Glück und Fluch
Christoph Hein. Foto: Monika Ziegler
Neuerscheinung auf dem Buchmarkt
Christoph Hein war in der DDR ein beachteter und beliebter Schriftsteller. Und er blieb es, auch nach der Wiedervereinigung, an der viele Künstler resignierten. Hein nicht, nach wie vor sieht er die gesellschaftlichen Spannungen, aber auch die persönlichen Widersprüche und Verstrickungen und arbeitet sie in seinen Romanen systematisch, geschichtskompetent und mit sehr viel Feingefühl und erzählerischer Finesse auf.
In „Glückskind mit Vater“ ist es eine junge unbedarfte Journalistin, die zum auslösenden Moment für die Reflexion des Protagonisten wird. Konstantin Boggosch soll der Praktikantin ein Interview geben, Anlass ist die Restaurierung des Gymnasiums und der ehemalige Direktor soll über sich, seine Vergangenheit, die Schule, die Stadt erzählen.
Vater wurde als Kriegsverbrecher gehenkt
Christoph Hein erzählt die etwa 60jährige Geschichte aus verschiedenen Perspektiven, einmal aus der Ich-Sicht von Boggosch, aber auch aus der des Erzählers. Es beginnt mit dem Kriegsende, seiner Geburt und hier ist es die Mutter, aus deren Erzählungen der Junge schöpft. Ihr Glückskind sei er gewesen, denn da sie hochschwanger war, wurde sie nicht verhaftet, als die Familie die Fabrikbesitzersvilla verlassen muss.
Der Leser erfährt, wie die Mutter die Identität des Vaters lange Zeit verschweigt, dieses Gerhard Müller, Besitzer der Vulcano-Werke und Kriegsverbrecher, nach dem Krieg in Polen gehenkt, sie nahm einfach wieder ihren Mädchennamen an. Aber Konstantin wird immer wieder mit dem toten Vater konfrontiert, kann ihn nicht abschütteln oder ihn glorifizieren, wie es sein älterer Bruder tut. Ein höherer Schulabschluss ist ihm verwehrt.
Unterschlupf bei französischen Widerstandskämpfern
Auch die Flucht aus der DDR mit 16 Jahren, sein missglückter Versuch in Marseille bei der Fremdenlegion anzuheuern und schließlich sein Unterschlupf bei ehemaligen französischen Widerstandskämpfern, für die er Übersetzungen macht, hilft nichts, denn gerade dort kommt das Gespenst des Vaters wieder ans Licht. Und Konstantin flieht erneut.
Exakt am Tag des Mauerbaus, dem 13. August 1961, entschließt er sich wieder in die DDR zurück zu kehren. Einfach ist das nicht, letztlich aber gelingt es ihm und er kann sogar sein Abitur nachmachen, studieren und wird Lehrer. Und der Vater holt ihn auch jetzt immer wieder ein, entweder direkt oder über seinen Bruder, Konstantin Boggosch ist und bleibt eine gebeutelte Existenz, vor der auch persönliche Schicksalsschläge nicht halt machen.
Christoph Hein vermag es, den Leser nicht mehr los zu lassen, es geht nicht allein darum, wie die Geschichte ausgeht, ob der Protagonist doch noch zu einem erfüllten Leben gelangt, sondern es geht vielmehr um die allgemeinen Fragen der menschlichen Existenz, die Frage des Ausgeliefertseins von der Herkunft, die Frage der Abhängigkeit vom System und die Frage, ob ich mich durch Flucht diesen Dingen entziehen kann. „Glückskind mit Vater“ ist ein ganz großer Roman, der die deutsche Geschichte durch ein Einzelschicksal aufarbeitet.