Hartmut Rosa: „Was wir daraus machen“
Buchcover „Inne halten. Chronik einer Krise“. Foto: MZ
Neuerscheinung auf dem Buchmarkt
„Inne halten. Chronik einer Krise“. Im Rahmen der Jenaer Corona-Gespräche suchte sich Kulturpolitiker Jonas Zipf hochkarätige Gesprächspartner. Wesentliche Aspekte wollen wir in lockerer Folge vorstellen. Den Anfang macht ein Gespräch mit dem Soziologen Hartmut Rosa.
Jonas Zipf ist Werkleiter von JenaKultur und Präsident des Kulturrats Thüringen und verantwortet das kulturpolitische Leben der Saalestadt. Im erzwungenen Innehalten aller Veranstaltungsbemühungen und in der Sehnsucht nach Austausch suchte er Antworten auf Fragen wie: Gibt es auch Chancen in der Krise? Gibt es Gestaltungsmöglichkeiten im Regionalen? Welche Rolle kann dabei die Kultur spielen?
Sein erster Gesprächspartner war am 2. April 2020 Hartmut Rosa. Vieles, was damals gesprochen wurde, hat auch heute noch Gültigkeit. Jonas Zipf vergleicht den Lockdown mit der Zeit zwischen den Jahren, wo alle Menschen Pause haben und Hartmut Rosa spricht von Zwangsentschleunigung, sowie Joint Attention, also einer weltweiten kollektiven Erfahrung.
Politische Handlungsfähigkeit
Die Probleme der Pandemie erforderten, dass improvisiert werden müsse, überall. „Das stiftet Gemeinschaft.“ Andererseits aber verstärke sich auch das Misstrauen gegenüber allen anderen. Obwohl im Frühjahr 2020 von der Polarisierung der Gesellschaft noch keine Rede war, sieht der Soziologe diese Gefahr schon voraus.
Aber er hofft, dass politische Handlungsfähigkeit an Kraft gewinnt und dass Märkte in politische, kulturelle und gesellschaftliche Zusammenhänge eingebettet werden. Er betont, dass das Wichtigste sei, dass der Staat nicht als „das Andere“ wahrgenommen werde, sondern als konkretes Handlungsorgan gesehen werde.
Aussteigen aus Wachstumslogik
Immer wieder wird gefordert, dass bald alles so werde wie vor der Pandemie. Jonas Zapf konstatiert, dass das Virus uns gezwungen habe aus der Wachstumslogik auszusteigen und fragt, wie die Geisteswissenschaft dazu beitragen könne, auch nach Corona das Wachstum zurückzufahren. Die große Gefahr, so warnt Hartmut Rosa, sei, dass man nach der Krise die Maschine wieder anschieben werde und sogar einen Wachstumsschub erzeuge.
Als Ursache sieht der Soziologe das Verlangen der Gesellschaft nach Verfügbarkeit. „Wir wollen die Welt erreichbar haben, wir wollen sie vor allem auch im Griff haben, kontrollieren und beherrschen.“ Corona aber habe gezeigt, wie unverfügbar die Welt sei. Und deshalb sei für ihn Corona eine Chance, das Leben neu zu sehen. Vielleicht sei ja ein gelingendes Leben auch eins, das mit Risiken und Unverfügbarkeiten umgehe.
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Aber Corona zeige, dass die Menschen sehr schnell mit allen medialen Tricks versuchen, die Welt verfügbar zu machen, siehe Netflix, Spotify, Zoom, Streaming, usw. Die Frage also sei, so Jonas Zipf, ob es jetzt nicht an der Zeit sei, sich einmal zurückzuziehen. Wir hätten aber verlernt, uns intensiv auf etwas, wie Musik, Literatur oder die Natur einzulassen, befürchtet Hartmut Rosa und flüchten uns wieder in Oberflächlichkeit.
Corona als Experimentierraum
Letztlich aber sei, so der Wissenschaftler, Corona ein Experimentierraum und seine Hoffnung sei, dass die Gesellschaft einen Pfadwechsel vollziehe, raus aus dem Hamsterrad. Aber dazu müsse man das „Berasen insbesondere der digitalen Welt irgendwie überwinden“. Jonas Zipf zitiert in diesem Zusammenhang den australischen Musiker Nick Cave, der sich dem Streamen verweigert habe und lieber aussteige und nachdenke, was er behalten und was er nicht behalten wolle.
Er habe Recht, aber das sei schwer umzusetzen, da ständig digitale Angebote eingefordert würden. Aber er plädiere gegen die digitalen Hamsterräder und für Innehalten. Natürlich gebe es ökonomische Zwänge, aber man müsse sich ehrlich eingestehen, dass man auch selbst das Bedürfnis habe, etwas anzubieten und präsent zu sein.
Menschen machen Geschichte
Die Quintessenz, so resümiert Hartmut Rosa sei, dass Menschen immer Geschichte machen. Und so komme es darauf an, was wir daraus machen. In der Regel gebe es in einer kapitalistischen Maschinerie nur wenig Spielräume, aber in einer Krise, wie Corona, würden Routinen aufgebrochen und Akteure hätten eine höhere Relevanz. „Da entsteht Kreativität.“ Aber an jeder Abzweigung solle man, da sind sich Jonas Zipf und Hartmut Rosa einig, erst einmal innehalten.