Kunst in Hülle und Fülle

gruppe 4+ im Jagerhaus: Hilo Fuchs, Josef Klingshirn, Christine Renner und als Gastkünstlerin Lisa Mayerhofer. Foto: IW

Ausstellung am Tegernsee

Im Jagerhaus Gmund öffnet derzeit die Ausstellung der gruppe 4+ ihre Pforten: Hilo Fuchs, Josef Klingshirn und Christine Renner, die als Gastkünstlerin Lisa Mayerhofer einluden. Zu sehen sind Malerei, Zeichnungen, Fotografien, Installation und Keramikkunst. Damit ist „in Hülle und Fülle“ eine Vielfalt an Kunststilen, Materialien und Herangehensweisen zu sehen. Sie machen die Räume zu einem Parcours des Staunens und Entdeckens.

Die aktuell drei Mitglieder der gruppe 4+ zeigen, dass sie seit 2019 hervorragend miteinander können, und laden stets einen Gastkünstler, eine Gastkünstlerin ein, um Vielfalt zu zeigen. Die Tegernseer Künstlerin Hilo Fuchs hat diesmal für die gemeinsame Ausstellung „Hülle & Fülle“ das Konzept entwickelt. Hat sich Schritt für Schritt mit ihren Mitstreitenden an das Thema und an die Räumlichkeiten herangetastet. Neu und eine großartige Erfahrung ist, dass alle vier dort einen eigenen Raum „bespielen“ können. Derart verdichtet, sind die Werke sowie die unterschiedlichen Arbeits- und Lebensphilosophien der vier Kunstschaffenden noch intensiver erfahrbar.  An den Wänden im Flur, in zwei Räumen und einer Videopräsentation ist eine Fülle der Gemeinsamkeiten präsentiert. Über den Bildschirm läuft zudem eine Auswahl aus Tausenden von Afrika-Fotos. Diese sammelte Josef Klingshirn in Reisen über 30 Jahre hinweg quer auf dem afrikanischen Kontinent.

Josef Klingshirn
Josef Klingshirn: „Akany Omby Rindernest“ und „Soul Catcher“ . Foto: IW

Fangen wir also in Afrika an: Mit seiner Frau hat der Münchener Künstler auf jeder Reise hunderte von Kilometern zurückgelegt. Hat zu Fuß, im Einbaum oder Buschtaxi die entlegensten Bergdörfer besucht. Was er dort fand, prägt nachhaltig sein Leben und durchdringt sein gesamtes künstlerisches Werk. „Ich hatte das Glück, zeremonielle Maskentänze, Totenrituale und das Wirken von Fetischeuren zu beobachten“, erläutert er. Eigens für die Ausstellung schuf er das Orakelbrett „Whispered Dreams“, welches die Wünsche west-, zentral- und ostafrikanischer Ethnien widerspiegelt. Darunter sind Reichtum, Glück und Schutz zu zählen, die der Künstler durch unterschiedliche Edelsteine, Samen, Knochen und Perlen symbolisch dargestellt hat.

Josef Klingshirn von der gruppe 4+ war über 30 Mal in Afrika
Josef Klingshirn von der gruppe 4+ war über 30 Mal in Afrika. Foto: IW

Seine Arbeiten widerspiegeln in Atmosphäre, Farbe, Strukturen, Symbolen und Figurenelementen die Seele Afrikas. Sie sind auf der linken Gebäudeseite untergebracht und nur über den Raum mit den Arbeiten von Hilo Fuchs erreichbar. Die Durchgangstür bleibt geschlossen. Das verleiht dem „Afrikaraum“ eine besondere Stimmung und Geborgenheit. „Ein Glücksfall“, so Hilo Fuchs, „da Josefs Arbeiten so ganz anders sind und in diesem geschützten Rahmen, gleich einem abgeschiedenen afrikanischen Bergdorf, ihren Zauber vollständig entfalten können“.

Hilo Fuchs - füllige Hüllen aus der Kugel heraus entwickelt
Hilo Fuchs – füllige Hüllen aus der Kugel heraus entwickelt. Foto: IW

Auch die Keramikarbeiten von Hilo Fuchs profitieren vom eigenen Ausstellungsraum. Posieren ihre Figuren einzeln oder in Dreiergruppen sonst gewitzt, provokant oder gelassen zwischen den Werken der Tegernseer Kunstausstellung, können sie hier nun als Figurenkosmos ganz mit sich selbst kommunizieren. Mittig im Raum und aus dem Formenkanon fallend, steht eine philosophische Skulptur. Perlen aus Ton reihen sich auf einem Metallstab und laufen in zwei Enden aus, die zugleich auch wieder Anfang sein können. „Der Anfang von allem ist der Punkt“, so die Künstlerin, „auch beim Entwerfen, Zeichnen, Schreiben, eine Idee entwickeln“.

Hilo Fuchs Fußballerfrauen
Hilo Fuchs‘ Frauenfiguren widersprechen selbstbewusst dem gängigen Schönheitsideal. Foto: IW

„Girls can do anything“

Das dicke Skizzenbuch von Hilo Fuchs zeigt den Konzeptionsprozess vom Punkt zu Hülle und Fülle. So hat sie auch viele ihrer Figuren aus dem Punkt und dessen Vergrößerung, der Kugel, heraus entwickelt. Ihr meist weiblichen Figuren sind überzeichnet, dürfen alles sein und brauchen sich nicht dem gängigen Schönheitsideal unterjochen. Im Gegenteil. Geradezu lustvoll hat Hilo Fuchs den barbiehaften Fußballstarfrauen ein „girls can do anything“ entgegengesetzt – eine Fußballfanin, die selbstbewusst ihre pfundigen Kurven reckt. Hilo Fuchs hat viel Freude an Wortspielen und den Figuren zumeist „eine füllige Hülle“ verpasst. Die einzige Dünne im Raum korrespondiert zwar vertikal mit der Punkte-Skulptur, wirkt aber ansonsten wie ein schwarzes Schaf in der Herde. Die Absicht der Künstlerin: den Raum für einen breiten Schönheitsbegriff zu öffnen.

