Im Bann der Kunst des Nô
Nô-Meister Akira Matsui: „Rockaby“ von Samuel Beckett. Foto:Ines Wagner
Nô-Meister Akira Matsui, Träger des Ehrentitels „Living National Treasure“, gastierte mit seinem Ensemble im Meta Theater – und zur Verleihung der Wilhelm-Hausenstein-Ehrung an den Moosacher Theater-Macher Axel Tangerding in München.
Er trägt den Titel „Lebende Nationale Kostbarkeit“ (人間国宝, Ningen Kokuhō), mit dem Japan seine bedeutendsten Künstler ehrt, solche, die sich um den Erhalt traditioneller Künste besonders verdient machen. In Japan ist er eine lebende Legende – und im Meta Theater Moosach bei Grafing ein gern gesehener Künstler. Nô-Meister Akira Matsui ist der Einladung Axel Tangerdings gefolgt und hat zum zweiten Mal einen 3-tägigen Nô-Workshop angeboten, samt eindrucksvoller Abendvorstellungen.
Axel Tangerding, Architekt und Theatermacher mit Leib und Seele. Foto: Ines Wagner
Man kann nicht genug würdigen, was Axel Tangerding, Architekt und Theaterregisseur, in den letzten 30 Jahren in seinem experimentellen Theaterlabor auf die Beine gestellt hat. Denn er holt die Welt nach Moosach, und geht mit seinen eigenen Produktionen aus Moosach hinaus in die Welt!
Am Montag hat er die Wilhelm-Hausenstein-Ehrung der Bayerischen Akademie der Schönen Künste verliehen bekommen, für seine besonderen Verdienste um kulturelle Vermittlung. Im Meta Theater am letzten Wochenende, da konnte man beide Männer aus nächster Nähe erleben, den Theatermacher und den Nô-Meister, denn das Meta Theater ist nicht nur Ort der Performance, sondern zugleich ein besonderer Ort der Begegnung.
Faszinierende, fremde Klänge: Flötistin Kinuyo Kama. Foto: Ines Wagner
Nô ist gewiss keine leichte Kost. Die Bewegungen, die Kostüme, die Musik, der Gesang – alles ist sehr fremd und zugleich – ebenso faszinierend! Meister Akira Matsui schlägt einen Bogen von der Tradition zur Moderne, was in dieser hochtraditionellen Tanzform nicht eben selbstverständlich ist, sondern an seiner eigenen Neugier, Offenheit und Experimentierfreude liegt. Er verbindet traditionelles, japanisches Nô mit westlichen Elementen. Begleitet wurde er von der Flötistin Kinuyo Kama und dem Trommler John Oglevee als Kotsuzumi/Chorus. In seiner Kunst liegt ihm daran, die Wandlungsfähigkeit des Nô zu zeigen, von 600-jähriger Geschichte bis hin zur Moderne.
Verbindung von östlicher Tradition und westlicher Moderne
Zu Beginn tanzte der Nô-Meister eindrucksvoll den Klassiker „Takasago“, die Zwillingskiefer, begleitet von traditionellem Gesang, Flöte und Trommel. Die Sehschlitze der Maske sind winzig, daher ist es faszinierend, wie der Tänzer alle Bewegungen bis ins Kleinste verinnerlicht, sich die Wege auf der Bühne einprägt wie die Strichfolge einer Kalligrafie. Das wird besonders schwer bei Stücken, die in einer fremden Sprache aufgeführt werden, wie das Nachfolgende.
Zweiter Teil der Nô-Trilogie war der Einakter„Rockaby“ von Samuel Beckett. Matsuis Tanz führte in eine ganz andere Welt, weit weg von der japanischen Tradition, und lehrte die Zuschauer geradezu Hitchcock-mäßig das Schaudern. Denn der beklemmende Einakter um das Sterben einer alten Dame im Schaukelstuhl ihrer Mutter ist düster, beinahe bedrohlich und zugleich in seiner gelungenen Reduktion perfekt für die minimalistische Bühnenkunst. Auch in diesem Stück, wie in so vielen Nô-Stücken, ging es um Transformation. Matsui tanzte in der anmutigen Präzision der Bewegungen einen Geist, der die Verstorbene holt. Beeindruckend gelesen wurde Samuel Becketts Stück von der Schauspielerin Marion Niederländer.
Akira Matsui in der Rolle der „Schneefrau“. Foto: Ines Wagner
Die in München lebende japanische Pianistin Masako Ohta schlug einen weiteren Bogen zwischen japanischer Tradition und westlicher Moderne mit ungewöhnlichen Improvisationen. Sie lotete die Möglichkeiten des Flügels als Tasten- und zugleich Saiteninstrument vollkommen aus, indem sie das ganze Instrument bespielte. Der Klang fallender, hin- und hergeschichteter Holzstäbchen auf dem lackierten Korpus war ebenso berührend wie das behutsame Zupfen mithilfe der Stäbchen an den Saiten.
Fremde und faszinierende Töne drangen auch ans Ohr der Zuhörer bei den Solostücken Kinuyo Kamas, deren Flöte ein äußerst schwierig zu spielendes Instrument ist und nicht im Entferntesten an westliches Flötenspiel erinnert.
Als letzten Akt der Trilogie tanzte Akira Matsui „Yuki-Onna“, die Schneefrau, begleitet von Masako Ohta am Klavier mit einem Stück Claude Debussys. Eine gelungene Asiatisch-Europäische Begegnung, all das Fremde, das vermeidlich Gegensätzliche – eine wunderbare Ergänzung! Und der Nô-Abend ein bereicherndes, eindrucksvolles Erlebnis.