Humanoide Roboter als Spiegelbild menschlicher Bedürfnisse
Herr Sakurai begrüßt „Pepper“. Foto: https://wissenschaftsjahr-2019.visionkino.de/hi-ai/arbeitsmaterialien-zum-film
Film mit Diskussion im Foolskino Holzkirchen
Warum entwickeln Menschen Roboter, welche wie Menschen aussehen? Und welche Rolle besetzen diese humanoiden Maschinen in unserer Gesellschaft, heute und in Zukunft? Fragen, auf die der „Sciencefiction“ Dokumentarfilm „Hi, Ai“ im Rahmen der Reihe „Anders wachsen“ keine eindeutigen Antworten gibt. Vielmehr wirft er weitere Fragen auf…
Es beginnt beim Zahnarzt. Mund auf, Mund zu. Locker lassen. Entspannen. Einen neuen Termin ausmachen. Erst auf den zweiten Blick erkennt der Zuschauer, dass auf dem Patientenstuhl kein echter Mensch liegt, sondern eine Puppe. Eine Puppe, die blinzelt, spricht, antwortet, reagiert: ein humanoider Roboter. Wird er getestet oder lernen junge ZahnärzteInnen an und mit ihm die Zahnchirurgie und den Umgang mit Menschen? Beides scheint möglich….
Die Eingangsszene ist exemplarisch für die Methodik des Films, sich dem Thema „humanoide Roboter“ und deren Zweck in unserer Gesellschaft als reiner Beobachter zu nähern. Das Team um die Münchner Regisseurin Isabell Willinger will in dieser preisgekrönten Dokumentation offensichtlich weniger erklären und bewerten. Stattdessen zeigt sie einfach, dass menschenähnliche Maschinen, mit lernfähiger Software ausgestattet, bereits einen Platz in unserer Gesellschaft innehaben. Welcher das – neben der simulierten Zahnarztpatientin – ist bzw. sein kann, wird im Verlauf des Films an zwei authentischen Schicksalen erzählt.
Humanoide Roboter spielen in unserem Alltag bereits eine Rolle als soziales „Lebewesen“
Chuck, ein US-Amerikaner in den Vierzigern, besorgt sich „Harmony“, eine Roboter-Frau, welche nach Merkmalen einer Sexpuppe designt wurde. Während des Films begleitet der Zuschauer die beiden auf einer Caravan-Tour durch die USA. Dabei kommen sich die zwei näher. Jedoch auf eine andere Art, als zunächst vielleicht vermutet. Als Chuck der Puppe am abendlichen Lagerfeuer von seiner bewegenden Vergangenheit erzählt, nimmt der Zuschauer teil an einer der vielen sehr intim-intensiven Szenen der beiden. Am Ende ist es vor allem das Mobiltelefon, über das Chuck seine Freundin anspricht und gleichzeitig auch ihre Charaktereigenschaften konfigurieren kann, welches unser Bild einer „echten“ menschlichen Beziehung stört.
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In Japan gibt es ebenfalls ein Aufeinandertreffen zwischen Mensch und Maschine. Familie Sakurai beschafft sich „Pepper“, einen Roboter, dessen Optik mehr an ein Spielzeug als an einen Menschen erinnert. „Pepper“ hat die Aufgabe sich um Oma Sakurai zu kümmern, aufzupassen, „dass die über 70-Jährige nicht verkalkt“, wie es im Film übersetzt heißt. Das Motiv, warum sich die Familie den Roboter in den Haushalt holt, ist vermutlich dasselbe, wie bei Chuck und seiner „Harmony“: es geht um Beziehungen. Um Bedürfnisse nach Beziehungen, welche auf rein menschlicher Ebene offensichtlich nicht mehr entstehen können oder zusätzlich benötigt werden.
Sie tanzen, schweben, reden, lachen. Und sie flirten.
Diese zwei Handlungsstränge umrahmen den insgesamt sehr ruhig gehaltenen Film. Ergänzt werden die zwei Geschichten mit Einblicken in die aktuelle, weltweite Forschung, Entwicklung und Diskussion rund um künstliche Intelligenzen. Zudem werden verschiedene Typen humanoider Roboter unter Laborbedingungen, wie auch in Alltagssituationen kommentarlos von der Kamera bei ihrem Dasein und Tun beobachtet: Skurril, wie eine „echte“ Frau den Tresen eines Infopoints putzt, hinter dem die „unechte“ Frau auf Kundschaft wartet.
Einfach schön, wie ein Roboter, bestehend aus zwei dünnen Metallstäben und einer Art Luftballon, durch ein menschenleeres Treppenhaus tanzt, fast schon schwebt. Bei diesen Szenen entfaltet der Film seine größte visuelle Wirkung und Faszination.
Dennoch stehen vor allem Fragen an dessen Ende.
Ist es notwendig, dass Roboter in ihrem Äußeren Menschen ähneln?
Sind Roboter in der Lage menschliche Beziehungen zu ersetzen? Und wollen wir das überhaupt?
Brauchen künstliche Intelligenzen auch künstliches Bewusstsein? Und was ist Bewusstsein überhaupt?
Was ist der Unterschied zwischen Mensch und Maschine?
Dr. Marc-Denis Weitze, Dozent für Wissenschaftskommunikation an der TU München bei der anschließenden Diskussion im Fools-Kino. Foto: Veronika Muth
Fragen, welche teilweise auch in der anschließenden Diskussion, launig geführt von Dr. Marc-Denis Weitze, Dozent für Wissenschaftskommunikation an der TU München und Leiter Technikkommunikation bei acatech, Platz fanden. Am meisten jedoch beschäftigte das Publikum die Sorge um Datenmissbrauch, sobald lernende Systeme in Verbindung mit dem Internet stehen, sowie die Angst, dass sich lernende Systeme mittelfristig der Kontrolle des Menschen entziehen könnten. Wenig Zeit blieb am Ende gemeinsam darüber nachzudenken, warum es – wie „Hi Ai“ zeigt – Bedarf gibt, humanoide Roboter als „soziale Lückenfüller“ in unser Leben zu holen.