Gschichten vom Wildern
Josef Bader „Gschichten vom Wildern“ – Titelbild. Foto: Allitera Verlag
Amüsant, authentisch, hintersinnig und manchmal auch tragisch sind die „Gschichten vom Wildern“, die Autor Josef Bader in seinem jüngst erschienenen Buch erzählt. Dabei geht es nicht um die legendären Wildschützen wie den Girgl Jennerwein oder den Wilderer Lampl aus dem Schlierseer oder Tegernseer Oberland. Hier wird aus dem Leben zahlreicher unbekannter Wilderer berichtet, akribisch recherchiert und aufgeschrieben, damit sie nicht mit dem „Erzähler ins Grab gelegt und unrettbar verloren“ sind.
Neuerscheinung auf dem Buchmarkt
Der ehemalige Lehrer in Berchtesgaden und Garmisch hat es sich zur Aufgabe gemacht, die mündlich überlieferten Erzählungen, Einzelheiten und Hintergründe aufzuarbeiten und gegen das Vergessen anzuschreiben. Josef Bader hat in seiner Heimat im Gebiet von Loisach, Isar und dem Ammertal intensiv geforscht, nachgefragt und recherchiert. Ein reichhaltiges, schier unglaubliches Personenregister mit Wohnorten sowie zahlreichen Helfern aus Familie und Nachkommenschaft führt der 69-jährige Autor auf. Er belegt seine Geschichten mit einem umfangreichen Archivmaterial und zahlreichen historischen Fotografien und Illustrationen.
Keinesfalls will er das Wildern verklären oder verherrlichen. Josef Bader gibt die Erzählungen, Erinnerungen, teils humorvollen, teils traurigen Anekdoten aus einer längst vergangenen, heutzutage fast unvorstellbaren Lebenswirklichkeit wieder, empathisch und mit echtem Interesse.
In seinem Vorwort berichtet der Autor, dass viele Männer und einige Frauen, von denen in seinem Buch die Rede ist, nie beim Wildern ertappt wurden. „Das lässt erahnen, in welch ungeheurem Umfang die verbotene Jagd im Loisach-, Ammer- und Isartal stattgefunden hat.“
„Gschichten vom Wildern“ Innenansicht 1. Foto: Allitera Verlag
Kurze Geschichten aus vergangenen Zeiten
Die meisten Geschichten sind kurz und prägnant dargestellt. Ort und Zeit werden aufgeführt mit wichtigen Anmerkungen zur historischen und gesellschaftlichen Einordnung. Dazu gibt Josef Bader auch häufig inhaltliche und sprachliche Erklärungen. Schließlich erzählt er oft umgangssprachlich mit dem Wortschatz der Einheimischen aus vergangener Zeit. Wer sich also für bäuerliche Lebensweise, Sitten und Gebräuche sowie Mundart und Sprache aus der Zeit des 19. Jahrhunderts bis nach dem 2. Weltkrieg interessiert, wird in diesem Buch aus der Reihe „Sagenumwobenes Bayern“ des Münchner Allitera Verlags fündig werden und viele interessante Details entdecken.
Da gibt es Begebenheiten zum Schmunzeln und sich Amüsieren ebenso wie die Tragischen und Dramatischen. Lohnend und erhellend sind die Einblicke in das tägliche Leben der Menschen, das oft karg und beschwerlich war, in ärmsten Verhältnissen und beengten Behausungen. Und die Natur war nicht nur gemütlich, freundlich und friedlich, sondern oft bedrohlich. Hinzu kamen Kinderreichtum, Hunger oder Krieg. Kein Wunder, dass man glaubte, sich manchmal etwas nehmen zu müssen von dem, was sowieso in der Natur vorhanden war. Kein Wunder auch, dass das Thema Wilderei „vom überwiegenden Teil der Bevölkerung nie als ehrenrührig angesehen wurde“, wie Josef Bader erklärt.
