Wie im Himmel
Passender Rahmen für das mehrstimmige Vokalkonzert von Voces8: die Pfarrkirche St.Quirinus in Tegernsee. Foto: IW
Konzert am Tegernsee
Das Internationale Musikfest Kreuth am Tegernsee präsentierte beim diesjährig einzigen Konzert in der ehemaligen Klosterkirche Tegernsee einen außergewöhnlichen Musikgenuss. Mit „Voces8“ stand ein britisches Vokalensemble der Sonderklasse im Altarraum.
Die Besucher des bis auf den letzten Platz ausverkauften Konzertes fühlten sich wahrhaft wie im Himmel. Mucksmäuschenstill war es in den hölzernen Bankreihen der reich verzierten Pfarrkirche St. Quirinus, die auch von den Gästen aus England bewundert wurde. Es war nicht nur eine andächtige Stille, sondern ein Zustand, in dem die Konzertbesucher bisweilen den Atem anzuhalten schienen. So überirdisch schön, klar und fein aufeinander abgestimmt waren die acht Stimmen des Vokalensembles.
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„After Silence“ heißt das Vokalprogramm, mit dem die britischen Sängerinnen und Sänger ihre wohlbalancierte Werkauswahl präsentierten. Kein Rahmen wäre dafür festlicher gewesen als die Barockkirche, zu deren üppig ausgeschmückter Decke die Konzertbesucher zuweilen verzückt die Augen richteten. Der Name des musikalischen Programms der Briten greift eine Zeile von Aldous Huxley auf: „Nach der Stille ist es die Musik, die das Unbegreifliche beschreibt.“
Altmeisterliche Sakralmusik höchster Qualität
Bereits das erste Gesangsstück auf dieser Suche nach diesem Unbegreiflichen, „Spiritus sanctus vivificans“ aus den liturgischen Kompositionen der Äbtissin Hildegard von Bingen, hob die Zuhörer in himmlische Sphären. Der glockenklare Gesang der Sopranistinnen Andrea Haines und Eleonore Cockerham erfüllte das Kirchenschiff bis in den letzten Winkel. Kaum war er verklungen, verzückte das Vokalensemble die Gäste mit einem der ältesten Zeugnisse mehrstimmiger Musik. Sie intonierten ein Organum von Magister Perótin aus der „Schule von Notre Dame“.
Danach schlugen die Sängerinnen und Sänger den Bogen andächtiger Sakralmusik in die Glanzzeit der Renaissance. Die achtstimmige Motette „Nesciens mater virgo virum“ von Jean Mouton mit ihren raffinierten kanonischen Strukturen gilt als eines der größten Meisterwerke des 16. Jahrhunderts. Sie entfaltete sich in den höchst meisterlichen Stimmen, die sich in der wunderbaren Akustik der Kirche ausbreiteten, sodass selbst die leisen Töne noch die letzte Reihe erfüllten.
Das britische Vokalensemble Voces8 beim Musikfest Kreuth am Tegernsee. Foto: Andy Staples
Andachtsvoll und zutiefst bewegt lauschten die Gäste den klangvollen Marienanbetungen von Josquin Desprez und Tomás Luis de Victoria, deren mehrstimmiges Jubilieren klar im Raum anschwoll und in einem gemeinsamen „alleluia“ verebbte. Mit Jonathan Dove unternahm das Ensemble einen Ausflug in die Gegenwart. Der junge, zeitgenössische Musiker ist derzeit der „composer in residence“ bei Voces8. Er komponiert seine einfühlsamen und höchst virtuosen Werke exklusiv für das achtstimmige A capella-Ensemble.
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Doves Reflektionen über eine Motette des zuvor gehörten Mittelalterkirchenmusikers de Victoria stellen die verzweifelte Suche der gläubigen Seele nach Christus dar. Die sich umfließenden Stimmen mündeten in ein Finale, das die Zuhörer meinen ließ, die Orgel würde in leisen Tönen von der Empore erschallen. Mit Kompositionen von Jean Sibelius und Hubert Parry für mehrstimmigen Gesang erlebte das Publikum einmal mehr, wie vielschichtig, eindrucksvoll und ergreifend zeitgenössische sakrale Chormusik zu klingen vermag.
Die Stille und das Unbegreifliche
Danach nahm das stimmgewaltige Vokalensemble noch einmal musikalischen Bezug auf die Region mit dem klangvollen Gloria einer Messe von Orlando di Lasso. Der Komponist wirkte im 16. Jahrhundert am Hof des Bayerischen Herzogs Albrecht V. und schuf insgesamt mehr als 70 Messen. Mit der Zugabe eines Gesangsstückes von Sergei Rachmaninow fand der außergewöhnliche Hörgenuss schließlich sein Ende. Nach der Musik war es die Stille, die für ein paar Sekunden in den Ohren knisterte, bevor ein langanhaltender Beifall anschwoll. Selten habe man einen so klaren, perfekt aufeinander eingestimmten Gesang von derartiger Qualität erlebt, waren sich die Konzertbesucher beim Hinausgehen einig.
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