Geschichte und Gegenwart des Abendlandes - spannender Vortrag von Prof. Dr. Michael Wolffsohn beim Korbinians Kolleg im Bachmair Weißach

Ketzerisches und Historisches zum Abendland

Prof. Dr. Michael Wolffsohn beim Korbinians Kolleg im Hotel Bachmair Weissach. Foto: Andreas Vogt

Vortrag in Weißach

Wie kann Geschichte genutzt werden, um eine bessere Zukunft zu gestalten? Im Rahmen des Korbinian Kollegs gab der promovierte Historiker Michael Wolffsohn einen tiefen Einblick in Geschichte und Gegenwart des Abendlandes.

Eine halbe Stunde bevor er seinen Vortrag im Korbinians Kolleg halten wird, nimmt sich der emeritierte Professor für Neue Geschichte noch die Zeit für ein persönliches Gespräch. Wir sprechen über die Gartenstadt Atlantic, den neuen Antisemitismus und die Unabdingbarkeit, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen.

Michael Wolffsohn musste sich mit einem ungewöhnlichen Erbe auseinandersetzen. Die Gartenstadt Atlantic, mitten in Berlin gelegen, war von seinem Großvater mitbegründet worden. 2001 übernahm der Enkel die Wohnanlage und sanierte sie mit Eigenmitteln. Mit 1.200 dort lebenden Menschen kann sie als kleine Stadt innerhalb einer großen bezeichnet worden.

Auf Schönes pinkelt man nicht

Leistbare Mieten, Lernwerkstätten für Kinder und Jugendliche und viel Schönes findet sich dort. Weil man es sich zweimal überlegt, an eine ästhetisch ansprechende Fassade zu pinkeln oder einer Mauer Graffiti zu verordnen, die danach jedes Mal wieder gereinigt wird. Dass Ästhetik und das Anliegen, seinen Mietern mehr als nur ein Dach über den Kopf zu bieten, sogar wirtschaftlich ist, mussten inzwischen auch zweifelnde Ökonomen einsehen.

Gelungene Integration

Die hätten wohl nicht zu dem deutsch-türkisch/muslimisch-jüdischen Projekt geraten, das Kultur, Bildung sowie Integration in beispielhafter Weise unter einen Hut bringt. Doch Michael Wolffsohn hat seinen eigenen Kopf und bedient sich seines Verstandes, eine nicht selbstverständliche Haltung in Zeiten, in denen Entscheidungen an Experten abgegeben werden. Als Wissenschaftler und Mensch sieht er es als seine Verantwortung, klare Worte zu finden, auch wenn er sich damit unbeliebt macht. Es erscheint ihm selbstverständlich, sich nicht aus Angst vor Isolation oder Boykott – den Strafen für anders denken in unserem zivilisierten Land – aus der Verantwortung zu ziehen. Wissenschaftliche Erkenntnisse könnten nun einmal nicht taktisch, sondern müssten faktisch sein.

Der eloquente Redner Michael Wolffsohn zu Gast im Korbinians Kolleg mit Korbinian Kohler. Foto: Andreas Vogt
Der eloquente Redner Michael Wolffsohn mit dem Initiator der Reihe Korbinian Kohler (v.l.). Foto: Andreas Vogt

Ein provokant gewählter Titel

Mit der Geradlinigkeit und Klarheit seiner Worte und der Brisanz seiner Themen, war der in Israel geborene und in Deutschland lebende Historiker und Publizist ein Juwel der diesjährigen Vortragsreihe im Korbinians Kolleg. Die von Korbinian Kohler initiierte philosophische Reihe zu Fragen der Zeit im Hotel Bachmair Weissach erhellt aufgeschlossenen Menschen die dunkle Jahreszeit am Tegernsee und widmete sich an diesem Abend dem Thema „Ketzerisches und Historisches zum Abendland.“

