„Ich war die Erste“
„Ich war die Erste“ Buchcover. Foto:Allitera-Verlag
Eine Buch-Rezension
Kennen Sie Maria Otto? Oder Hannelore Schmatz? Oder Maria Reiser? Die erste erhielt 1922 als erste Frau in Bayern die Zulassung als Rechtsanwältin. Die zweite, eine Regensburgerin, stand als erste Frau 1979 auf dem Gipfel des Mount Everest. Eine dritte kommt aus der Holledau und ist die erste bayerische Dialekt-Rapperin. Vielen Frauen ist eines gemeinsam – ein oft jahrelanger Kampf um die Zulassung, Anerkennung oder Wahrnehmung ihrer jeweiligen Pionierleistungen in meist von Männern dominierten Bereichen.
Eine bayerische Kulturgeschichte der Frauen
Die studierte Historikerin und Germanistin Adelheid Schmidt-Thomé schreibt mit ihrem Buch gegen das Vergessen an. „Wir wollen von willensstarken, mutigen, zielstrebigen Frauen erzählen, die einen Plan hatten, die etwas erreichen wollten gegen alle Widerstände, die ihnen eine patriarchalische Gesellschaft entgegenstellte.“ Dabei richtet die Autorin ihren Fokus auf Frauen aus Bayern. Das Buch mit seinen detailliert recherchierten und liebevoll erzählten Lebensgeschichten liest sich wie eine bayerische Kulturgeschichte der Frauen – eine Kulturgeschichte, die weder in den Geschichtsbüchern unserer Schulen, noch im Heimat- und Sachkundeunterricht vermittelt wird.
Jede Frau eine Heldin
Herausgekommen sind 74 Kurzporträts über „bekannte, unbekannte oder wiederentdeckte Pionierinnen…, die in den Bereichen Kultur, Sport, Politik und Wissenschaft außergewöhnliche Leistungen vollbracht haben.“ Um die lange Liste der recherchierten Namen eingrenzen zu können, entschied sich die Autorin, Frauen mit einem Geburtsort innerhalb Bayerns auszuwählen. Danach teilte sie die Leistungen verschiedenen Bereichen zu und sortierte chronologisch ab etwas 1850 bis in die Gegenwart. Schmidt-Thomé schreibt leicht und gut verständlich. Jedes einzelne Porträt ist eine Held*innenreise in Kurzform. Die Geschichten lesen sich wie eine Anleitung zum Mutig sein, zum Durchhalten, zum Nicht-Aufgeben. Es sind gelebte Mutmacher-Geschichten!
„Ich war die Erste“ Lisl Karlstadt. Foto:Allitera-Verlag
Hürden ohne Ende
Für uns Leser*innen entsteht durch die zeitliche Aneinanderreihung der einzelnen Geschichten ein Bewusstsein für die extremen Hürden, die Frauen gerade aus den älteren und historischen Generationen nehmen mussten, um die Grenzen des gesellschaftlich Erlaubten und moralisch Erwünschten zu ihren Gunsten zu durchbrechen oder zumindest zu verschieben.
Maria Otto beispielweise musste jahrelang in verschiedenen Behörden oder bei Anwälten einen sogenannten „Vorbereitungsdienst“ ableisten, natürlich ohne Bezahlung und ohne Aussicht auf eine Anstellung. Sie war als Frau von vornherein gar nicht für das Zweite Staatsexamen zugelassen. Es war ausschließlich ihrer Ausdauer, ihrer Hartnäckigkeit und ihrem Traum zu verdanken, dass sie es schließlich doch noch schaffte: 1922 wurde sie „ausnahmsweise“ als erste Frau zugelassen. 1923 eröffnete sie in München ihre eigene Kanzlei für Familienrecht. Sie arbeitete bis zu ihrem Tod 1977.
Oder Kathrin Switzer. Die gebürtige Ambergerin lief 1967 mit einer offiziellen Startnummer den gesamten Boston-Marathon. Damals illegal. Der Rennleiter packte sie sogar vor den Kameras bei ihrem Trikot und versuchte, sie aus dem Rennen zu holen. Nur der beherzte Eingriff eines Mitläufers verhinderte ihr Ausscheiden. Erst fünf Jahre später, 1972 (das ist erst 50 Jahre her!) durften Frauen offiziell mitlaufen.
„Ich war die Erste“ Isarnixen. Foto: Allitera-Verlag
In den oberen Hierarchien herrscht Frauenmangel
„Solange es eine Sensation ist oder einen Zeitungsartikel wert, wenn Frauen in Berufe oder Positionen vordringen, die ihnen bisher verschlossen waren – so lange ist es eben keine Nebensächlichkeit.“ Dies gilt umso mehr, als – wie es im Begleitwort steht – aktuell eine „Remaskulinisierung“ regional, national und international zu beobachten sei.
„Dass Frauen an den Gymnasien und Universitäten mittlerweile in der Überzahl sind, bildet sich in den späteren Karrieren nicht ab. Je weiter oben, desto schwieriger wird das Weiterkommen.“ Um so wichtiger ist es, über Frauen zu erzählen, die ganz oben angekommen sind. Beispielsweise die Geschichte von Christine Bortenlänger. Die promovierte Betriebswirtin war von 2000 bis 2010 die Vorständin der Bayerischen Börse AG. „Damit war sie Deutschlands erste und zehn Jahre lang auch einzige Börsenchefin.“
Es ist nach wie vor traurige Wahrheit, dass der Frauenanteil im Vorstand der 40 DAX-Unternehmen bei ca. 20 Prozent liegt. Meist allerdings weit drunter. Um Frauen zu ermutigen, in diese hierarchischen Höhen vorzudringen, fordert Bortenlänger seit langer Zeit ein Unterrichtsfach Wirtschaft und „die Bildung junger Menschen in Finanzfragen – besonders Mädchen sollen ermutigt werden.“ Eine von vielen notwendigen Maßnahmen.
Pionierin sein DÜRFEN
Pionierin sein können, Pionierin sein dürfen. Das ist die Kernbotschaft von „Ich war die Erste“. Damit Leistungen erinnert bleiben. Damit Vorbilder für die Gesellschaft entstehen. Auch damit es eines Tages selbstverständlich ist, dass Frauen in allen Bereichen Außergewöhnliches leisten dürfen.
Dazu braucht es einen Boden der Toleranz, des Respekts, der gegenseitigen Achtung und der Bereitschaft zur Gleichheit und der kritischen Reflexion – somit ist das Buch nicht nur eine Lektüre über Frauen für Frauen, sondern auch eine Lektüre über Frauen für Männer.
Adelheid Schmidt-Thomé. Foto: Allitera-Verlag
Mehr Bücher von Adelheid Schmidt-Thomé im Allitera Verlag.
Lesetipp: Die modernen Frauen des Atelier Elvira