Giovanni Segantini: Tastatur des Lichtes und des Schattens
Giovanni Segantini – „Mittag in den Alpen“. Foto: segantini-film.ch
Kino in Weissach
Der Ostwind stöhnt wie ein Tier, das in der Ferne stirbt
„Kunst, welche den Betrachter kalt lässt, hat keine Daseinsberechtigung“, hat Giovanni Segantini gesagt, und genau das ist es, was sich in seinem Leben und seiner Arbeit widerspiegelt. Malerei müsse zum Medium aller Gefühle der Liebe, der Trauer, des Schmerzes und der Freude werden, das war sein Credo. Regisseur Christian Labhart hat sich in seinem Film auf die Spur der Essenz von Segantinis Kunst und Lebensphilosophie begeben.
Schön ist der Traum, aber das Leben tötet
In langsamem Tempo wandert das Auge des Betrachters über zerklüftete Bergkämme, folgt den Farbnuancen, der Bewegung des Pinsels. Früh schon hatte Segantini erkannt, dass beim Anmischen der Farben weder Licht noch Luft entstehen kann. Daher hatte er begonnen, die Farben unvermischt, in feinen, einzelnen Pinselstrichen nebeneinander auf die Leinwand zu bringen. Es ist das Flimmern der einzelnen Farben, die Segantinis Bilder derartig lebendig erscheinen lassen, geleitet von seinem innersten Bestreben, durch das Malen seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Der frühe Verlust von Mutter und Heimat hatte bei Segantini eine schmerzhafte Einsamkeit des Herzens erzeugt, die ihn durch sein ganzes Leben begleitete. Seine Bilder erzählen Geschichten vom einfachen Leben in den Bergen, von Tagelöhnern, Bauern, Mensch und Tier, Müttern und Kindern, denen er sanfte Gesichtszüge verleiht. Es ist der Friede, den er suchte und fand, die „unendliche menschliche Kleinheit vorm Gebirge“, das Licht in der Höhe, die Stimmung am Abend, das Morgenlicht. Segantini starb nur einundvierzigjährig, mitten in der Arbeit an seinem Alpentryptichon „Leben – Natur – Tod“ im September 1899 auf einer Hütte auf dem Schafberg oberhalb von Pontresina. Dort oben hatte er das ideale Licht gefunden, das seine Bilder in Magie hüllt und den Betrachter tief im Inneren berührt.
Kunst ohne Ideal ist wie Natur ohne Leben
Der Film bemüht keine kunstgeschichtlichen Expertenkommentare. Statt dessen liest Bruno Ganz aus Tagebüchern und Briefen, ergänzt von Auszügen aus der Romanbiographie von Asta Scheib „Das Schönste, was ich sah“, gelesen von Mona Petri. Neben der Detailtreue der Bilder und Fotografien ist die Musik von berührender Klarheit und Tiefe. Insbesondere die ungewöhnliche Stimme von Countertenor Franz Vitzthum vermag es, den nie überwundenen Schmerz aus Segantinis Kindheit, seine Melancholie und das brennende Bedürfnis nach Liebe, aber auch die Einsamkeit und Erhabenheit der Bergwelt plastisch darzustellen. Es ist ein stiller, meditativer Film, den Regisseur Christian Labhart geschaffen hat. Eine betörend schöne, intensive Hommage an einen Menschen, der aus dem Dunkel heraus die Magie des Lichts gesucht und gefunden hat.
Trotz Sonderprogramm schließt der Vorhang
Während der Sonderprogrammwoche wurden außerdem gezeigt: „Die Magie der Moore“ von Jan Haft; „Je suis Charlie“ von Daniel Leconte und Emmanuel Leconte, „Paco de Lucía“ von Curro Sánchez, „Die Kunst des Belcanto“ von Stefan Pannen und „Dior und ich“ von Regisseur Fréderéc Tcheng.
Nach der Übernahme des Kinos von ihrem Vater 2014 führte die Inhaberin Julia Strelow Sonntagsmatineen ein, holte Schauspieler und Regisseure zum Filmgespräch, stemmte einen Spagat zwischen außergewöhnlichem Programmkino und Kassenschlager, alles dennoch vergebens. Der Kinobetrieb ist wegen der zu hohen Fixkosten nicht rentabel. Und seitens der Gemeinden rund um den Tegernsee gibt es keine finanzielle Unterstützung für diese Art von Kulturbetrieb. Es ist jammerschade, dass dieses mit Herzblut geführte kleine Kino nach Ostern seine Vorhänge zum letzten Mal schließen wird.