Horst Janssen: „Ich will Norweger werden“
Horst Janssen: Nachmittag 22. September 16.45. Foto: ©VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Ausstellung im Olaf Gulbransson Museum Tegernsee
Horst Janssen, der größte Zeichner der Gegenwart, und Olaf Gulbransson, der „Titan der Zeichenkunst“: Beide waren grenzüberschreitende Multitalente im Zeichnen und Schreiben. Beide sowohl Frauenversteher als auch Frauenverschleißer. Beide drei Mal verheiratet. Der eine war Norweger, der andere reiste nach Norwegen, um dort die Liebe zur Landschaftsmalerei zu entdecken. Die Reise Horst Janssens fand im September 1971 statt, gemeinsam mit Gesche Tietjens, seiner damaligen Lebensgefährtin.
Eine Premiere ist diese Ausstellung der Norwegen-Zeichnungen. Sie sind aus Privatsammlungen zusammen getragen und wurden noch nie zuvor gezeigt. Darum reiste Prof. Bernhard Maaz, Gerneraldirektor der Bayrischen Staatsgemäldesammlungen, gleich gemeinsam mit Frau Dr. Andrea Bambi aus München an, um in äußerst bildreichen Einführungen richtiggehend Lust auf die Ausstellung zu machen. Das Besondere aber an der Einführung war Gesche Tietjens selbst, die aus ihrer gemeinsamen Zeit mit dem 1995 verstorbenen Künstler erzählte. Und die vor allem aus Janssens Essays las.
Gesche Tietjens liest Horst Janssen . Foto: Ines Wagner
Wem ging es nicht so, dass er zwar Horst Janssens bildnerisches Œuvre kannte, hingegen nicht die derartige Komplexität der Janssenschen Sprache? Mit so viel Kraft und Feuer vorgetragen von Gesche Tietjens, dass Prof. Bernhard Maaz um Zugabe bat, um „noch mehr von diesem Furiosum“ zu hören. Interessant war, wie sie den Menschen Janssen skizzierte, mit dem eine Beziehung zu führen keine leichte Aufgabe war. Denn er selbst, „das berstende Ego Janssen“, sagte von sich: „Allein bin ich gut. Zu zweit bin ich eine Katastrophe. Ich kann nicht allein sein.“ Dieser Janssensche Dreisatz beschreibt auch, wie die Norwegen-Reise verlief. Gesche Tietjens fotografierte und schrieb Reisetagebuch, das als Rohmaterial für Janssens späteren funkelnden Skizzenbuchtext diente. Sie begleitete und betreute ihn, zerstreute seine Ängste, streichelte sein Ego. Die Zusammenstellung all dessen macht diese Ausstellung so besonders.
Gesteinsformationen wie dunkle Wände aus dem Wasser ragend
Janssen sagte, Gesche habe ihn in Norwegen zur Landschaftsmalerei verführt. Geplant war das keineswegs. Erst dort wurden Bunt- und Bleistifte, ein grober Skizzenblock gekauft, und dann zeichnete Janssen unentwegt. Das Wetter, die sich verändernde Landschaft waren Inspirationsquell für Zeichnung und Prosa zugleich. Janssen nannte sie später seine „Goethe-Zeichnungen“, er spürte tief diese Ergebenheit vor der Natur, vor der Landschaft, wenn alles von dem Betrachter abfalle. Wahrscheinlich hat die gewaltige Landschaft nicht nur Janssens Landschaftsmalerei erweckt, sondern auch seine Liebe zum Schreiben gefördert, dem er sich in den Siebziger Jahren nun vermehrt zuwendete. Für seine Sprachpräzision verlieh ihm 1975 die Stadt Mannheim den Schiller-Preis.
„Natürlich sind es Sirenenbriefe. Aber Liebesbriefe?“
Die Norwegen-Zeichnungen, die in feinen, manchmal entschlossenen Strichen der Landschaft huldigen, zeugen von unermüdlicher Arbeit und akribischer Archivierung. Ort, Tag und sogar die Zeit sind vermerkt. Gewürzt sind sie mit kleinen Bemerkungen. „Glücklich“ schreibt er da beispielsweise. Das Bild ist düster, wie der Tag und die Landschaft. Arbeiten, Lieben, Leben, alles war extrem bei Janssen. Seine Bilder wurden von Tokio bis Chicago ausgestellt. Auf der Biennale in Venedig wurde ihm der erste Preis für Grafik verliehen. Und nun zeigt das Gulbransson Museum diese noch unbekannten Werke. Was diese jedoch ungemein würzt, sind die Fotografien und Tagebucheinträge Gesche Tietjens und illustrierte Briefe Horst Janssens an seine Lebensgefährtin. Liebesbriefe? Wohl ehr Sirenenbriefe, die er im Grunde genommen an sich selbst schrieb, sagt Gesche Tietjens. Dritter Ausstellungsschwerpunkt ist der Film über Horst Janssen, „Ego“. Zeichnungen, Briefe und Film setzen die Fragmente zusammen zu der schillernden Künstlerpersönlichkeit, die Horst Janssen war: Genie und Enfant Terrible zugleich.