Menschen brauchen analoge Begegnungen
Joachim Bauer und Cornelia Engl von der Bücherecke. Foto: MZ
Vortrag und Lesung in Holzkirchen
Mit einem brillanten und für den Laien sehr gut verständlichen Vortrag machte Joachim Bauer in der Bücherecke Holzkirchen darauf aufmerksam, wie KI und andere digitale Systeme uns von analogen in virtuelle Sphären befördern. „Realitätsverlust“ heißt sein aktuelles Buch.
Wer aber erwartet hat, dass der Neurowissenschaftler, Mediziner und Psychotherapeut die künstliche Intelligenz verteufelt, der wurde eines Besseren belehrt. Joachim Bauer, Professor an der International Psychoanalytic University Berlin, ist bekannt für seine fundierten Sachbücher und er ist bekannt als Warner. In Sachen KI warnte er auch, aber er hob auch die positiven Seiten der KI hervor.
Mit seinem neuen Buch, das harte Arbeit für ihn gewesen sei, wolle er ein Bewusstsein dafür schaffen, was KI sei, was KI leiste und wo generell derzeit die Gefahren liegen, das sollte jeden interessieren, sagte er in der überaus gut besuchten Bücherecke.
Ambivalenz digitaler Produkte
Digitale Produkte, so schreibt er in seinem Vorwort, bereichern die Welt. Wenn sie aber von den Menschen Besitz ergreifen und analoge Begegnungsräume ersetzen, dann werde es gefährlich. Insbesondere dann, wenn die Vertreter eines Transhumanismus das Wort führen. Von einer digitalen Zeitenwende spreche man heute, in der die Grenzen von Realität und Virtualität verschwimmen.
Buchcover. Foto: MZ
Dabei dürfe man nicht aus den Augen verlieren, dass hinter all diesen Prozessen Macht- und Geldinteressen stünden. Eine doppelbödige Strategie verfolgten solche Männer wie Elon Musk, die einerseits dem Transhumanismus huldigen und anderseits in einem offenen Brief vor KI warnen, sie sei gefährlicher als die Atombombe.
Joachim Bauer erklärte Aufbau und Arbeitsweise künstlicher neuronaler Netze, die aus miteinander kommunizierenden Recheneinheiten in 64 Schichten bestehen. In diese werde, wie etwa bei dem Text generierenden System ChatGPT oben Material eingefüttert und unten kommen dann die angeforderten Texte heraus.
Saubere KI hilfreich
Das Problem aber sei, dass nicht nur seriöse Bücher und Artikel, sondern auch Mails und Webseiten eingegeben worden seien, teils mit pornografischem oder anderem negativem Inhalt. Deshalb sei es dringend erforderlich, dass die Ausgabe händisch von Clickworkern nachgebessert werden. Noch krasser sei dies bei Bildmodellen.
Joachim Bauer forderte deshalb, dass sich Wissenschaftler, Juristen und Ingenieure zusammensetzen sollen, um eine saubere KI zu generieren, denn diese sei als unschuldige Rechenmaschine beispielsweise in der medizinischen Diagnostik eine große Hilfe. Aus großen Datenmengen könne die KI Muster erkennen. Dazu brauche es einen gesetzgebenden Rahmen, damit die KI nicht autonome Entscheidungen treffen könne, sondern die letztliche Verantwortung beim Menschen bleibe.
Womit die KI gefüttert wird
Dazu gehöre auch eine Regelung, womit die KI gefüttert wird, da gehe es um die Verletzung von Urheberrecht ebenso wie um die der Privatsphäre. Und es gehe um falsche Darstellungen. Er habe bei ChatGPT seinen Namen eingegeben und einen falschen Lebenslauf erhalten, weil Bezüge falsch dargestellt wurden. Wichtig sei auch die Bedingung, dass sich ein KI zu erkennen gebe, wenn man mit einem solchen verhandle.
