Ist der Mensch ein Homo destructor?
„Homo destructor“ Cover Foto: MZ
Buchtipp von KulturVision
Eine umfassende Mensch-Umwelt-Geschichte hat Werner Bätzing bei C.H. Beck vorgelegt. Der emeritierte Professor für Kulturgeografie betrachtet in dem Kompendium die gesamte Geschichte der Menschheit im Bezug zur Natur und deren sukzessiven Zerstörung. Gibt es noch Hoffnung?
Werner Bätzing ist in der Region bekannt für sein Buch „Die Alpen“. Wir stellten den Wissenschaftler zudem in der 24. Ausgabe der KulturBegegnungen auf Seite 6 im Porträt vor:
Lesetipp: Es gibt keine Zukunft ohne Brüche
In seinem soeben erschienenen Buch „Homo destructor“ stellt er die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass der Mensch als zivilisiertes Wesen und als Teil der Natur diese seine Lebensgrundlage systematisch zerstört. Allerdings erst in den vergangenen knapp 100 Jahren. Viele Jahrhunderte lebte er mit der Natur.
Der Autor wagt einen Ritt durch die Menschheitsgeschichte von ihren frühesten Anfängen bis hin zur Jetztzeit. Dabei erzählt er zunächst, wie die Menschen in ihrer jeweiligen Epoche lebten, wie sie sich versorgten, später kommen Wirtschaft, Politik, Gesellschaft, Raum, Kultur hinzu.
Wertvolle „Zusammenschau“
Es ist das große Verdienst des Wissenschaftlers, dass er Fakten und Zusammenhänge aus verschiedenen Wissensgebieten vereint und sie für den Nichtexperten lesbar aufbereitet. Diese „Zusammenschau“, wie sie der Physiker Erwin Schrödinger bezeichnet, bedarf einer akribischen Arbeit des Autors. Der jeweilige Experte kann sich im umfangreichen Anhang mit genauen Literaturzitaten tiefer in die Materie hineinversetzen.
Prof. Dr. emerit. Werner Bätzing. Foto: Ulrich Hanzig
Wie ein Reiseleiter baut er in den zehn Kapiteln anhand differenzierter Darstellung von unterschiedlichen Thesen, Denkansätzen und Modellen seine Argumentationen auf und verweist stets darauf, was er beabsichtigt und wo die Reise hingehen soll. Damit kann sich der Lesende stets am roten Faden weiterhangeln und wird neugierig gemacht, was als nächstes passiert.
Geschichte begreifen
Seine Zielsetzung beschreibt Werner Bätzing eingangs so: Er wolle den beiden ultimativen Lösungsmodellen, wie der Zusammenbruch der menschlichen Welt verhindert werden kann, neue Ideen entgegensetzen. Denn weder noch mehr Technologie noch eine nostalgische Rückkehr zur Harmonie von Mensch und Natur seien zielführend. Er hingegen wolle sich mit der Geschichte der menschlichen Beziehung zur Natur vom Anfang her befassen und die Rahmenbedingungen ergründen, die zur heutigen Situation geführt haben.
Jäger und Sammler hatten Ehrfurcht vor der Natur
„Wir sind alle Afrikaner“, so plakativ könne man den Ursprung des Homo sapiens nennen, schreibt der Autor und würdigt die Epoche 1 der Jäger- und Sammler-Gesellschaft mit ihrem Respekt und ihrer Ehrfurcht vor der Natur. Ihre Kultur der Selbstbegrenzung habe zu einer außerordentlichen Stabilität dieser Lebensform geführt. Der Erfahrungsschatz der Jäger und Sammler, heute noch in bestimmten indigenen Kulturen vorhanden, dürfe nicht verlorengehen.
Von Natur zu Kulturlandschaft
Der erste Wendepunkt, die Neolithische Transformation, führte zu Epoche 2, den Bauerngesellschaften mit Stadtstaaten, Großreichen und Hirtennomaden. Die Landwirtschaft machte aus der Natur eine Kulturlandschaft und der Mensch stabilisierte sie ökologisch durch permanente Arbeit und Verantwortung. Diese Kulturlandschaften aber gaben den Menschen auch Identität.
Mit der Entstehung der Städte kommt ein Wechsel von der Selbstversorgungs- zur Überschusswirtschaft bei den Bauern, damit einhergeht unter anderem, dass der Natur weniger Bedeutung zugemessen wird und es zur Naturausbeutung kommt. In der Achsenzeit, etwa 800 und 200 vor Christus, kommt durch die Weisheitslehren die Frage nach dem rechten Maß, also sie Suche nach der Mitte zwischen Zuviel und Zuwenig auf.
Natur verkommt zu Material
Die 3. Epoche startet mit der Industriellen Transformation um 1800. Jetzt wird Natur zu Material, das der Mensch beliebig nutzen und vernutzen kann. Mit der Idee des unendlichen Wirtschaftswachstums werden städtische Strukturen auf- und ländliche abgewertet, die Nützlichkeit der Technik überlagert die Nützlichkeit der Natur. Andererseits entstehen Tourismus und Naturschutz, wobei das Freizeit- und Urlaubsverhalten letztlich zu einer Umweltbelastung führt.
Mit der Konsumgesellschaft erreichen die Umweltzerstörungen nicht nur durch das kapitalistische Wirtschaften, sondern auch durch das Handeln der Menschen ihren Höhepunkt. Dazu kommt die massive Veränderung der Landwirtschaft, die entweder eingestellt oder stark intensiviert wird.
Welche Lösung gibt es?
Werner Bätzing schließt seine Betrachtungen mit dem Satz: „Damit befindet sich die menschliche Welt in einem sehr kritischen Zustand.“ Die Existenz der Menschen auf der Erde stehe in Frage und ein großer Teil der Erde werde für den Menschen unbewohnbar. Der Mensch sei zum Homo destructor geworden.
Wer Werner Bätzing bisher gefolgt ist, wird das Ende der Geschichte mit Spannung erwarten. Was hat der Wissenschaftler als Lösung im Köcher? Zum einen das, was sich wie ein roter Faden durch die Mensch-Umwelt-Geschichte gezogen hat, die Selbstbegrenzung. Wie aber soll die notwendige Transformation, von der so viel gesprochen wird, ablaufen? Langsam oder als Revolution? Werner Bätzing hat eine dritte Lösung parat, die er in verschiedenen Facetten vorstellt. Eins gehört in jedem Fall dazu, der Verstand allein wird’s wohl nicht richten.