Der Horizont – ein optisches Phänomen?
Eröffnen die Ausstellung „Horizonte“: Reinhold Schmid und Katrin Hering. Foto: Robert Krause
Ausstellung am Tegernsee
Mit der Ausstellung „Horizonte“ präsentieren die Miesbacher Papierkünstlerin Katrin Hering und der Valleyer Maler Reinhold Schmid eine Gemeinschaftsausstellung im Seeforum Rottach-Egern. Ihre zwei unterschiedlichen Metiers und Herangehensweisen schaffen in dieser Kombination ein anregendes Spannungsfeld. Der Horizont als Linie, die den Himmel von der Erde abgrenzt, ist ihr verbindendes Thema.
Beim Horizont denke man immer zuerst an Himmel und Meer, so Katrin Hering bei der Vernissage am Freitagabend. Und so wären auch Reinhold Schmid und sie zunächst zum Thema der Ausstellung gekommen – weil sie die genau diese Linie interessiere. Dann aber sind sie wesentlich tiefer in das Thema eingetaucht, um auszuloten, was den „Horizont“ eigentlich ausmache. Die denkbar einfachste Linie sei in ihrem Material, so die Miesbacher Künstlerin, ein waagerechter Schnitt durchs Papier.
Horizonte – gemalt und im Hintergrund rechts in Papier gestanzt. Foto: IW
Darüber hinaus definieren Katrin Hering und Reinhold Schmid den Horizont als etwas, das vollständig subjektiv und individuell ist. Und schließlich gibt es nicht nur die Perspektive aus Menschensicht, wie die Arbeiten Katrin Herings augenzwinkernd zu bezeugen scheinen: Auf schwarzem Papier gestanzt betrachtet „Wurzelwerk“ beispielsweise den Horizont aus der Sicht von unter der Erde lebender Tiere, für die ebendieser durch die Erdoberfläche definiert würde.
Licht und Schatten
Die Miesbacherin bearbeitet unterschiedliche Papiere mit Locheisen, Skalpell und Stanzeisen und schafft auf diese Weise Strukturen, die trotz zumeist monochromer Bildsprache im Zusammenspiel von Licht und Schatten ihre Lebendigkeit entfalten. Neu sind ihre Arbeiten im Foyer, in denen sie sich leichtfüßig auf das Gebiet der Farben vorwagt.
Reinhold Schmid geht es immer um die Ästhetik des Auslotens der farblichen Horizonte. Foto: IW
Der Valleyer Maler Reinhold Schmid bewegt sich mit seinen überwiegend in Acryl gemalten Bildern im Grenzbereich von Gegenständlichkeit und Abstraktion. Seine formal reduzierten Landschaften oder freien abstrakten Arbeiten strahlen Ruhe, Harmonie und eine hohe Ästhetik aus. „Die wichtigste Linie ist immer die Horizontale“, so der Valleyer Maler, „wenn ich aus der Horizontale ausbreche, wird aus der Abstraktion Landschaft“. Von den Betrachtenden seiner Bilder wünscht er sich, dass sie sich Zeit nehmen, damit sie die Feinheiten bemerken, die in den scheinbar unaufgeregten Bildern für Spannung sorgen. Komposition, Proportion, Stimmung – alles muss passen. Die Größenverhältnisse und der Rhythmus der Linien ebenso.
Katrin Hering stanzt, locht und schneidet Horizonte, um die Grenze zwischen dem Davor und Dahinter auszuloten. Foto: IW
Die Gäste der Vernissage und die künftigen Ausstellungsbesucher sind aufgefordert, sich ihren ganz individuellen Blickwinkel auf die Horizonte in den Papierarbeiten und Malereiwerken einzunehmen. Mal passiert viel vor der Horizontline, mal ist das bewegt, was man als Himmel hinter dem Horizont wahrnehmen könnte. Mal tritt der Vordergrund zurück, mal der Hintergrund – je nachdem etwa, wie sich der Untergrund wölbt, den die Papierkünstlerin stanzt oder schneidet. Oder je nachdem, wie der Maler Reinhold Schmid die Farben aneinanderfügt, wenn er mit ruhigem Pinselstrich Linie um Linie setzt und die Betrachtenden auffordert, ihren eigenen Horizont in den Bildern finden – oder zu erweitern. Der Horizont, so Katrin Hering in fünf Fragestellungen in ihrer Rede zur Vernissage, sei schließlich etwas nicht wirklich Fassbares, Konkretes.
Sehgewohnheiten hinterfragen
Genau hinzuschauen lohnt sich daher bei den ausgestellten Arbeiten, die miteinander korrespondieren ohne sich auch nur ansatzweise des Versuches verdächtig zu machen, miteinander zu konkurrieren. Im Gegenteil, sehr harmonisch geht es zu und zugleich ist es beiden Kunstschaffenden gelungen, eine Spannung zwischen den Werken aufzubauen.
Insbesondere lohnt es sich, die beiden Bilder, die gemeinschaftlich entstanden sind, innerhalb der Ausstellung zu entdecken (sie sind etwas versteckt) und genauer unter die Lupe zu nehmen. In die ästhetischen Farbkompositionen Reinhold Schmids, die aus dem Dreiklang Wasser – festes Land – Himmel bestehen, hat Katrin Hering behutsam Löcher gestanzt, die den horizontalen Linien und Flächen folgen, um sie zart und fast unmerklich in die dritte Dimension zu erheben.
Robert Krause (Mitte) legt mit seinen Makroaufnahmen weitere Horizonte in Katrin Herings Papierarbeiten offen. Foto: IW
Mit wachem Auge und der Kamera hat der in Miesbach lebende Autor und Fotograf Robert Krause wiederum Katrin Herings Papierarbeiten beobachtet. Eine Auswahl der daraus entstandenen Makroaufnahmen sind auf dem Mitteltisch in der Ausstellung zu sehen. Sie verfremden die Papierarbeiten, indem sie zu einer neuen Qualität des Sehens hinführen, während die gewählten Ausschnitte neue Blickwinkel zeigen.
Es lohnt sich also, immer wieder beim Rundgang durch die Ausstellung den Blick zu schärfen, alten Sehgewohnheiten zu misstrauen und den fünf Fragen Katrin Herings auf den Grund zu gehen, um vielleicht individuelle Antworten zu finden:
1. Wo ist der Horizont für Lebewesen, die in der Erde leben?
2. Was passiert genau an der Linie des Horizonts?
3. Was passiert, wenn verschiedene Horizonte aufeinandertreffen?
4. Was passiert am Schnittpunkt, wenn sich verschiedene Horizonte treffen?
5. Was genau passiert beim „Horizont erweitern“?
Die Vernissage wurde von Henrik Fell und Maria Assmann einfühlsam musikalisch begleitet. Foto: IW