Weiterlesen: Hilo Fuchs – Alles beginnt mit einem Klumpen Ton 

Christine Renner - Stateliness
Christine Renner „Stateliness“. Repro: IW

Christine Renners Malerei ist subtil und ihr Sujet häufig vom Vierklang aus Raum, Tiefe, Zeit und ihren Spuren geprägt. Durch eine Vielzahl an Übermalungen schafft sie die lichte Tiefe eines nahezu leeren, fast ätherischen Raumes, aus dem sich nach und nach klare geometrische Formen manifestieren. Auf dem Bild „Stateliness“ scheint ein dünnes, nahezu transparentes Hemdchen auf einem roten Kleiderbügel im Raum zu schweben – das Bild einer fragilen Hülle par excellence.

Christine Renner von der gruppe 4+: "Wherever you go"
Christine Renner „Wherever you are“ (Ausschnitt). Foto: IW

Eine schützende, wenngleich dünne Hülle sei auch ein Zelt, so die Künstlerin und verweist auf ihre zweiteilige Arbeit „Wherever you are“. Auf kleinen, gewachsten Papieren hat sie mit der Kaltnadel unterschiedlichste Zeltformen geritzt. Mit Nadeln lose auf einen Untergrund gesteckt, unterstreichen sie den zerbrechlichen Charakter der Behausungen. Mit „Love me tender“ und „Lean on me“ schuf sie zwei Bilder zu einer Tendenz der Gesellschaft, die ihr Unbehagen verursacht: Die Verwahrlosung des Dialoges und die ungehemmte Gewalt, mit der wir zunehmend konfrontiert sind. Ihre Boxhandschuhe sind jedoch nicht zum Kämpfen da, sondern unterstützen einander. Sie reißt mit Gewalt verbundene Gegenstände aus dem Kontext und gibt ihnen eine neue Bedeutung.

Lisa Mayerhofer
Lisa Mayerhofer Haftnotizen-Installation „Verzettelt“ neben den Bildern der „Kaffegsatzl“-Serie. Foto: IW

Eines von Lisa Mayerhofers bevorzugten Materialien ist das Papier. Sie lässt den ganzen Raum, den sie im Jagerhaus mit ihren Arbeiten füllt, Hülle werden: Hunderte Papierchen wachsen wie eine zweite, schuppige Haut entlang der Wände und Fensterwölbungen. Unweigerlich wird, mit dem Blick auf die draußen vorbeifließende Mangfall, auch der Gedanke an die Hülle eines sanft-weißen Drachen oder Flussgeistes denkbar.

Lisa Mayerhofer "Wettrüsten"
Bei Lisa Mayerhofers „Wettrüsten“ geht die Gemütlichkeit des Picknicks verlustig. Foto: IW

Auf einer Wäscheleine hängen drei Stoffbahnen wie Tischdecken zum Trocknen. Sie scheinen einer Kaffeetafel zu entstammen, über und über bedeckt mit Kaffeesatzbildern, die Lisa Mayerhof seit 2018 tagtäglich fotografiert hat. Über die Zeit hinweg hat die Künstlerin ihre Gewohnheiten und Kaffeesorten gewechselt, aus Lust an Veränderung und aus Neugier auf die Resultate. Daraus hat sie nicht etwa die Zukunft gelesen, aber genau betrachtet, was darin aufschien.

Kumulation als Gestaltungsprinzip

Die Gegenstände und Landschaften, Lebewesen und Traumwesen – ihnen hat sie Miniaturen aus der Natur gegenübergestellt. Aus dem Kontext gerissen und exponiert, lauern in den kleinen Naturobjekten, wie im Kaffeesatz auch, ganz neue Interpretationsmöglichkeiten. Indem sie mit der Kumulation arbeitet, der Anhäufung von Alltagsdingen, werden diese auf neue Weise sichtbar.

Blues-Musiker, Schauspieler und Clown Boris Ruge
Blues-Musiker, Schauspieler und Clown Boris Ruge umhüllte die Gäste der Vernissage mit einer Fülle an  Eigenkompositionen. Foto: IW

Es lohnt sich, möglichst viel Zeit zu dieser Ausstellung mitzubringen und in Ruhe und Muße, alles zu entdecken, auch die winzigen Details: die Symbole und Fetische, die kleinen Skulpturen und Figuren in Josef Klingshirns Afrika-Hommage. Die herrliche Physiognomie in Hilo Fuchs‘ Figuren, die sich beim aufmerksamen Umrunden stets verändern. Die Details in den feinen Kaltnadelradierungen in Christine Renners Wachsbildern und Friedenshäusern. Was der Kaffeesatz in Lisa Mayerhofers Bildern freigibt und was sie ihm an Miniatursymbolen gegenüberstellt. Wer Muße hat, kann auch die Gabeln ihrer Installation „Wettrüsten“ zählen.

Weiterlesen: Wiedereröffnung des Museum im Jagerhaus 

Die Ausstellung „Hülle und Fülle“ ist noch bis zum 23. Juni jeweils Freitag bis Montag von 14 bis 17 Uhr im Jagerhaus Gmund zu sehen. Im Museum Jagerhaus wird am Sonntag, den 23. Juni um 11:00 Uhr außerdem feierlich ein neuer Ausstellungsschwerpunkt eröffnet. Zeitgleich öffnet auch die Ausstellung „Hülle & Fülle“.

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