Joachim Bauer. Foto: Thomas Hedrich/ Fotostudio Charlottenburg
Was unterscheide denn einen Menschen von KI, fragte der Wissenschaftler. „Ein Mensch hat ein intrinsisches Weltinteresse.“ Das richte sich auf seinesgleichen und seine natürliche Umwelt. Ein Computer habe das nicht, er erledige die Aufgaben, für die er trainiert sei. Die Basis für die Intelligenz des Menschen aber sei sein Körper. Er werde mit Gefühlen geboren und jede Begegnung mit anderen Menschen verändere seine biologischen Funktionen.
Eine KI könne zwar behaupten, Gefühle zu haben, aber sie würden weder Freude noch Schmerz kennen, sondern nur simulieren. Und sie brauchen keine andere KI.
Kinder brauchen Menschen
Joachim Bauer betonte in seinem Vortrag wie wichtig es für Kinder sei, eigene körperliche Erfahrungen in Bezug zur analogen Realität zu machen. Deshalb warnte er eindringlich vor dem Vorhaben, Tablets bereits in Kitas anzuwenden.
„Kinder brauchen zugewandte Menschen“, forderte er, sie wollen die Welt erforschen und brauchen soziales Miteinander. Erst in der Sekundarstufe seien digitale Endprodukte angebracht und dann solle man Kinder zur Programmierung anleiten.
Reale in virtuelle Welt verlagert
Er ließ die digitale Revolution der vergangenen 12 bis 14 Jahre Revue passieren. Zuerst sei das Smartphone gekommen, dann die Applikationen, wie Facebook, Instagram oder TikTok, dann die Spiele und letztlich das Metaversum, bei dem man sich in eine virtuelle Welt versetze. Heute würden etwa eine Million Jugendliche täglich fünf Stunden gamen, sagte er. Und Jugendliche verlagerten ihren Schwerpunkt aus der realen Welt in die Welt von Instagram.
Am Ende seines fundierten Vortrages wand sich der Neurowissenschaftler dem Transhumanismus, wie er etwa von David Chalmers vertreten wird, zu. Der Plan dabei sei eine virtuelle Welt mit posthumanen Wesen, bei denen Körper und Geist digital simulierbar sei, zu generieren. Wenn der Geist in einen PC übertragbar sei, dann bedeute dies das Versprechen der Unsterblichkeit.
Transhumanismus: Mensch ist Auslaufmodell
Joachim Bauer betonte in diesem Zusammenhang noch einmal, wie hier Machtstreben und wirtschaftliche Interessen mit den technologischen Entwicklungen einhergehen und sich gegenseitig bedingen.
„Der Transhumanismus sagt, dass die menschliche Spezies überholungsbedürftig und ein Auslaufmodell sei“, sagte der Vortragende. Damit nehme man dem Menschen den Glauben an sich selbst. „Das ist ein Rückschritt hinter die Aufklärung“, konstatierte er, denn damit würde ein neues Jenseits proklamiert, „das ist moderner Ablasshandel oder Digitalfeudalismus“.
Er setzte dem gegenüber: „Jeder Mensch hat eine Würde.“ Und jeder Mensch brauche für seine Entwicklung eine analoge Verbundenheit zu seiner Umgebung und anderen Menschen.
In der lebhaften von Cornelia Engl von der Bücherecke moderierten Diskussion betonte der Vortragende noch einmal, wie nützlich eine saubere KI sei, so verwende die Regierung von Baden-Württemberg KI, um Gesetzesvorlagen zu überprüfen.
Digitalisierung in Schulen falsch
Er informierte auch darüber, dass die Digitalbosse ihre eigenen Kinder auf Waldorfschulen schicken und kritisierte die geforderte Digitalisierung der Schulen. Kinder sollen programmieren lernen und nicht digital kompetent werden. Noch dramatischer formulierte er es für Kleinkinder: „Tablets in Kitas sind Körperverletzung.“
Fazit: Es braucht Eigenverantwortlichkeit, gesetzliche Rahmenbedingungen, Medienkompetenz und vor allem braucht es das gemeinsame Abendessen in der Familie ohne Smartphone.