Gemeinwohl-Ökonomie in der Region installieren
Christian Felber in Neukirchen. Foto: Petra Kurbjuhn
Vortrag in Weyarn
Der Boden im Landkreis Miesbach für eine andere, dritte Wirtschaftsform ist bereitet, der Samen ist ausgestreut, jetzt sollte der Keim der Gemeinwohl-Ökonomie sprießen. Immerhin lauschten 230 Zuhörer im Saal des Gasthofes Neukirchen gebannt den Ausführungen Christian Felbers.
Der österreichische Initiator der Gemeinwohl-Ökonomie und Erfinder der Gemeinwohl-Bilanz begeisterte die Interessierten mit seinem „Wirtschaftsmodell mit Zukunft“. Dieses gründet sich auf der Tatsache, dass weltweit alle Kulturen dieselben Grundwerte haben. Werden sie in die Wirtschaft eingebracht, führt das zu einem gelingenden Leben für alle.
Die Veranstaltung wurde initiiert von WeyHalla, KulturVision e.V. und der Regionalgruppe Mangfalltal der GWÖ, sowie von der Standortmarketing-Gesellschaft Miesbach unterstützt. Siggi Cordes, erster gemeinwohlzertifizierter Unternehmer im Landkreis Miesbach wünschte sich, dass sich im Landkreis eine Regionalgruppe gründen möge. Der Vorstandsvorsitzende der GWÖ Bayern Harro Colshorn, selbst zertifizierter Biogärtner, empfahl das Modell Unternehmen und Kommunen.
Hans-Jörg Birner, Michael Pelzerund Christian Felber (v.l.). Foto: Petra Kurbjuhn
Alexander Schmid, Geschäftsführer der Standortmarketinggesellschaft Miesbach meinte, man habe sich Gedanken zur Entwicklung der Wirtschaft gemacht und die Gemeinwohlökonomie als interessanten Ansatz eingeschätzt. Für die Bildungsregion Miesbach sprach Weyarns Altbürgermeister Michael Pelzer dem Landkreis ein hohes Potenzial zu, für die Gemeinwohlökonomie offen zu sein. In allen Bereichen gehe man neue Wege. Beispielsweise habe KulturVision mit der Initiative Spur wechseln zum Projekt Anders wachsen geführt. „Und so hoffen wir, dass der heutige Samen auf guten Boden fällt“, wünschte er sich.
Gemeinwohl in Bayerischer Verfassung
Vor acht Jahren schrieb Christian Felber sein erstes Buch zum Thema Gemeinwohl-Ökonomie und bot in Miesbach, wie er sagte, „den ersten mündlichen Vorabdruck“ seiner Idee. Bayern sei die Heimat, denn in der Bayerischen Verfassung sei verpflichtend festgelegt, dass alles Wirtschaften dem Gemeinwohl zu dienen habe.
88 Prozent für andere Wirtschaftsform
Inzwischen gibt es in 30 Staaten Aktivitäten mit 3000 engagierten Menschen, die sich dafür einsetzen. Damit entspricht die GWÖ dem Wunsch von 88 Prozent aller Bürger in Deutschland, die sich ein anderes Wirtschaftsmodell wünschen. Kapitalismus oder Sozialismus, beides habe versagt, meinte Felber, warum also nicht eine Balance zwischen beiden?
„Jeder Mensch ist einzigartig, aber auch ein Sozialwesen und damit mit allen verbunden und von anderen abhängig“, sagte Christian Felber. Man habe herausgefunden, dass Kooperation den Menschen stärker motiviere als Wettbewerb, weil bei Wettbewerb die Angst die treibende Kraft sei.
Wettbewerb oder Kooperation? Foto: Petra Kurbjuhn
Und deshalb sei es dringend angebracht, dass die Wirtschaft wieder eingebettet werde in die menschliche Gesellschaft und die Ökosphäre. Ebenso müsse die Demokratie den Markt bestimmen und nicht umgekehrt, wie es derzeit der Fall sei. Das Geld dürfe nur ein Mittel, aber nie der Zweck des Wirtschaftens sein.
Christian Felber demonstriert, dass derzeit einiges auf dem Kopf steht. Foto: Petra Kurbjuhn
Derzeit allerdings stehe dies auf dem Kopf, demonstrierte der Redner, der seinen Vortrag mit vielen symbolischen Gesten würzte.
Mit der Gemeinwohlbilanz könne der Erfolg eines Unternehmens oder einer Kommune direkt gemessen werden. Sie erfasst die Auswirkungen wirtschaftlichen Handelns, fragt nach Wahrung der Menschenwürde, sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Nachhaltigkeit.
Nachteile bei unethischem Handeln
Sie ermittelt wie transparent, solidarisch und demokratisch unternehmerische Ziele erreicht werden. Das Ergebnis ist dann als QR-Code auf jedem Produkt ablesbar, wonach Unternehmen Nachteile haben, wenn sie unethisch handeln. Die Anreize müssen sich in rechtlichen Vorteilen niederschlagen.
Souveräne Demokratie als Spiel. Foto: Petra Kurbjuhn
Christian Felber empfahl, in der Region die wichtigsten Zutaten für Lebensqualität als regionalen GWÖ-Index zu ermitteln. Als Methode probierte er mit elf Freiwilligen die Souveräne Demokratie aus. Danach wird der Widerstand gegen eine Regel gemessen. Beispiel: Das Wievielfache eines Mindestlohnes darf verdient werden? Ergebnis: das zehnfache. Tatsache in Deutschland: Das 80 000 fache.
Erste zertifizierte Kommune: Kirchanschöring
Zu den grundlegenden Erklärungen Christian Felbers kam die Praxis hinzu. Hans-Jörg Birner ist Bürgermeister von Kirchanschöring, der ersten gemeinwohl-bilanzierten Kommune Deutschlands.
Theorie und Praxis: Christian Felber und Hans-Jörg Birner. Foto: Petra Kurbjuhn
Er betonte, dass die Bewusstseinsbildung durch Bürgerbeteiligung, so wie sie in Weyarn vorgemacht worden sei, möglich werde. Anhand der drei Felder Natur, soziales Miteinander und neues Wohnen berichtete er, wie seine Gemeinde den Weg zur Gemeinwohlbilanz gegangen sei. Ein Beispiel ist Schaffung von Wohnraum ohne Flächenfraß, weg von Einfamilienhäusern, die untypisch für das Dorf sind, und hin zu dichter Bebauung.
Bürgerbeteiligung
Sein Modell, über Bürgerbeteiligung, Umgang mit der Natur, Kooperation mit ethischen Banken, soziales Engagement, Schaffen von Wohnraum und Flächensparen war erfolgreich: Im November 2018 wurde Kirchanschöring zertifiziert.
Es kann als Beispiel für die Kommunen im Landkreis Miesbach dienen, aber ebenso ist jede Privatperson, jedes Unternehmen und jede Bildungseinrichtung aufgerufen mitzumachen bei diesem Wirtschaftsmodell der Zukunft, einer Marktwirtschaft, in der nicht Wettbewerb sondern Kooperation das Sagen hat.
Gemeinwohl-Ökonomie-Tango
Anschi Hacklinger hatte für diesen Abend eigene Kompositionen ausgewählt, die zum Thema passen. Und ein Stück hatte sie eigens komponiert: Den Gemeinnwohl-Ökonomie-Tango. Die Musik lockerte den Abend mit viel Input wunderbar auf.
HACKLINGER mite Marion Dumbat und Anschi Hacklinger. Foto: Petra Kurbjuhn