Fünf Menschen. Fünf Wege. Ein Ziel
Isabel Schayani in der Holzkirchner Bücherecke. Foto: Caroline Holz
Lesung in Holzkirchen
Flucht und Vertreibung sorgen in Deutschland für große Migrationswellen, die unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen stellen. In der polarisierten Debatte deckt Isabel Schayani mit ihrem Buch einzelne Schicksale auf und sucht nach Lösungen, wie Migration und Integration menschlicher gestaltet werden können.
In Deutschland kann Ruhi „einfach nur ein Mensch sein“. Er muss nicht seine Glaubensansichten verbergen. Er wird nicht gezwungen, Christ oder Moslem zu sein. Er wird nicht gefoltert. Genau deshalb verlässt er seine Heimat im Iran und flieht nach Deutschland.
Isabel Schayani gibt in ihrem Buch „Nach Deutschland: Fünf Menschen. Fünf Wege. Ein Ziel“ den Geflüchteten ein Gesicht. Dieses stellte die ARD-Auslandskorrespondentin und Moderatorin des Weltspiegels vergangenen Donnerstag in der Holzkirchner Bücherecke unter großem Andrang vor.
Isabel Schayani erfuhr die interessantesten Geschichten erst, als die Kamera im Zuge ihrer journalistischen Arbeit nicht mehr lief. Daher entschied sie sich dazu, ein Buch zu schreiben, in dem sie fünf Flüchtlinge auf ihrem Weg begleitet.
Isabel Schayanis Buch „Nach Deutschland“. Foto: FE
Ruhis Schicksal
Ruhis Geschichte ist eine der wenigen, die durch die Lesung und das Buch für uns sichtbar wird. Er begibt sich in seinem Heimatland Iran in Gefahr, weil er sich entscheidet, vom Islam zur Bahai-Religion zu konvertieren. Zwar unterstützt ihn seine Familie, doch bereits im Kontakt mit Freunden und Nachbarn bemerkt er die Gefahr, die seine neue Religionsangehörigkeit birgt.
Die Verfolgung beginnt mit dem Klingeln seines Handys, eine unterdrückte Nummer ruft ihn an. Aus Angst nimmt er nicht ab. Auf dem Weg zu seiner Tante zwingen zwei Männer Ruhi in deren Auto einzusteigen. In einem benachbarten Wald werfen sie ihn aus dem Auto und schlagen auf ihn ein. Die Männer sind vom Geheimdienst. Sie verbieten ihm, die Stadt zu verlassen.
Auf weitere Drohanrufe folgen die Festnahmen. Die zweite Festnahme dauert mehrere Wochen. In seiner Zelle im Keller des Gefängnisses ist das Licht immer an, der Boden nass. Schlafen fällt Ruhi schwer. Tagsüber wird er verhört und gefoltert, das Prozedere dauert jeden Tag zwischen acht und zehn Stunden. Die Augenbinde verhindert, dass Ruhi das Gesicht der Vernehmenden sehen kann. Er fragt sich, ob er die Personen kennt. Ob er sie erkennen könnte, wenn sie ihm im Supermarkt begegnen würden.
Solidarität durch Mitmenschen
Wieder auf freien Fuß versteckt er sich bei Herrn Jakob. Einem Moslem, der sich trotz Ruhis Bahai-Glaubensbekenntnis ihm gegenüber solidarisch zeigt, der ihn versteckt, Essen bringt und pflegt – trotz der großen Gefahr, die für ihn damit einhergeht.
Durch die Hilfe seiner Familie schafft er es, zu fliehen. Im Zickzack Kurs fliegt er nach Deutschland und wird so zum „Dublin Fall“, ihm droht die Abschiebung nach Italien. Diese konnte glücklicherweise noch gestoppt werden. Hier lernt er neue Menschen kennen, die ihn unterstützen und begleiten. In Deuschland kann er das erste Mal wieder lachen. Doch in Sicherheit werden auch die hinterlassenen Wunden sichtbar; weil die Vergangenheit ihn immer wieder einholt, muss er mehrmals in die Psychiatrie.
Aufmerksame Zuhörer im Publikum. Foto: Caroline Holz
Anregungen für eine Diskussion
In der polarisierten Debatte über eine Beschränkung der Zuwanderung, vergessen wir oft, was die Flucht für Menschen wie Ruhi bedeutet.
Ein Gefühl der Hilflosigkeit und Überforderung stellt sich bei uns ein, weil es keine anderen Staaten als Vorbilder gibt, die die Thematik für alle erfolgreich gelöst haben. Und nichts desto trotz ist es eine Illusion zu denken, dass hohe Zäune und striktere Regeln die Lösung mit einem Stopp der Zuwanderung sind. Denn Menschen wie Ruhi wird es immer geben.
Daher dürfen wir nicht vergessen, dass hinter den Zahlen und Fakten auch Menschen stehen. In der emotional aufgeladenen Debatte müssen wir die Sorgen ernst nehmen und gleichzeitig Bedürftigen Schutz bieten.
Auswirkungen auf jeden Einzelnen
Wie eine solche Diskussion in einem gewinnbringenden und sachlichen Rahmen geführt werden kann, zeigte sich im Anschluss an die Lesung. Hierbei äußerten Zuhörer und Zuhörerinnen, wie sie persönlich mit Migration in Berührung kamen. Verschiedene Ansichten zur Unterbringung von Flüchtlingen in Holzkirchen und der geplanten Unterkunft in Warngau wurden ausgetauscht. Und auch ohne ein umfassendes Fazit brachte die Diskussion uns einen Schritt näher zur Lösungsfindung.
Zum Weiterlesen: Andreas Föhr liest „Unterm Schinder“