Beherrschen die Toten die Lebenden?
Celino Bleiweiß beeindruckt mit neuer Inszenierung. Foto: KulturVision.
Theater in Weilheim
Mit einer werkgetreuen und dennoch modernen Inszenierung von Henrik Ibsens Familiendrama „Gespenster“ begeistert derzeit der Otterfinger Regisseur Celino Bleiweiß die Zuschauer im Weilheimer Stadttheater. Eine Reise dahin lohnt sich.
Es ist schwere Kost, wie immer bei Ibsen. Und so mancher Regisseur versuchte, das Drama ganz neu und ganz anders zu interpretieren. Die Versuchung in der heutigen Zeit, das Stück auf das Thema Sterbehilfe zu reduzieren, ist groß. Aber ihr erlag Bleiweiß nicht. Ebenso nicht dem moralisierenden Zeigefinger.
Er zeigt in seiner Auffassung die Vielschichtigkeit dieser Beziehungstragödie in sehr schlichter, zurück genommener und dadurch überzeugender Art und Weise auf. Dazu trägt auch die sparsame Ausstattung der Bühne (Andreas Arneth) bei. Ein runder Tisch mit Stühlen, alles sehr dürftig, wie das Leben der Protagonisten, denen es zumindest äußerlich gut geht.
Opfer der Moral
Welches Recht hat der Mensch auf Glück? Ist es die Pflicht, das auferlegte Kreuz mit Demut zu ertragen? Kommt alles Unglück der Welt durch die festgelegte Ordnung? Ist das Gewissen manchmal etwas Scheußliches? Suchen die Sünden der Väter die Kinder heim? Gibt es ein flammendes Strafgericht? All diese Fragen lässt Ibsen seine Figuren umtreiben.
Da ist Frau Alvin, die unter dem Joch der Ehe mit dem ausschweifenden sogenannten Ehrenmann und Kammerherrn bis zu dessen Tod durch Syphillis litt und ihrem Sohn Osvald eine glückliche Kindheit schenken wollte, indem sie ihn von der Familie entfernte. Beim Pastor suchte sie Hilfe, nicht nur religiöse, aber der pflichttreue Kirchenmann lehnte ab und wurde somit selber ein Opfer seiner sich selbst auferlegten Moral.
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Ideale gegen Wahrheit
Dem gegenüber steht der Tischler Engstrand, der das Dienstmädchen der Alvins heiratet, obwohl sie ein Kind des Kammerherrn erwartet. Diese Regine ist jetzt in der Familie Alvin als Dienstmädchen und Haustochter angestellt. Das ist die Ausgangssituation, in die Sohn Osvald, der in Paris als Maler lebte, zurückkehrt.
Die düstere Stimmung breitet sich sofort zu Beginn aus, als Alwin mit der Trompete und Schalldämpfer ein paar Takte bläst, ein gelungener dramaturgischer Kniff. In diese gedämpfte Stimmung hinein lässt nun der Regisseur seine Figuren agieren, lässt Ideale gegen Wahrheit auftreten. Und immer wieder kommen die Gespenster aus der Vergangenheit. Manchmal durch geflüsterte Erinnerungen, als der ungetreue Ehemann mit dem Dienstmädchen turtelte, oder aber als konkreter Aufguss, wenn Oswald mit Regine schäkert.
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Pflicht versus Lebensfreude
Im zweiten Teil treten die Figuren in moderner Kleidung auf. Das Stück wandelt sich hin zu zeitunabhängigen allgemeinen Fragestellungen: Wie beherrschen die Toten die Lebenden? Und gibt es daraus ein Entkommen? Wie ist das Verhältnis zwischen Pflicht und Lebensfreude? Es gibt keine missionierenden Botschaften in der Inszenierung im Weilheimer Stadttheater, statt dessen Fragen und immer wieder auch komische, witzige Momente, die dem Zuschauer in all der Schwere sehr gut tun.
Und es gibt am Ende die große offene Frage: Wird Frau Alvin ihrem Sohn seinen letzten Wunsch erfüllen? Yvonne Brosch ist eine authentische, vom Leben enttäuschte, das Beste für den Sohn wollende Mutter. Peter Musäus leidet offensichtlich unter seinem Kampf zwischen Pflicht und Freude. Sebastian M. Winkler will seine Krankheit nicht akzeptieren, ergibt sich dem Alkohol und seiner Zuneigung zu Regine. Katharina von Harsdorf aber ist ein nur ein nach ihrem Vorteil ausspähendes Biest, währenddessen Winfried Hübner als ihr Ziehvater den schlitzohrigen Tischler gibt. Sehr empfehlenswert!