Das deutsche Grundgesetz mit Leben erfüllen
Sechs Initiativen waren eingeladen, um das deutsche Grundgestz zu diskutieren. Foto: Sebastian Oppermann
Podiumsdiskussion in Holzkirchen
70 Jahre Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ist ein Grund zu feiern, meinte Volker Camehn und lud sich sechs Vertreter von Initiativen ins Foolstheater ein, die ihre Auslegungen und ihre Wünsche formulierten. Der Poet selbst würzte mit seinen Gedichten.
„Wie oft kommt das Wort „Liebe“ im Grundgesetz vor?“ fragte der Otterfinger das Publikum und antwortete: „Einmal, nämlich im Wort Kriegshinterbliebene.“ Und wurde dann ernst. Das Grundgesetz, als Provisorium gedacht, sei eine fragile Angelegenheit. „Man muss dafür streiten“, sagte Volker Camehn. Und eigentlich dürfe man der AfD dankbar sein, dass sie Änderungen des Grundgesetzes fordere, denn so werde man wieder einmal sensibilisiert dafür, wie wichtig dieses Papier sei. Man müsse allen dankbar sein, die das Grundgesetz mit Leben erfüllen.
Grundgesetz ist wunderbares Grundgerüst
Alle sechs Diskutanten waren sich einig, dass das deutsche Grundgesetz ein wunderbares Grundgerüst sei, das insbesondere in die Schulen gehöre und dessen Einhaltung von der Zivilgesellschaft eingefordert werden müsse.
Das Podium im Foolstheater. Foto: MZ
Werner Schmid vertritt die Zivilcourage Miesbach und bedauerte, dass das Wort nicht im Grundgesetz vorkommen, stattdessen aber Widerstandsrecht.
Recht auf Unversehrtheit
Für ihn ist Artikel 2, wo es unter anderem um das Recht auf Unversehrtheit geht, wichtig. Die Zivilcourage Miesbach kämpfte erfolgreich für einen gentechnik- und glyphosatfreien Landkreis. „Die gesundheitsschädigungen durch Glyphosat sind nicht reversibel“, sagte er und so fühle sich seine Initiative durch das Grundgesetz bestärkt.
Volker Camehn, Hartmut Romanski, Werner Schmid und Hubert Heinhold (v.l.). Foto: MZ
Auch Hartmut Romanski, der den ADFC-Vorstand Miesbach im Podium vertrat, bezog sich auf Artikel 2. Für Schadstoffverringerung durch Umstieg vom Auto aufs Fahrrad kämpft der Kreisverband Miesbach seit 27 Jahren.
Romanski lobte die Vorreiterrolle Holzkirchens im Gegensatz zu Miesbach, wo das ADFC-Verkehrskonzept seit Jahren auf Eis liegt. In Holzkirchen aber dürfen Radfahrer Einbahnstraßen in der anderen Richtung befahren.
Forschung von Lobbyisten abhängig
Auch Artikel 20 A, in dem es um den Schutz natürlicher Lebensgrundlagen geht, betreffe beide Initiativen, waren sich Schmidt und Romanski einig. Nur leider sei die Forschung nicht frei, sondern über Drittmittel von Lobbyisten abhängig. Und deshalb gebe es eben kein Tempolimit auf deutschen Autobahnen.
Sebastian Oppermann und Bernard Brown (v.l.). Foto: MZ
Als kostbaren Schatz bezeichnete Bernard Brown von amnesty international das deutsche Grundgesetz. In England gebe es nichts Vergleichbares, sagte der Brite.
Todesstrafe im Iran
Und im Iran ebenfalls nicht, dort seien Gewerkschaften verboten, die Todesstrafe und Folterungen erlaubt. „Die Werte des Grundgesetzes sind für uns alle selbstverständlich“, betonte er, „aber sie sind es eben in anderen Ländern nicht, deshalb müssen wir das Grundgesetz würdigen.“
Mit seinem Gedicht:
„Ich habe keine Angst vor denen, die marschieren
Ich habe Angst vor denen, die am Rand stehen“
brachte Volker Camehn seine Gefühle zum Ausdruck.
Lesetipp: Ein Prost auf die Prosa
Bernard Brown und Verena Schmidt-Völlmecke. Foto: MZ
Artikel 3, die Gleichheit vor dem Gesetz, hatte sich SPD-Politikerin Verena Schmidt-Völlmecke vorgenommen. Noch immer gebe es in den Dax-Vorständen mehr Männer als Frauen und auch auf diesem Podium sei sie die einzige Frau. Politik funktioniere nur, wenn sich alle Menschen engagieren und Mut und Frustrationstoleranz aufbringen.
Sie plädierte auch für mehr Medienkompetenz, denn es gebe zwar die Pressefreiheit, aber freie Meinungsäußerung im Netz bedürfe der Kontrolle.
Eigentum verpflichtet
Die Bürgerinitiative „Gemeinsam anders wohnen“ möchte mit ihrem Genossenschaftsmodell bezahlbaren Wohnraum in Holzkirchen schaffen, wobei der Gemeinschaftsgedanke im Vordergrund steht.
Initiator Sebastian Oppermann bezog sich auf Artikel 14, in dem steht, dass Eigentum nicht nur geschützt werden muss, sondern auch verpflichtet. Eigentum darf also nicht zum Schaden anderer verwendet werden, deshalb sei der Genossenschaftsgedanke der Idealzustand im Sinne des Grundgesetzes.
Werner Schmidt und Hubert Heinhold. Foto: MZ
„Wir hatten in Deutschland ein Grundrecht auf Asyl, aber seit der Grundgesetzänderung 1993 bekommen nur noch knapp zwei Prozent Asyl“, kritisierte Rechtsanwalt Hubert Heinhold von Pro Asyl die aktuelle Lage.
Asyl-Grundrecht ist ein Fake
„Das Asyl-Grundrecht ist ein Fake“, stellte er klar. Natürlich gebe es auch Missbrauch von Seiten Asylsuchender, aber die Durchsetzung des Rückkehrgesetzes, das er Hau-ab-Gesetz nannte, sei beschämend. Die Menschen müssten in Justizvollzugsanstalten auf ihre Abschiebung warten.
Die Wünsche der Diskutanten an das Geburtstagskind:
- Sebastian Oppermann: Bleib wie du bist
- Bernard Brown: Wir müssen das Grundgesetz als Auftrag sehen, wir sind auch für unser Schweigen verantwortlich.
- Verena Schmidt-Vollmecke: Wenn wir es nicht leben, funktioniert es nicht.
- Volker Camehn: Ich wünsche mir, dass „Würde“ kein Konjunktiv ist.
- Hartmut Romanski: Ich wünsche mir, dass der Umweltaspekt noch Eingang findet.
- Werner Schmidt: Wir müssen über die parlamentarische Demokratie nachdenken. Und Artenvielfalt und Klimaschutz sollten einfließen.
- Hubert Heinhold: Ich wünsche mir, dass Kinderrechte aufgenommen werden. Und Verfassungspatriotismus könnte ein Bindeglied zur Gesellschaft sein.