Hesse war zu sehr Steppenwolf
Alois Prinz. Foto: Volker Derlath
Musikalische Lesung in Holzkirchen
Das problematische Vater-Sohn Verhältnis von Hermann Hesse zeigte der Autor Alois Prinz gestern Abend in der Segenskirche und fragte wie dies weitergetragen wird. Zur Unterstützung hatte er den kongenialen Gitarristen Johannes Ellinger mitgebracht.
Auch dieser widmete sich in der Auswahl seiner Musik dem Vater-Sohn Verhältnis. Er spielte Etüden des brasilianischen Komponisten Heitor Villa-Lobes und des kubanischen Komponisten Léo Brouwer, der eine Generation später das Werk des Südamerikaners fortsetzte. Wunderschöne, dem Inhalt des Vortrags angepasste Musik.
Alois Prinz, bekannt durch zahlreiche Biografien und profunder Hessekenner, las aus bisher unveröffentlichten Briefen, die das schwierige Verhältnis des Schriftstellers zu seinem Vater belegten. Und er warf die Frage auf, ob sich ein solches Problem auf die Erziehung der eigenen Kinder überträgt. Immerhin hatte Hesse selbst drei Söhne.
Der Feigendiebstahl
Der Vortrag begann mit dem Tod des Vaters im Jahre 1916. Hesse, der sich in der Gefangenenseelsorge engagierte und in Zürich war, fuhr sofort nach Deutschland, um Abschied zu nehmen. Er habe den Vater sehr geschätzt und dennoch rechnete er mit ihm in seinem Drama „Heimkehr“ ab. Der Vater habe aus seinem Leiden Macht gezogen, immer habe man ihn bemitleiden müssen, beschwert sich der Sohn.
Als Kind muss Hermann Hesse außerordentlich schwierig gewesen sein, obzwar ein heller Kopf, kamen die Eltern nicht mit ihm zurecht. Die Situation eskalierte, als Hermann dem Vater Feigen stahl und dieser ihn massiv demütigte. Diese Episode verarbeitete Hesse später literarisch: „Der Vater ließ mich tanzen, man wurde klein und elend“, so schreibt er, Besser wäre es gewesen, er hätte ihn gehauen.
Hesse war ein guter Schüler und konnte mit Stipendium das Gymnasium besuchen, aber er riss aus und musste abbrechen. Schließlich landete er in einer Irrenanstalt und bat den Vater flehentlich ihn abzuholen. Dieser aber schrieb ihm, er lasse sich zu sehr von Lust und Unlust treiben, anstatt von sittlichen Grundsätzen. Hermann reagierte mit Hassbriefen. Letztlich holte ihn der Vater doch ab, aber der Sohn ging keinen geordneten Weg.
Unfähigkeit zum Erzieher
Letztlich fand er eine Arbeit als Sortimentsgehilfe im Buchhandel, schrieb dem Vater einen Gedichtband, der unbeantwortet blieb, nur die Mutter warnte ihn vor seinen, nicht pietätistischen Gedankenflügen. Hesse koppelte sich ab vom Elternhaus. Er heiratete, bekam selbst Kinder und langsam stellte sich literarischer Erfolg ein. Und jetzt schrieb er dem Vater, dass er seine eigene Unfähigkeit zum Erzieher fühle.
Nachdem Hesses Frau Marie in eine Nervenheilanstalt musste, gab er seine Kinder weg, packte sein Ränzlein und fand im Tessin eine neue Heimat, wo seine Kreativität explodierte. Das Verhältnis zu seinen Söhnen wurde enger, sie durften ihn einzeln besuchen, aber aus einem Brief an Sohn Heiner geht doch hervor, dass sich der Vater mehr Rücksicht wünscht.
Alois Prinz resümiert: Eine innige Vertrautheit konnte Hesse nicht aufbauen, den Wunsch nach Nähe seiner Söhne habe er nicht erfüllen können. Es habe keine unbefangene Herzlichkeit gegeben. Sohn Martin, der den Vater unterwürfig bewunderte, nahm sich das Leben. „Hesse war zu sehr Steppenwolf“.