Odysseus – die Irrwege des Lebens und deren heimliches Ziel
Pfarrer Gerhart Herold. Foto: Karin Sommer
Vortrag in Holzkirchen
Der Arbeitskreis “Ökumene vor Ort“ hatte den beliebten Redner Pfarrer Gerhart Herold in den Thomassaal in Holzkirchen eingeladen. Der Wettergott versuchte, mit klirrender Kälte entgegenzuwirken, hatte aber keine Chance. Die Menschen kamen trotzdem, um mit Gerhart Herold eine Odysee zu durchleben.
Ohne Umschweife folgen sie ihm auf das Schiff Odysseus, nachdem dieser gerade Troja dem Erdboden geleichgemacht hatte. Er wollte nach Hause, erreichte dies aber erst nach vielen Jahren der Irrfahrt über den Grossraum Mittelmeer.
Held oder Mensch?
Gerhart Herold zeichnet den Helden Homers als Menschen, der Herausforderungen bestehen muss. Er durchlebt Höhen und Tiefen, ist verletzlich, stößt an Grenzen, misst sich an Schwierigkeiten und sucht seinen Weg.
Gerhart Herold während der Diashow. Foto: Karin Sommer
Wir begleiten ihn bei einem seiner bekanntesten Abenteuer, der Begegnung mit dem einäugigen Riesen Polyphem, der genüsslich Odysseus Kameraden verspeist. Odysseus rettet sich und einige wenige Kollegen mit der List, sich selbst „Niemand“ zu nennen. Als er dem schlafenden Riesen sein Auge mit einem brennenden, spitzen Baumstamm zerstört, schreit der panische Polyphem, dass Niemand ihn töten wolle, und so kommt ihm niemand zu Hilfe.
Homer oder Platon?
Homers Götterwelt erscheint Gerhart Herold weit weg vom westlichen Glauben. Die Götter, die dem Menschen nahe stehen, das menschliche Leben verstehen und wollen, das es gelingt, stehe im Kontrast zu Platons Denkansatz, der die christliche Religion viel stärker geprägt habe. In diesem Modell, dem wir gefolgt sind und das sich heute langsam verändere, sind die Götter unsterblich. Sie vertreten das Absolute, während der Mensch im Relativen lebt, und scheinen beinahe unerreichbar für die Menschen. Daher brauche man Brückenbauer, Priester, Päpste, ohne die der Mensch keinen Zugang zum Göttlichen findet.
Gerhart Herold: Du bist Odysseus. Foto: Karin Sommer
Doch zurück zu unserer Reise mit Odysseus. Immer wieder wird er von Frauen erprobt. Er entkommt den tödlichen Sirenen, beeindruckt die Zauberin Kirke mit seiner Standhaftigkeit und wird ihr Liebhaber.
Die Rolle der Frauen
Nachdem er seine Kameraden unzählige Male zur Vernunft gebracht hat, sie immer wieder aus aussichtslos scheinenden Situationen geführt hat, gelingt es ihm am Ende doch nicht, auch nur einen Einzigen von ihnen zu retten. Am Tiefpunkt angelangt, findet er sich wieder in den Armen einer Frau, der Zauberin Kalypso. Sie hegt und nährt ihn und macht ihn sich hörig. Er verbringt Jahre mit ihr und sie bekommt vier Kinder von ihm. Seine Frau Penelope, die viele Jahre auf ihren Mann wartet und ihren eigenen Leidensweg durchschreitet, wird bei Homer nicht erwähnt. Mit engen moralischen Vorstellungen dürfe man ohnehin nicht an diese Geschichte herangehen, meint Gerhart Herold, der wiederholt aufzeigt, wie sich der Protagonist im Leben verrennt, verheddert, hinfällt und doch wieder aufsteht und weitergeht.
Endlich am Ziel
Odysseus erreicht dann doch nach vielen Jahren sein Ziel. Er kommt zu Hause an, als Bettler verkleidet, der nur von seinem Hund und seiner Magd, die ihm die Füsse wäscht, erkannt wird. Er tötet alle Freier, die seit langem darauf warten, von seiner Frau Penelope erhört zu werden, und seine Odyssee ist beendet.
Gerhart Herold beantwortet Fragen aus dem Publikum. Foto: Karin Sommer
„Nicht als Helden erreichen wir unser Ziel und nur mit Hilfe der Götter“ meint Gerhart Herold und teilt seine Interpretation dieses Werkes mit uns, das unser Menschenbild so sehr geprägt hat und bis heute Künstler inspiriert, es darzustellen. Das Leben verdiene Vertrauen in seiner Willkür und Gunst und es fordere Kraft und Ausdauer. Unsere Suche nach Identität, die uns Odysseus so bildhaft darstelle, bringe Einsamkeit mit sich, ja mehr noch, sie fordere den Mut zur Einsamkeit.
Irgendwie schade, dass die Odyssee zu Ende ist. Wir müssen alle wieder in die ungastliche Finsternis, in die schneidende Kälte hinaus. Ja richtig, wir sind alle Odysseus. Während ich den Schnee unter meinen Füssen knirschen höre, hallt die Frage Gerhart Herolds in mir nach: „Wie kann der Mensch sich selbst und denen, die ihm anvertraut sind, treu bleiben?