Großartiges Sittengemälde Bayerns vor 100 Jahren
Udo Wachtveitl. Foto: Petra Kurbjuhn
Musikalische Lesung in Holzkirchen
„Mörderisches Bayern“ so nennt sich die szenische Lesung von Udo Wachtveitl mit Hans Kriss, der die verbindenen Texte las und dem Trio Sebi Tramontana (Posaune), Erwin Rehling (Percussion) und Andreas Koll (Akkordeon und Komposition). In einer gelungenen Komposition sind Szenen aus drei Büchern von Robert Hültner, „ein Freund von uns“, wie Wachtveitl verriet, zu einem harmonischen Ganzen gefügt. Mit diesen Texten entwerfen die Darsteller ein Sittengemälde des Bayern vor zirka 100 Jahren.
Normalerweise, so erläuterte Wachtveitl, kenne man ihn als Tatortkommissar, der gemeinsam mit einem Kroaten einen Mord aufklärt. Heute aber gebe es mehrere Tote und aufgekärt werde auch nicht alles. Darum ging es aber auch gar nicht, sondern vielmehr um die Zwischentöne und Hintergründe, die der Autor in seinen Texten versteckt.
Kongenial verkörperte Milieutypen
Es geht um die unterschiedlichsten Milieutypen, die Wachtveitl kongenial verkörpert, mit wenig Gestik, dafür maximaler Stimmvariation. Und das, obwohl der Schauspieler derb durch eine Erkältung angeschlagen war. Mit Tee und Hustenbonbons hielt er sich wacker den Abend durch, obwohl ihn immer wieder der Husten beutelte. Echter disziplinierter Profi, der zuweilen sogar seine Krankheit in den Text einbaute, wenn es da um Husten ging.
Er stellte den Inspektor Paul Kajetan ebenso gelungen dar wie den entmündigten Baron Gassner, der von landfremden Elementen und Band des Blutes faselt. Er liest stockend den Brief an die Schwester in den USA, in dem es um den Mord an einer 16-Jährigen geht, Kind der Magd, und er schlüpft ganz großartig in die Rollen der Polizisten, die den verhafteten Kajetan zusammenprügeln. Er fängt die flirrende Hitze des Sommers ein, erzählt vom zwielichtigen Urban und der Zuhörer wird Zeuge der Liebesszene Kajetans mit Mia. Ob Stationsvorsteher oder blinde Oma, Wachtveitl verleiht jeder Figur durch seine modulationsfähige und vom Duktus her angepasste Sprache den passenden Charakter.
Verrückte Töne auf der Posaune
Hans Kriss‘ ruhige Erzählweise harmoniert zu diesem Feuerwerk an Sprachkunst besonders gut. Und natürlich die drei Musiker. Beschreibbar ist das kaum, wie sie die jeweiligen Szenen in Geräusche umsetzen. Kaum wird von Schüssen und Räterepublik geredet, setzen das Schlagzeug, Posaune und Akkordeon um. Ist von Strafversetzung die Rede, ertönen traurige Klänge. Man hört die schmutzige Hitze ebenso wie verdorrte Äste. Schräg ist das, insbesondere Sebi Tramontana bringt das Publikum mit seinen verrückten Tönen auf der Posaune immer wieder zum Lachen, aber nicht nur das. Kompositionen und Wiedergabe sind keineswegs Beiwerk, sondern eigenständige Kunst, die die Lesung ganz besonders beleben.
Der Abend schließt mit einer Frage: Zweifelt jemand am Gerechtigkeitssinn der Obrigkeit? Damit das aber nicht so tragisch endet, macht Udo Wachtveitl noch ein dickes Kompliment. Kulturverständig und musikalisch feinst verständig seien die Holzkirchner. Und so hätten sie auch als bisher einziges Publikum die Lesung mit Husten bekommen. Danke, Udo Wachtveitl, das Kompliment verdienen ganz allein Sie. Andere hätten den Abend abgesagt. Und die Holzkirchner wären um eine genussreiche Veranstaltung gekommen.