„Gschichten vom Wildern“ Innenansicht 2. Foto: Allitera Verlag
Vom Tölzer Land hinüber ins Garmischer Gebiet
Einen weiten Bogen spannt der Autor vom Tölzer über das Blaue Land hinüber zu den Ammergauer und Werdenfelser Gemeinden. Kurzweilig und höchst informativ erzählt er die Geschichten. Tragisch endet die Geschichte, die sich 1866 in Benediktbeuern zugetragen hat. Die beiden Caspars, nämlich der Wilderer Caspar Feierabend und der Gendarm Caspar Fuchs, kannten sich zwangsläufig. Einfallsreichtum in Sachen Rachegelüste und Schlitzohrigkeit lassen die Lesenden schmunzeln. Und doch kommt es einige Jahre später, wie es kommen muss: man fand den Wilderer mit einem Schuss ins Bein.
In Murnau schreibt ein Amtspfleger 1850 einen Bittbrief an Herzog Wilhlem V., in dem er sich entschuldigt, dass ein gefährlicher Bär erlegt worden sei. Wobei man bedenken muss, dass dieser Bär sowohl den Ettalern als auch den Werdenfelsern Sorgen bereitet hatte. Schließlich hatte er „drei beste Pferde und drei Ochsen geschlagen“. Und so wurde er mit „dem ersten Schuss an den Kopf getroffen und gefällt und mit dem zweiten Schuss vollends erlegt“.
Lesetipp: Wer war der Wildschütz Jennerwein?
Wer hätte gedacht, dass der Autor in Mittenwald auf 13 Geigenbauer gestoßen ist, die wegen Jagdfrevels abgestraft wurden? Wie viele Wilderer es aber insgesamt waren, ist nicht bekannt.
Und wer könnte sich heute vorstellen, dass „Nazi“ früher ein weitverbreiteter und unverfänglicher Vorname war? Und doch war es so. Der Ignaz aus Grainau jedenfalls wollte einen schönen Gamsbart tragen und ihn selbst „brocken“. Wie die Sache ausging zwischen Jäger und Wilderer und was die „resche“ Bedienung in Hammersbach damit zu tun hatte, sei hier nicht verraten.
Pikant und besonders amüsant gerät die Geschichte über die Glögglschneiderin und den „Schwarzen Thomas“ aus Saulgrub. Die wildernde Glögglschneiderin war „a wuide Henna“, wie ihr Enkel dem Autor berichtete. Sie war ein Original, ans Bier trinken gewöhnt, als Schneiderin landauf, landab bekannt und „keineswegs aufs Maul gefallen“.
In „Anderl Ostlers Narrenfreiheit“ erzählt Josef Bader von der Sonderstellung des legendären Olympiasiegers und Bobfahrers aus der Ostlerdynastie, der nach dem Krieg eine eigenartige, wenn nicht einzigartige Doppelfunktion als Jäger und Wilderer ausübte.
„Gschichten vom Wildern“ Innenansicht 3. Foto: Allitera Verlag
Fast scheint es, als hätte das Gebiet rund um Garmisch besonders viele Wilderer hervorgebracht, so zahlreich sind die Geschichten in Josef Baders Buch. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass es die aufwendige Recherchearbeit im Heimatlandkreis des Autors war, die diese Anekdoten am Leben erhielten. Der überwiegende Teil der Geschichten berichtet über die Zeit vor, während und zwischen den beiden Weltkriegen bis hinein in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts, an die sich Bekannte, Verwandte und Nachkommen erinnerten und bereitwillig privates Bildmaterial zur Verfügung stellten.
So ist ein lesenswertes Buch mit äußerst interessanten, wahren Geschichten vom Leben und Wirken der Menschen der Region vom 16. Jahrhundert bis heute entstanden. Ein Buch, das geschichtliche, politische, gesellschaftliche und persönliche Inhalte geschickt miteinander verwebt und in Beziehung bringt.