Ihr Leben ist ein einziger Zickzack-Kurs, oder besser ein mehrgleisiger Kurs, aber Gesina Stärz ist zufrieden. Sie ist geworden was sie immer werden wollte: Schriftstellerin. Im März erscheint ihr zweiter Roman „Die Verfolgerin“, wieder das Schicksal einer Frau, die ihre Gefühle einfriert. Ebenso wie in ihrem ersten Roman „Kalkweiss“, in dem die Autorin ein Tabuthema aufgreift, den Mord einer Mutter an ihrem einzigen Sohn. Wieso befasst sich eine mitten im Leben stehende Frau mit solchen Themen?
Gesina Stärz wuchs in der DDR auf und wollte schon immer Schriftstellerin werden. Ausgangspunkt war ein Radio-Interview mit der Autorin Susan Sonntag. Diese hatte gesagt, am besten eigne sich ein Philosophiestudium mit dem breiten Spektrum an Wissen für eine Schriftstellerkarriere. Nur war die Philosophie in der DDR auf den Marxismus-Leninismus begrenzt. „Ich wollte auch die anderen 99 Prozent der Philosophie kennenlernen“, sagt Gesina Stärz. Aufgrund ihrer Aufmüpfigkeit, sie trug stolz „Schwerter zu Pflugscharen“ auf ihrem Parka, durfte sie nur das ungeliebte Lehramt Deutsch/Russisch studieren. Das hatte durch eine Schwangerschaft schnell ein Ende.
Nach der Babypause begann Gesina Stärz als Sekretärin in einer Neuropsychiatrischen Beratungsstelle im damaligen Karl-Marx-Stadt zu arbeiten. Ihr Chef entdeckte ihr therapeutisches Geschick und schickte sie zum Fernstudium als Sozialfürsorgerin, das sie vor über 20 Jahren, kurz nach der Wende, erfolgreich abschloss. Einfach war es nicht, die Wohnung ohne Bad, mit Trockenklo auf halber Treppe. Während dieser Zeit hatte sie bei einem Kongress ihren zweiten Mann kennen gelernt, der sie nach Bayern holte. Das zweite Kind kam. „Super, habe ich gedacht, endlich kann ich Philosophie studieren“, lacht Gesina Stärz. Sie hatte noch in der DDR den Film über Sophie Scholl „Die weiße Rose“ gesehen, „da wollte ich hin, an die LMU nach München.“ Einfach war es mit zwei Kindern auch jetzt nicht. Manchmal habe sie die Kinder in die Staatsbibliothek mitnehmen müssen. Das Studium enttäuschte die Wissbegierige. Zu viel kognitive, zu wenig emotionale Dinge. „Aber man braucht einen Abschluss als Eintrittskarte in diese Gesellschaft“, sagt sie. Ihr Pragmatismus half ihr, die Prüfungen zu absolvieren. Und sie warf einem Straßenmusikanten einen großen Schein in den Hut, als alles erfolgreich vorbei war.
Und was sollte nach dem Studium geschehen? Sich in die Reihe der arbeitslosen Philosophen einreihen? Wieder als Sozialpädagogin arbeiten? Nein. Anlässlich der Sonnenfinsternis 1999 entschied sie, künftig ihr Geld schreibend zu verdienen. Ganz klein fing sie an, als Journalistin und als Werbetexterin. Und daneben begann sie, ihre Romanprojekte zu verwirklichen. „Ich habe immer versucht, den Balanceakt zwischen Geld verdienen und freiem Schreiben und den Kindern zu bewältigen“, stellt sie fest. Und es gelang. Inzwischen sind die Kinder aus dem Haus, der erste Roman ist 2011 erscheinen und wurde ein Erfolg.
Der nächste Spurwechsel ist angesagt. Gesina Stärz arbeitet an ihrer Promotion. Thema „Ethik und Demenz“. Die Philosophin fragt: „Wann hat der Mensch moralische Schutzrechte?“ Aber weder mit dem Abfassen einer wissenschaftlichen Arbeit als Externe noch mit Romanschreiben kann man seinen Lebensunterhalt verdienen. Auch der Journalismus ist einem Wandel unterworfen, Zeitungen werden eingestellt, der Markt wimmelt von freien Journalisten, die ihre Texte anbieten.
Aber Gesina Stärz ist Pragmatikerin. Sie ist mit einer Halbtagsstelle in einem Pflegeheim am Starnberger See zur Sozialpädagogik zurück gekehrt. „Hier kann ich meine Erfahrungen in der wissenschaftlichen Arbeit einbringen und umgekehrt fließen die praktischen Erfahrungen in die Promotion ein“, ist sie mit dieser Tätigkeit überaus zufrieden.
„Spurwechsel ist ein Lebensprinzip“, stellt sie fest, „die Pflanze reckt sich nach dem Licht um zu überleben.“ Aber der Mensch habe zusätzlich ein Bewusstsein und könne sein Leben gestalten und bewusst entscheiden. Sie habe erfahren, dass eine gesunde Portion Pragmatismus hilfreich sei. Man müsse immer wieder überlegen, was man könne und sich dann mit Leidenschaft in die Arbeit hinein begeben. Denn was man mit Begeisterung mache, das werde auch gut.
So ist die Lebensmaxime von Gesina Stärz klar: Der inneren Stimme folgen und mit aller Kraft das verfolgen, was man wirklich wolle. Daneben aber den praktischen Belangen des Lebens ebenso gehorchen und der Notwendigkeit des Geldverdienens positive Seiten abgewinnen. „Ich spiele mit allen beruflichen Fähigkeiten, um Freiraum zum Schreiben zu haben“, fasst sie zusammen. Dabei fuhr sie immer mehrgleisig, vernachlässigte mal die eine oder andere Spur, wechselte wieder und meisterte so ihr Leben.
Die Themen für ihre Bücher kommen direkt aus dem Leben. Wenn sie etwas berühre, dann habe sie auch schnell eine Idee, wie sie das Thema anpacke, sagt sie. Sicher ist es die Arbeit als Sozialpädagogin, die sie immer wieder mit problembehafteten Menschen zusammenführt. Warum sie schreibe? Zum einen betrete jede Art von Kunst unbekannte Räume und mache sie sichtbar. Zum anderen sei das Schreiben für sie die Möglichkeit, sich mit anderen Menschen zu verbinden, mit Menschen, die sich von ihren Büchern berühren lassen. „Was das Leben lebenswert macht, sind Beziehungen“, sagt sie. Und so geht sie gerade einen neuen Weg. Nach einer Ausbildung zur Systemischen Beraterin arbeitet sie als Coach.
Um anderen Menschen behilflich zu sein, bei dem „Werde der du bist“.
Monika Ziegler
Publiziert 25. Januar 2013