Magie des Augenblicks
Hilge Dennewitz „Gitarrist“ und Norbert Herbert „Licht“ in der Ausstellung „Augenblicke“ der Künstlergruppe Delta. Foto: Ines Wagner
Ausstellung in Rottach-Egern
Im Seeforum ist derzeit eine Ausstellung der Künstlergruppe Delta zu sehen. „Augenblicke“ ist eine künstlerische Reflexion über den Lebensfluss und seine kleinen und großen Unterbrechungen: Fünf Künstler, fünf verschiedene Sichtweisen.
Es war 2015, als sich eine Künstlerin und vier Künstler zusammenfanden, eine gemeinsame Gruppe zu gründen. Sie wünschten sich einen intensiveren Austausch in kleinerem Rahmen, gegenseitige Befruchtung und tiefer gehende Gespräche. „Der Strom gibt im Delta alles preis, das er auf seinem Weg mitgenommen hat“, ist der Leitgedanke der Künstlerverbindung, „das Delta wird dadurch fruchtbar und einzigartig.“
Entscheidende Augenblicke festhalten
Genauso einzigartig sehen sie ihre unterschiedlichen Arbeiten, mit denen sich die Mitglieder der Gruppe Delta gegenseitig befllügeln. Die Früchte dieses gemeinsamen künstlerischen Austauschs sind jetzt im Seeforum in der Ausstellung „Augenblicke“ zu sehen. „Welches sind die entscheidenden Augenblicke, die ein Leben verändern, die zu neuen Wegen führen?“ – ist die zentrale Frage, die zum Innehalten auffordert.
Günter Unbescheid eröffnet die Ausstellung der Künstlergruppe Delta im Seeforum. Foto: Ines Wagner
Günter Unbescheid erinnerte in seiner Laudatio an den Philosoph Søren Kierkegaard. Ihm zufolge ist die Zeit die erfüllende Gegenwart, aus der die Zukunft erwächst: „Der Augenblick ist jenes Zweideutige, darin Zeit und Ewigkeit einander berühren.“ Aber, so fragt der Fotokünstler aus der Jachenau, passt „erfüllte Gegenwart“ noch in unsere Zeit, in der jeder Augenblick in einer Flut von Informationen ertränkt wird? Unsere „Müdigkeitsgesellschaft“ ist von Narzissmus, Depression und Burnout geprägt, stellt er fest. Dem müsse man etwas entgegensetzen.
Der Augenblick ist noch nicht tot
So machte sich die Künstlergruppe auf die Suche nach den individuellen Momenten, an denen der Mensch über sich hinauswächst. Die Ausstellung ist ein Anti-Konzept, ein Fühlen und Wahrnehmen des Momentes. „Es gibt noch Hoffnung, der Augenblick ist noch nicht tot“, sagte Unbescheid und sieht im Thema der Ausstellung eine gewisse Chance für das Gewahrwerden der besonderen Augenblicke, in denen sich etwas Entscheidendes anbahnt oder ereignet. Und sei es ein winziges Detail, das sich lohnt, festgehalten zu werden.
Installationen und Fotografien von Peter Remmling. Foto: Ines Wagner
Peter Remmling aus Bad Tölz ist bekannt für seine sozialkritischen Installationen, in denen er scheinbar Alltägliches in einen neuen Kontext stellt. Seine Installation aus verrosteten Kleiderbügeln und Damenschuhen will aufmerksam machen auf das „zu viel“ im Kleiderschrank, über das man sich so oft definiert. Er nennt sie „Augenblickliche Modeerscheinungen“. Christliche Themen greift er in seinen Fotografien „Kreuzgang“ und „Das Gebet“ auf. Mit den Installationen „11. September“ und „12. September“ mahnt er an einen besseren Dialog zwischen den Kulturen, wünscht sich echte Begegnungen statt Zerstörung.
Unendlichkeit banaler Augenblicke
Banale Momente hält Heinz Stoewer aus Bad Tölz mit präzisen, nahezu fotorealistischen Pinselstrichen fest. „Was macht die Medienflut mit uns?“, ist ein Thema, das ihn in seinen Werken immer wieder beschäftigt. Deshalb schenkt er mittels der Malerei alltäglichen und ganz banalen Augenblicken Unendlichkeit.
Heinz Stoewer: „oh my god“ (vorn) und Bilder aus der Palm Springs Serie. Foto: Ines Wagner
Wassertropfen funkeln auf einem Autodach in der Wüste – sie werden in wenigen Augenblicken verschwunden sein. In seiner Palm Springs-Serie, in der er amerikanisches 50er Jahre –Design stilisiert, symbolisiert eine Uhr das Vergehen von Moment und Zeit. Das „oh my god!“ kreischender amerikanischer Schönheitsköniginnen im Moment ihres Sieges rückt er in einen neuen Kontext, läd zum fantasieren ein. Der Augenblick kann vieles bedeuten.
Hilge Dennewitz: Nach Musik von G. Holst (die Planeten). Repro: Ines Wagner
Klangbilder nach Musik
„Wieso soll man den Klang nur hören, und nicht auch sehen können?“ fragt Malerin Hilge Dennewitz. Sie macht Klang in kräftigen Farben und Pinselstrichen sichtbar. Während sie Schostakowitschs Streichquartett Nr. 1 oder „Die Planeten“ von Gustav Holst hört, entstehen farbenfrohe Gemälde mit Ölfarben. Ton für Ton werden kräftige Schwünge zu Klangbildern. In diesen Augenblicken ist sie ganz in der Musik und im Fluss der Pinselbewegung.
Norbert Herbert: Lichtfotografien. Foto: Ines Wagner
Für Norbert Herbert liegt eine Magie in jenen Augenblicken am Morgen, wenn das Sonnenlicht in einem bestimmten Winkel durch die Jalousien fällt oder sich eine Glühbirne im Öl am Boden einer Pfanne spiegelt. In seinen Fotografien lösen sich Strukturen, Licht und Architektur auf, vollkommen frei vom Gegenständlichen. Neben einer seiner schwarzweißen Lichtstimmungen schwebt Hilge Dennewitz`“Gitarrist“ in schwarzen, schwungvollen Tuschestrichen auf seinem weißen Papier, wie im Titelbild zu sehen ist.
Augenblick dehnt sich zu langen Minuten
Schwarzweißfotografien der besonderen Art zeigt Günter Unbescheid: Aufgenommen mit der Lochkamera kommt dem Augenblick ein besonderes Augenmerk zu. Er dehnt sich in die Länge und verdichtet sich schließlich auf dem Bild. Der Fotokünstler belichtet die Bilder mit der Lochkamera bis zu einer halben Stunde und länger. Es entstehen Momentaufnahmen von poetischer Schönheit, die wie gemeißelt in die Zeit scheinen.
Lochfotografie von Günter Unbescheid. Foto: Ines Wagner
In den digitalen Fotocollagen Günter Unbescheids sind verschiedene Schichten des Wahrnehmens und Bewusstseins eingefangen. Sie überlagern sich und verzerren das reale Bild, lassen ein neues entstehen.
Gruppe Delta: Austausch ist wichtig
Die Künstlerin und die vier Künstler der Gruppe Delta haben sich bewusst nicht stilistisch festgelegt. Gleich dem Delta darf alles sein, was die Zeit anspült. Alles verdichtet und befruchtet sich. Die unterschiedlichen Werke korrespondieren wie die Künstler selbst miteinander. Was sie eint und was ihnen wichtig ist: ein weltanschaulicher und künstlerischer Austausch.