Horst Hermenau: Phänomenologie der Wahrnehmungen
Horst Hermenau vor seinem Bild o.T. aus der Serie der Öl/Acryl/Collagen auf Digitaldruck. Foto: Petra Kurbjuhn
Ausstellung in Holzkirchen
„Rafael erklärt die Welt“, „Wie man diskutiert“ oder „Der Beobachter“ – Der Künstler Horst Hermenau versucht alles andere als die Welt zu erklären. Vielmehr möchte er, dass die Betrachter genauer hinschauen, hinterfragen, wahrnehmen statt bloß zu sehen. Er irritiert und fordert auf, zu überprüfen: „Was sehe ich und was sehe ich nicht?“
Schon Platon misstraute der Sinnenswahrnehmung. Auch der Holzkirchner Künstler Horst Hermenau begnügt sich nicht mit dem, was er sieht. Mit seiner neuen Werkreihe stiftet er auch die Betrachter an, sich nicht auf Bilder zu verlassen.
Die Menschen sind in unserer digitalisierten Welt mit einer Bilderflut konfrontiert. Überall blinken Bildschirme, selbst die Fußgänger im Straßenverkehr schauen aufs Handydisplay statt auf die Umgebung. Wie die Welt wahrgenommen wird, untersucht Horst Hermenau aus philosophischer und phänomenologischer Sicht. Der Künstler irritiert bereits mit dem Titel der Ausstellung „digalog – anital“ – um zugleich darauf hinzuweisen, worum es ihm geht.
Irritationen werfen Fragen auf
Die Bilder in der Galerie im Autohaus Steingraber ergeben ein Halbrund. Der erste Blick darauf wirkt fast wie in einer Überwachungszentrale. Überall scheinen Bildschirme zu flimmern. Der Eindruck mag auch daran liegen, dass Horst Hermenau sich des „Zwangsformats“ des Fernsehers bedient, 16×9. Die Idee zu der Reihe sei ihm gekommen, weil aufgrund eines Verstärkerproblems einige seiner Programme fehlerhaft laufen. Diese Störungen, Irritationen, Deformationen des Fernsehbildes haben ihn gefesselt. Was sehe ich und was sehe ich nicht? Und was macht das mit mir? Was sagen und was suggerieren mir die Bilder?
Horst Hermenau: „Handeln – Nicht-Handeln“ aus dem Zyklus „Der Beobachter“. Repro: Ines Wagner
Die Bilder des Holzkirchners sind mehrschichtig und philosophisch. Teilweise hat er sich selbst als Beobachter gesellschaftlicher Phänomene in verschiedene Szenerien hinein collagiert, wie im Bild „Handeln – Nicht-Handeln“. Hermenau bietet Inhalte an, um sie gleich wieder zu hinterfragen. Er zeigt Gegensätze auf, wie beispielsweise mit „Die Macht der Kleidung“: Wie gehen wir mit Bekleidung um, früher und heute? Der Frau, die sich lässig an der Kleiderstange einer Boutique umzieht, stellt er eine Gruppe Damen in langen Gewändern gegenüber. Die durchschimmernden Lasuren führen in eine andere Zeit, wo Bilder noch verlässlicher waren.
Mehrschichtig und philosophisch
Der Künstler fotografiert digital und verfremdet danach die großformatigen Bilder. Er baut Störstellen ein, die wie Fehler in der Matrix wirken. Darüber collagiert er Schichten anderer Bildfragmente, fügt mit Pinsel und Acryllasuren neue Ebenen hinzu, druckt rhythmische Raster darüber. Die Irritationen, Brüche, Fehlstellen werfen Fragen auf.
Und doch erklärt der Bilderzyklus „Rafael erklärt die Welt“ nicht. Statt dessen treibt er die Irritation auf die Spitze. Horst Hermenau verfremdet 10 Bildsequenzen aus den Fernsehnachrichten. Er verwendet Allegorien, deutet an, fügt Aussage an Aussage und bleibt doch vage – auf den ersten Blick. Gefordert sind die Betrachter.
Horst Hermenau: aus dem Zyklus „Rafael erklärt die Welt“. Foto: Petra Kurbjuhn
Trotz des schnellen Mediums, das der Gebärdendolmetscher Rafael mit fliegenden Händen erklärt, sind es keine schnellen Bilder. Der Betrachter muss sich ihnen langsam stellen. Dem Bild „Wir wollen nicht, dass Szenen von Gewalt im Fernsehen zu sehen sind“ widerspricht „Das taktische Foul“. Je länger man vor den Bilden steht, umso mehr erzählen sie. Vorstellungskraft ist gefragt. Eine Aussage wird von ihrem Gegenteil abgelöst, bekommt eine neue Dimension durch die Gebärden des Übersetzers. Was kommt am Ende der Nachricht beim „Konsumenten“ noch an? Mit der Deformation der Bilder schafft Horst Hermenau „Fake News“.
Horst Hermenau vor seinem Bild „Der Beobachter (Selfie mit anderen)“. Foto: KN
Wilhelm Brandl, Altphilologe mit philosophischer Prägung und Freund des Künstlers, sprach zur Vernissage in seiner Laudatio über die „Rätsel der Sichtbarkeit“ und verwies beispielsweise auf Giacometti „Ich weiss nicht genau, was ich sehe. Es ist zu komplex“. Der Einladung, sich den Herausforderungen an die Wahrnehmung zu stellen, folgten gestern zahlreiche Besucher. Die Irritation ist gelungen – die Gäste diskutierten lebhaft vor den neuen Werken.
Wer mehr über den Künstler lesen möchte: Hier geht es zur Ausstellung von Evelyn und Horst Hermenau in Gmund.