Zyklische Invasionen als Kontinuum

An so manchem Stammtisch würde gegrölt, dass wir etwas gegen die Islamisierung des Abendlandes unternehmen sollten. Kaum jemand überlege sich jedoch, was mit Abendland tatsächlich gemeint sei. Mit diesem Einstieg führte der Historiker Michael Wolffsohn in die 2.500 Jahre alte Geschichte des Abendlandes. Mit hohem Tempo und in jedem Moment spürbar profundem Wissen über Hintergründe skizzierte er die zyklischen Invasionen von Ost nach West und wieder retour. Wellenbewegungen zwischen dem Abend- und Morgenland führten zur Entwicklung beider Gebiete – durch die Abgrenzung zueinander und sich wiederholende wechselseitige Vereinnahmung und Vermischung.

War das Abendland seit jeher christlich?

Abendland – ein sich wandelnder Begriff, der bis heute Fragen aufwirft – bezüglich seiner Geschichte als auch seiner Definition. Einer der Mythen, das das Abendland immer christlich war, entlarvte Michael Wolffsohn sehr rasch. Bevor es christlich war, war es nämlich zunächst heidnisch und auch jüdisch. Die Geschichte der spannungsgeladenen Beziehung zwischen Ost und West brachte Michael Wolffsohn seinem Publikum anhand der Erzählung der markantesten historischen Ereignisse und deren Hintergründe nahe.

Entwicklung, die lange vor 2015 begann

Er widmete auch der jüngeren Geschichte Zeit. In der 1956 beginnenden Entkolonialisierung Afrikas, die mit Marokko und Tunesien begann, sieht der Professor den Wechsel von zyklischen Invasionen zur Migration. Seit damals strömen Millionen von Muslimen Richtung Abendland. Das bedeutet mehr Muslime, mehr Religion, mehr Islam, weniger Kirche, weniger Christentum. Wertfrei beschreibt er eine Bewegung, die manche Transformation, andere wiederum demografische Revolution nennen. Neben dem sich entwickelnden weltoffenen „europäischen Islams“ beobachtet der Historiker auch eine Radikalisierung einer Minderheit innerhalb des Islams.

Ungemütliche Fragen

Michael Wolffsohn öffnet viele unangenehme Fragen: Wie gehen wir mit der Tatsache um, dass wir Gastarbeiter eingeladen, also Menschen importiert haben, ohne die langfristigen Konsequenzen zu bedenken, und sie jetzt wieder loswerden wollen? Was machen wir mit der „importierten Unterschicht“, die nicht integriert worden ist? Wie treten wir Vertretern anderer Religionen gegenüber, wenn wir absolut gar nichts über das Christentum wissen? Wie reagieren wir auf den neu aufflammenden Antisemitismus, der von einer radikalen Minderheit der Muslime ausgeht? Ist der deutsche Staat noch willens und fähig, seine demokratisch legitimierten Ansprüche wie die konsequente Ausführung der Gesetze durchzusetzen? Was sind unsere abendländischen Werte und wie werden wir sie verteidigen?

Mit diesen ungemütlichen Fragen schickte der Historiker sein Publikum nach Hause. Der Abend mit ihm erfüllte seine hochgesteckten Erwartungen voll und ganz. Die Kombination von fundiertem Wissen, einem sorgfältigen Blick auf die Geschichte und eine Unerschrockenheit, die Dinge beim Namen zu nennen, ist beispielhaft. „Kein hier und heute fällt vom Himmel. Was wir heute tun, prägt das Morgen.“ Michael Wolffsohns Worte fordern auf, hinzusehen und zu handeln, hier und heute, für ein lebenswertes Morgen.

Aktuelles von Michael Wolffsohn finden Sie auf seiner Homepage. Im Korbinians Kolleg geht es am 15. März weiterhin gesellschaftspolitisch zu: „Das Ende von rechts und links. Wie sich Politik neu ordnen muss.“ Ein Vortrag von Prof. Dr. Nassehi. Hier geht es zum Programmflyer des Korbinians Kolleg.

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