Gesina Stärz in Holzkirchen
Es geschah vor zwei Jahren. So lange hat Diane Stein geschwiegen, „gegen den Schmerz“. Jetzt beginnt sie bruchstückhaft zu reden, vom Unfassbaren. Gesina Stärz las auf Einladung des Ökumenischen Gesprächskreises Holzkirchen im Thomassaal aus ihrem Roman „Kalkweiß“ und berührte die Zuhörer zutiefst.
Wie lange hält eine Frau das aus, ist die zentrale Frage des Buches. „Das hier“, so sagt Diane Stein zu dem, was sie tat, eine Distanz, die auch die Autorin herstellt, wenn sie von „der Frau“ spricht. Die Frau, die im Bad sitzt, die Frau, die mit ihrem Freund zum Essen geht, ihn aber nicht mit nach Hause nehmen kann, wegen biologischer Dinge, wie sie vorgibt, am nächsten Morgen in die Schule fährt, um das Zeugnis ihres Sohnes abzuholen. Er habe Brechdurchfall, entschuldigt sie ihn.
Die Frau, die das Zeugnis liest: Davids Verhalten gab zu Tadel Anlass, die Frau, die sich immer wieder befiehlt: Nicht denken. Die Frau, die in den Baumarkt fährt um einzukaufen und anschließend im Bad die Zeugnisse ihrer Tat beseitigt. Sie muss wissen, wie das alles passieren konnte und holt ihre Erinnerungen hervor, schaut sie an und legt sie dann wieder zurück.
Sie war Studentin als das Kind kam, der Vater hatte die Ausreise beantragt, so musste sie Studium und Kind allein bewältigen. Unsicher war sie, überfordert mit dem Kind, das ständig schrie, sich auf den Boden warf. Sie wollte nicht auffallen und bemühte sich, das Kind zu bändigen, es gelang nicht, nur Großmutter Luise fand den richtigen Ton, dann war David ruhig.
Meist aber war er nicht ruhig, 17 Jahre lang.
In der Diskussion begründete Gesina Stärz, warum sie sich diesem Thema zugewandt habe. In ihren Recherchen habe sie festgestellt, dass Frauen, die ihre Kinder töten, lange schweigen, dass sie sehr einsam sind und die Frage habe sie bewegt: Wie kann man weiterleben, wenn so etwas passiert ist.
Der Roman „Kalkweiß“ ist ein bedrückendes Buch, aus der Täterperspektive geschrieben, aufwühlend, empfehlenswert.
Im Anschluss an die Lesung stellten Claudia Mathà und Anja Schubert die Initiative Egalia aus Holzkirchen vor, die sich um junge, zumeist überforderte Frauen kümmert, die ein Baby bekommen. Man versucht, diese Frauen in Wohngemeinschaften, zu einem normalen, verantwortungsbewussten Leben zu begleiten, ihnen auch Schul- oder Ausbildung zu ermöglichen. Zumeist haben die jungen Mütter eine problematische Kindheit hinter sich und haben nicht gelernt mit Konflikten umzugehen. Diese vom Jugendamt vermittelten alleinerziehenden Mütter bekommen durch die Egalia-Mitarbeiterinnen Unterstützung, Fürsorge, im Notfall aber muss auch das Kind vor der Mutter geschützt werden.