Burkina Faso: Die Gold-Gräber
Die Gier nach Gold lässt sie alles andere vergessen: Tausende Menschen suchen in der trockenen Erde von Burkina Faso nach ein paar Körnern Edelmetall. Männer, Frauen und Kinder – alle träumen vom schnellen Reichtum, und werden doch meistens enttäuscht. Foto: missio München
In unserem heutigen sonntäglichen Beitrag veröffentlichen wir eine Reportage von Christian Selbherr. Er ist ist Redakteur beim missio magazin, das beim Internationalen Katholischen Hilfswerk missio München erscheint. In der Region ist er als Schauspieler bei den Waller Brettlhupfern und im Foolstheater bekannt.
Schnell jetzt, sonst wird es knapp. Wenn Issaka Zongo nicht aufpasst, dann werden die anderen vielleicht ersticken. Issaka wedelt mit einem großen Stück Plastikplane durch die Luft, das von einem leeren Reissack stammt. Vor ihm ist ein großes Loch. Der Eingang in den Stollen. Dreißig Meter geht es senkrecht hinunter in die Tiefe. Dort unten ist es dunkel, und der Sauerstoff ist schnell verbraucht. Also muss Issaka Luft nach unten blasen, irgendwie.
Issaka ist erst zehn Jahre alt, aber schon Teil eines Goldsuchertrupps, der hier im Osten von Burkina Faso nur ein Ziel hat: reich werden. Und zwar schnell.
„Los, ihr könnt jetzt ziehen!“, ruft es plötzlich aus dem Erdloch nach oben. Sofort fangen zwei weitere Jungen an zu kurbeln. Die Eisenstange, die sie zur Kurbel zusammengeschweißt haben, dreht sich und wickelt das dicke braune Seil um sich herum – solange, bis ein Eimer Sand nach oben kommt.
Jeder hat seine Aufgabe. Foto: missio München
So hat jeder seine Aufgabe: Der Kleinste fächert lebensnotwendige Luft, die anderen graben sich durch den Stollen, die nächsten verladen den Sand und liefern ihn am Waschplatz ab. Jetzt muss ja noch das edle Metall herausgewaschen werden.
Lehmbrocken und Steine alleine sind gar nichts wert „Es ist eine richtige kleine Industrie hier,“ sagt auch Jacob Lompo. Der katholische Priester kennt die Region, er besucht die Goldsucher regelmäßig und versucht, ihnen beizustehen. Und das, was er hört und sieht, lässt ihn manchmal verzweifeln. „Wir erleben hier eine Hölle unter freiem Himmel.“
Samuel Bougouma ist 27. Vor etwas mehr als einem Jahr hörte er in seinem Heimatdorf zum ersten Mal: „Geh nach Pama. Dort gibt es Gold. Dann wirst du reich.“ Doch er wollte sichergehen. Mit einigen Freunden erkundete er die Gegend. Manche hatten Wünschelruten und Metalldetektoren in den Händen. Am Ende entschieden sie: Ja, das kann etwas werden. Wir versuchen es.
Mit bloßen Händen und einfachen Schaufeln fingen sie an zu graben. Heute ist Samuel Bougouma Chef einer „Equipe“, wie er es nennt. Acht weitere Jungen arbeiten für ihn. „Was bleibt uns übrig,“ sagt Samuel Bougouma. „Wir müssen eben hart arbeiten, wenn es sonst kein Leben gibt.“
Es herrschen Gewalt, Gier und Ausbeutung
Er hat mit seinen Leuten eine einfache Regelung getroffen: Von fünf Säcken Sand, die sie aus der Erde herausziehen, behält er zwei für sich selbst. Die anderen drei Sandsäcke dürfen sich seine Arbeiter teilen und ihren Inhalt verkaufen. Geld gibt er ihnen keines. „Aber ich zahle das Essen für sie.“
Kommt aus dem Sand ein Körnchen Gold heraus, dann gibt es Geld – durch die Siedlungen der Goldsucher ziehen Aufkäufer und sammeln die Fundstücke ein, gegen Bargeld. Über die Preise redet man nicht so gern – die Nachbarn hören mit. „Manche haben für ein kleines Stück zehn Millionen Francs bekommen“, behauptet einer. Was davon stimmt, weiß keiner.
