
Traum und Anerkennung
Leyla und ihre Tocher Nila kämpfen gegen Unterdrückung in der iranischen Gesellschaft. Foto: Little Dream Pictures
Unterdrückung und Benachteiligung ist auch im 21. Jahrhundert Realität vieler Frauen. Wie groß das Ausmaß der Unterdrückung in einer von Männern dominierten Gesellschaft wie der des Irans ist, zeigt der Dokumentarfilm „Nilas Traum im Garten Eden“ (Regie: Niloufar Taghizadeh). Er lief nun im Rahmen der Reihe „anders wachsen“ im Holzkirchner FoolsKINO.
Kampf um Anerkennung
Straßenverkehr in der iranischen Stadt Maschhad, das Scheinwerferlicht der Autos vermischt sich mit dem Glanz der Lichterketten, mit denen die heilige Stadt geschmückt ist. In Maschhad steht der Schrein des schiitischen Imams Reza, deshalb pilgern jedes Jahr Millionen Gläubige in die Stadt im Nordosten des Landes. Immer wieder sieht man Leyla, die Mutter der sechsjährigen Nila, in einem Auto im dichten Verkehr Maschhads sitzen. Sie lässt sich zum Gericht fahren, unternimmt einen Ausflug mit ihrer Tochter oder fährt von einem Amt zum anderen.
Ganz nah ist die Kamera dabei an Leylas Gesicht und fängt ihre Stimmung ein. Meistens sprüht Leyla vor Kraft und Willen. Doch zwischendurch merkt man eine tiefe Müdigkeit und Verzweiflung: Leylas Blick geht ins Leere, während Tochter Nila auf dem Nebensitz mit dem Essen beschäftigt ist. Dieses Bild des Unterwegsseins verdeutlicht, was die Dokumentation „Nilas Traum im Garten Eden“ eigentlich macht: Sie zeichnet den langen und mitunter chaotischen Weg einer Mutter nach, die um die Anerkennung ihrer Tochter kämpft.
Mutter und Tochter auf dem Weg zum Schulamt in der iranischen Stadt Maschhad. Foto: Little Dream Pictures
Patriarchales System
Die Ausgangslage des Films wird gleich zu Beginn deutlich: Im Iran, so erfahren die Zuschauenden, dürfen Männer sogenannte Zeitehen schließen. Diese gilt für kurze Zeit und ermöglicht den sexuellen Kontakt zu Frauen. Im Falle Leylas entstand aus dieser Zeitehe ein Kind, Nila. Weil ihre Zeitehe jedoch nicht dokumentiert wurde, fehlen ein paar Jahre später Unterlagen für Nilas Einschulung. Das bedingt einen mitunter zermürbenden Kampf gegen die iranische Bürokratie, um diese Dokumente zu erlangen.
Doch es sind nicht allein die bürokratischen Mühlen, die den Film unter die Haut gehen lassen. „Nilas Traum im Garten Eden“ zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er die tiefgreifende Abhängigkeit iranischer Frauen von Männern aufzeigt. So muss Leyla lange kämpfen, damit Nilas Vater seine Vaterschaft überhaupt anerkennt. Und um die Geburtsurkunde für die Einschulung zu erhalten, ist ebenfalls seine Zustimmung nötig. Zudem darf nach iranischem Recht der Vater das Kind ab dessen siebten Geburtstag zu sich holen und so der Mutter wegnehmen. Womit Nilas Vater in harschen Worten auch mehrfach droht.
Zwischen Normalität und Anfeindung
Doch Leyla ist eine starke Frau. Sie lässt die Beschimpfungen ihres Kurzzeitehemannes nicht unwidersprochen, hält dagegen. Vor allem aber kämpft sie um ihre Tochter. Sie bringt ihr Lesen und Schreiben bei, während die beiden noch auf Nilas Einschulung warten. Sie ermöglicht ihr ein Leben, das möglichst nah an das einer „normalen“ Sechsjährigen herankommen soll. Und das ist nicht leicht bei all den Anfeindungen, denen sich Leyla und Nila immer wieder ausgesetzt sehen.
So bricht Leyla etwa in Tränen aus, als sie von ihrem Vater erzählt, den sie eigentlich sehr schätzte, wie sie im Film erzählt. Und doch hatte er ihr gesagt, erfahren die Zuschauenden, dass man „Frauen wie sie“ mit Säure überschütten sollte. Aber all diesen Unterdrückungen und Schmähungen, all den Wunden, die das patriarchale System an Leyla aufreißt, steht ein simpler Satz aus dem Mund der tapferen Mutter entgegen: „Es ist kein Fehler, dass ich ein Kind geboren habe“. So schlicht und unaufgeregt diese Worte in einer liberalen Gesellschaft anmuten – das Beispiel Leylas zeigt, welchen Mut und Willen es bedarf, um den Satz in einer von Männern dominierten Welt zu leben.
Ihre Mutter möchte, das Nila möglichst normal aufwächst . Foto: Little Dream Pictures
Unterdrückung als kulturelles Problem
Die iranisch-stämmige Regisseurin Niloufar Taghizadeh, die seit 1996 in Deutschland lebt, will ihren Film nicht als religionskritischen Film verstanden wissen. „Es geht um die tief verwurzelte Doppelbödigkeit und Frauenfeindlichkeit in der iranischen Gesellschaft, welche nicht nur einen religiösen und politischen Ursprung hat, sondern viel mehr kulturell bedingt ist“, schreibt sie in einer Produktionsnotiz.
Der Film verzichtet in der Tat auf Anklagen gegen den Islam. Immer wieder zeigt er zwar religiöse Prediger, die mitunter uneheliche Kinder auf das Tragen „offener Kleidung“ von Frauen zuschreibt. Doch wie einer dieser Prediger treffenderweise zum Ausdruck bringt: Das Frauenbild stamme nicht aus dem Koran, sondern liege in der Natur der Dinge.
„Nilas Traum im Garten Eden“ ist ein sehenswerter Film, weil er betroffen macht. Und weil diese Betroffenheit weit über den Iran hinausgeht.
Zum Weiterlesen: Die Unbeugsamen – auch heute noch?