denn am heutigen Tag wird nicht nur dem Buch, sondern dem geschriebenen Wort an sich sowie dem Urheberrecht gefrönt. Seit 1995 steht der Feiertag für das Lesen, für Bücher und die Rechte von Autoren, dank der UN-Organisation für Kultur und Bildung, fest im weltlichen Kalender. Doch ob des Ursprungs dieses Feiertags im katalanischen Brauch zum Namenstag des Volksheiligen St. Georg – zu dessen Ehren Bücher und Rosen verschenkt wurden – steht eben doch das gebundene Buch an diesem Tag im Mittelpunkt. Zahlreiche Aktionen, Veranstaltungen und Infokampagnen werden zum „Welttag des Buches“ gestartet, um vor allem der jungen Bevölkerung das Lesen nahe zu bringen. Denn ob wir diesen auch in 27 Jahren noch feiern, hängt vor allem von den heutigen Kindern und Jugendlichen ab – oder?
Der frühkindliche Bezug zu Büchern
Wie wichtig der frühkindlicher Bezug zu Büchern ist, belegen zahlreiche Studien. „Ein Drittel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland, die in schwierigen Verhältnissen aufwachsen, haben Schwierigkeiten mit Wort und Schrift“, erzählt Stephanie Kilian, Leiterin der Miesbacher Stadtbücherei. Dass dies vor allem von den Begebenheiten zuhause abhängt, zeigt eine Studie der Stiftung Lesen aus dem Jahr 2020. Rund 32 Prozent der darin befragten Eltern gaben an, ihren Kindern selten bis nie vorzulesen. „Viele Eltern denken, dass Vorlesen schon im Babyalter unnötig ist, da die Kinder noch nichts verstehen – das ist ein Trugschluss“, erklärt Kilian. Nach einer Studie der Universität Chicago würden schon 20 Monate alte Kinder davon profitieren, wenn ihnen ihre Eltern vorlesen. „Diese Kinder haben einen viel reicheren Wortschatz als Gleichaltrige, denen nicht vorgelesen wird. Sie kennen im Durchschnitt 131 zusätzliche Wörter“, sagt die Büchereileiterin.
Zum Welttag des Buches finden viele verschiedene Aktionen statt. Foto: Welttag des Buches
In der Studie vertraten 48 Prozent der befragten Eltern die Meinung, dass ihren Kindern etwa in der Kita schon genug vorgelesen würde. 68 Prozent gaben zudem an, lediglich zehn Bücher für ihre Kinder zuhause zu haben. „Die Schulen und anderen Einrichtungen mit Lehrauftrag müssen oft auffangen, was zuhause versäumt wird“, weiß auch die Büchereileiterin. Sie sehe es aber als ihren Auftrag, allen Kindern – egal welcher Herkunft und aus welcher sozialen Schicht – den Zugang zu Büchern und damit zu Bildung zu ermöglichen.
Lesetipp: Das Leiden hat einen Sinn
Es ist also falsch anzunehmen, Kinder würden von selbst ihren Bezug zu Büchern erlangen und damit den Fortbestand dieser sichern. Es liegt in der Hand der Eltern, sie in die Welt der Literatur einzuführen und ihnen damit den Zugang zu Bildung zu ermöglichen. „Lesen können ist eng mit dem Lesen wollen verknüpft. Deshalb ist es wichtig, Kinder zum Lesen zu motivieren. Vorlesen und Erzählen schaffen die Grundlage für alles, was Lesekompetenz ausmacht: Konzentrationsfähigkeit, Fantasie, Textverständnis, Sprachfähigkeit und soziale Kompetenz“, erläutert Stephanie Kilian.
Die Leiterin der Miesbacher Stadtbücherei, Stephanie Kilian, motiviert Eltern dazu, ihren Kindern mehr vorzulesen. Foto: Selina Benda
Ein einprägsames Spracherlebnis schaffen
Also müssen wir Erwachsenen uns selbst an der Nase packen und überlegen, wann wir zuletzt ein Buch in der Hand hatten. Sei es die Gute-Nacht-Geschichte für das Kind oder der eigene Lieblingsroman. Denn sehen uns unsere Kinder mit einem Buch in der Hand und sind diese im Haushalt auch vorhanden, fällt ihnen der Bezug dazu um einiges leichter. Doch wollen wir an dieser Stelle nicht allzu streng sein und beziehen auch die Medien auf unseren digitalen E-Book-Readern mit ein. „Ich bevorzuge haptische Bücher, aber auch ich finde es praktischer im Urlaub oder Unterwegs nicht fünf Bücher mit dabei zu haben, sondern eine digitale Lösung“, gibt Stephanie Kilian zu. Dem spricht faktisch nichts entgegen, zumal die Ausleihzahlen der Miesbacher Stadtbücherei sowieso noch für das Team gedrucktes Buch sprechen: 55.953 Bücher wurden im vergangenen Jahr ausgeliehen. Dem stehen lediglich 12.951 E-Books gegenüber.
Egal ob gedrucktes Buch oder E-Book – lesen ist sowohl für Kinder als auch für Erwachsene enorm wichtig. Foto: Selina Benda
Egal wie, ob nun in digitaler Form oder gedruckt – Bücher sollten in jedem Leben vorhanden sein und bereits früh eine wichtige Rolle spielen. Denn wer kann sich nicht an sein Lieblingsbuch aus der Kindheit erinnern? „Bei mir waren es die Hanni und Nanni Bücher, die ich immer gemeinsam mit meiner Mutter gelesen habe“, sagt Stephanie Kilian schmunzelnd. Gerade für Kinder sei die Verbindung von Worten und Berührungen ein tief einprägsames Spracherlebnis. „Dies festigt die emotionale Beziehung zu den Eltern, Großeltern und anderen vorlesenden Erwachsenen“, erklärt die Büchereileiterin.
Aktionen zum Welttag des Buches
Allein für unsere Kinder sollte uns der heutige Tag also besonders wichtig sein. Ich wende mich nun jedenfalls meinen verstaubten Freunden auf dem Nachttisch zu und schwöre feierlich zum „Welttag des Buches“, meinen gedruckten literarischen Partnern nicht mehr allzu oft fremd zu gehen – oder, eben nur noch im Urlaub.