Aber die Hoffnung auf Reichtum wächst dadurch nur weiter. Und die Gier. „Gerade gestern gab es wieder einen Überfall,“ berichtet ein anderer im Stillen. Es gab Streit um einen Fund, plötzlich kamen einige Männer, beanspruchten das Grundstück für sich und forderten ihren Anteil.
Eigentlich wollen die meisten hier Geld verdienen und es sparen, oder zumindest nach Hause schicken, damit dort ihre Verwandten davon leben können. Aber die meisten geben ihr hart verdientes Goldgeld sofort wieder aus. Nicht nur viele hundert Goldgräberzelte haben sich um Pama angesiedelt, auch eine ganze Ladenstraße ist bereits entstanden. Hier gibt es Händler, die neue Lederschuhe, modische Jeans und prächtige Gürtel anbieten. Dazu Mobiltelefone, vermutlich gebrauchte Ware aus Europa.
Sie schaufeln sich vielleicht nur ihr eigenes Grab
Vor allem junge Männer suchen hier ihr Glück. Aber nicht nur. Nicht weit vom von der „Equipe“ um Samuel Bougouma müht sich eine Frau mit einer kleinen Spitzhacke. Sie hat wenig Zeit zum Reden, denn auch sie will ein Goldloch graben. „Ich muss Geld verdienen“, sagt sie. „Ich bin Witwe und habe fünf Kinder“. Vor zwei Monaten kam sie alleine hierher. Wie soll das gehen, denkt sich Jacob Lompo und schüttelt den Kopf. Bis die Frau irgendetwas in der Tiefe finden kann, werden viele Stunden harte Arbeit vergehen. „Sie schaufeln sich ihr eigenes Grab“, sagt der Priester. Er hat Recht. „Gold-Gräber“, sozusagen.
Graben nach Gold. Foto: missio München
Gibt es gar keinen Ausweg? Christine Ouedraogo sah nur eine einzige Möglichkeit: Flucht. Es war vor knapp zwei Jahren, als die damals 18 Jahre alte Christine Teil eines Geschäftes werden sollte. Ihr Vater schuldete einem Nachbarn einen Gefallen. So genau weiß es das Mädchen nicht, aber offenbar hatte der andere ihrem Vater auf den Goldfeldern geholfen.
Zum Dank entschied der Vater: Du bekommst meine Tochter zur Frau. Wie gesagt: Christine war kaum 18. Der Mann war über 60, und schon mehrmals verheiratet. Sie selbst wurde nicht gefragt. Also lief sie davon, irgendwohin in die nächste kleine Stadt, Fada N’Gourma.
Nur langsam und mit leiser Stimme erzählt sie ihre Geschichte. Zu frisch sind die Erinnerungen noch immer. Denn eines ist im Moment ganz klar: Sie kann nicht mehr zu ihrer Familie zurück. Schließlich hat sie deren Geschäft durchkreuzt, und ihrem Vater Schande bereitet. „Ich bin froh, dass ich jetzt hier leben kann“, sagt die 20-Jährige.
Sie arbeitet in der Küche bei katholischen Ordensschwestern, die nebenan ein Internat für Mädchen aus den Dörfern betreiben. Die meisten von ihnen haben Ähnliches erlebt.
Der Rausch um Reichtum und die Gier nach Gold versetzen das ganze Land in Aufruhr. Und nicht nur das. Auch die Natur nimmt großen Schaden. Jacob Lompo kommt selbst aus dieser Gegend, er kann sich noch gut erinnern, wie die Goldgräberstätte von Pama früher aussah.
