Grundeinkommen für Kulturschaffende
Cover „Inne halten. Chronik einer Krise“. Foto: MZ
Neuerscheinung auf dem Buchmarkt
Um die Organisation und Struktur der Kulturpolitik geht es in dem zweiten Gespräch des Buches „Inne halten. Chronik einer Krise“. Wie kann die Kultur am besten überleben? Welche Formen in Städten und Landkreisen trotzen den aktuellen Problemen?
Jonas Zipf, Werkleiter von JenaKultur hat zu diesem Thema mit Thomas Oberender, Direktor der Berliner Festspiele, gesprochen.
Ein Ansprechpartner für Kultur
Auch wenn Jena und Berlin eine andere Liga als der Landkreis Miesbach sind, können wertvolle Impulse aus dem Gespräch gewonnen werden. Einen Ansprechpartner in Sachen Kultur, das ist der Mehrwert, den das Konstrukt JenaKultur bietet. Diese Einrichtung bündelt nicht nur organisatorische Synergien, sondern schafft auch inhaltliche Querverbindungen der einzelnen Kultureinrichtungen. Ähnlich, aber noch in größerem Rahmen arbeiten die Berliner Festspiele, die eine eigene kulturelle Einrichtung des Bundes sind.
Die beiden Kulturmanager beleuchten in ihrem Telefonat eine gerechte Bezahlung von Honorarkräften der freien Kulturszene. Schließlich, so Thomas Oberender, leben Kulturhäuser und Festivals davon, „dass es eine professionelle freie Szene gibt, die innovativ und sozial engagiert produziert“. Damit aber würde gerade jetzt in der Pandemie das Risiko und die Härten in Richtung der Freiberufler verschoben. Jonas Zipf plädiert dafür, dass der gesamte kulturelle Bereich einer Stadt oder eines Landes in einer Kulturinstitution vereinigt werden müsse, die durch einen Gesamtzuschuss finanziert wird.
Bedingungsloses Grundeinkommen
Ein sehr gutes Werkzeug für die Zukunft sei das bedingungslose Grundeinkommen, argumentiert Thomas Oberender. Damit würde die Entscheidung der Kulturschaffenden, wo sie arbeiten wollen, abgekoppelt von der Existenznot.
Das Verhältnis von Kunst und Institution sei ähnlich wie das Verhältnis des Dionysischen und des Apollinischen, man brauche beides, die ungerichtete Kraft und die Formgebung, sagt Jonas Zipf. Dieses Spannungsfeld könne durch das Grundeinkommen aufgelöst werden. Und auch die so häufige Selbstausbeutung der Kulturschaffenden könne aufhören.
Virus und Klima schicksalhaft
„Was können wir aus Corona lernen?“, fragt Jonas Zipf. Sicher doch, dass wir in der vergangenen Zeit die außerhalb des Menschen wirkenden Kräfte vernachlässigt haben. Denn nicht nur das Virus, sondern auch andere große Fragen wie das Klima seien heute schicksalhaft: „Wie dünn ist die Schicht unserer Zivilisation?“ und „Wie schnell gehe es womöglich nur noch ums Fressen und Überleben?“
Zurück zur Kultur kommend, konstatiert der Jenaer, dass Kultur in unserer jetzigen Zeit, die als Anthropozän bezeichnet wird, doch nur heißen könne zu fragen: „Wie zeigt sich unser Verhältnis zur Natur?“
Ausnahmesituation nutzen
Thomas Oberender stimmt zu und ergänzt, man müsse andere Akteure als die menschlichen sicht- und hörbar machen. Im Gegensatz zu früheren Revolutionen, bei denen die Akteure das Ziel schon kannten, wisse man bei Covid eben nicht, wohin die Reise gehe. Diese globale Erfahrung einer Ausnahmesituation und Offenheit müsse genutzt werden.
Und zwar in einem verantwortungsvollen Sinne, meint Jonas Zipf, indem man sich nicht auf die Verteilungskämpfe einlasse. Es komme jetzt eben nicht darauf an, über virtuelle Angebote möglichst präsent zu sein. Im Gegenteil müssten jetzt Kulturschaffende der Gemeinschaft zurufen, sozial zu handeln, anstatt Verteilungskämpfe zu führen. Dazu aber gehöre, dass man materielle von immateriellen Werten trennen könne.
Der Angst Raum und Würde geben
Das wertvollste Geschenk der Pandemie sei die Nachdenklichkeit, fügt Thomas Oberender hinzu. Es gehe nicht darum etwas aus der Krise zu lernen, sondern darum die Pause auszuhalten. Dabei vergleicht der Kulturmanager die derzeitige Situation mit der 89er Revolution. Auch damals gab es kein Programm, nur Offenheit. Zu diesem Prozess gehöre auch der Faktor Angst. Und gerade die Kultur müsse diesem Gefühl Raum und Würde geben.
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