Der Wald verschwindet, das Wasser wird knapp
„Hier war alles mit Bäumen bewachsen.“ Manchen Familien war der Wald heilig, er war für sie ein Ort, in dem die Geister der Verstorbenen wohnten. Ein angrenzendes Waldgebiet ist zum Nationalpark erklärt worden und steht unter staatlichem Schutz. Doch an seinen Rändern werden immer mehr Bäume abgeschlagen, und die Pickel und Schaufeln der Goldgräber fressen sich ins Erdreich hinein. „Diese Zerstörung ist dramatisch“, betont Jacob Lompo.
Und erst das Wasser! Um das Gold aus dem Lehm herauszuwaschen, brauchen die Goldsucher viele Liter kostbares Grundwasser. Im Dorf Tintangou gibt es einen Brunnen, der vor einer Weile gebohrt wurde. Ein Entwicklungsprojekt, es sollte Menschen und Tiere mit sauberem Wasser versorgen. Heute sprudelt das Wasser tatsächlich.
Aber es sind die motorisierten Dreiräder der chinesischen Marke „Apsonic“, die kanisterweise Wasser abtransportieren. Kleine Kuriere, die für 50 CFA (8 Cent) drei Kanister an die Goldsucher liefern. Auch sie sind ein Teil des Geschäfts. Das Grundstück freilich, und auch der Brunnen, der darauf steht, gehört einem Geschäftsmann, der regelmäßig seinen Anteil kassiert.
Neben der Wasserstelle baut er sich gerade ein neues Haus. „Sein Schloss“, wie einer der Wasserhändler mit nur leichtem Lächeln erzählt. Dann schwingt er sich auf sein Motorrad, denn die nächste Lieferung soll pünktlich bei den Goldwäschern eintreffen. Sonst gibt es kein Geld.
„Kein Geld“. Das ist der Grund, den Jacob Lompo immer hört, wenn er fragt, warum die Menschen das hohe Risiko in den Goldminen auf sich nehmen. „Kein Geld, und keine Arbeit.“ Daran muss sich endlich etwas ändern, sagt der Priester. Die neue Regierung in der Hauptstadt Ouagadougou hat inzwischen erklärt, dass sie die Ausbeutung und die Zustände in den kleinen Minen bekämpfen möchte.
Es würde schon genügen, sagt Jacob Lompo, wenn die Regierung die örtlichen Gemeinden und Behörden an den Einkünften aus den Rohstoffgeschäften mit ausländischen Konzernen beteiligen würde.
Dann könnte man den örtlichen Bürgermeister oder den Stadtrat dazu bringen, das Geld für den Bau von Schulen, Straßen und Krankenhäusern zu verwenden. „Aber das passiert immer noch viel zu selten,“ sagt Lompo.
Es muss einen anderen Weg geben, um zu überleben
Die katholische Kirche hat in der Region eine Reihe von Schulen erweitert oder sogar neu gebaut. „Wir müssen den Menschen eine Schulbildung ermöglichen, damit sie einen besseren Beruf erlernen können.“ Auch Jacob Lompo weiß, dass es viele Rückschläge gibt. Oft genug kommt es vor, dass sie nach den Ferien die Schule wieder öffnen – aber dann fehlt die halbe Klasse, weil die Eltern der Kinder entschieden haben: „Wir brauchen euch zu Hause!“ Dann gehen sie auf Goldsuche, und kommen vielleicht nie mehr zurück. Doch warum aufgeben?
„Der Kampf gegen die Armut ist noch nicht zu Ende,“ sagt Jacob Lompo. „Er hat gerade erst begonnen. Wir machen weiter.“
Die jungen Goldgräber um Samuel Bourouma liegen nun unter dem Plastikzelt. Sie sind völlig erschöpft. Der Arbeitstag geht seinem Ende zu. Einer nähert sich über dem Erdhügel von nebenan. Er trägt einen dampfenden Kochtopf in den Händen. Sie heben den Deckel, einige Portionen Hirsebrei, immerhin. Heute gibt es ein Abendessen. Es muss ein guter Tag gewesen sein.
Mehr dazu auf: http://www.missio.com