Gedinge, Dinge und Räume – zum Abschied: Kunst
„Warteschleife“ mit Soundcollage in der Kunstinstallation „Gedinge“ in Hausham. Foto: IW
Ausstellung in Hausham
Hausham verabschiedet sich vom alten Rathaus – mit einer ungewöhnlichen Kunstinstallation. Die Haushamer Künstler Joss Bachhofer und Jochen Strodthoff setzen mit der installativen Ausstellung „Gedinge“ das Gebäude höchst spannend in Szene.
Etwa neunzig Jahre wurde es als Rathaus genutzt, bis es den zeitgemäßen bautechnischen Anforderungen nicht mehr standhielt. Statt Umbau und Sanierung erfolgte vor knapp zwei Monaten der Umzug – und das alte Rathaus stand damit leer. „Wie verabschiedet man sich von solch einem Bau?“, fragte Haushams Rathauschef Jens Zangenfeind bei der Eröffnung der Installation am Donnerstag. Es mit Kunst in Szene zu setzen und ein letztes Mal zum Mittelpunkt des Ortsgeschehens zu machen – sich zum Schluss bei diesem Gebäude auf diese Weise zu bedanken – erwies sich als großartige Idee.
Haushams Erster Bürgermeister Jens Zangenfeind (Mitte) eröffnet die Installation „Gedinge“ gemeinsam mit dem Künstler-Duo Joss Bachhofer und Jochen Strodthoff (v.l.). Foto: IW
Eine derartige Ausstellung sieht man im Landkreis selten. Eher würde man sie in einer Großstadt wie Berlin verorten oder ins Umfeld der dokumenta in Kassel platzieren: Urban, experimentell, erzählerisch, gewagt und – natürlich – gekonnt. Hier treffen auf komplexe, vielschichtige Weise Geschichte und fiktive Geschichten zusammen. Die Ideen zur Umsetzung entstanden anhand der vorhandenen Bausubstanz und der räumlichen Gegebenheiten. Topos ist das ehemalige Amtsgebäude in der Bergbaugemeinde Hausham. Logos der künstlerische und philosophische Umgang mit dem Thema Büro-Behörde-Arbeitswelt und dessen Bedeutung für den Menschen, der sich in diesem Kontext bewegt.
Bildende und darstellende Kunst treffen sich
Installationskünstler Joss Bachhofer ist bekannt für seine außergewöhnlichen „Hybriden Fotografien“ und Schauspieler und Theaterregisseur Jochen Strodthoff präsentiert in diesem Jahr seine „Titanic“ in München, Hamburg und Hausham. Zwei Künstler unterschiedlicher Genres, die gut miteinander können – bereits 2017 realisierten sie eine gemeinsame szenische Installation in Augsburg.
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Joss Bachhofers „Abtauchen“, in blaues Neonlicht getaucht, zu Texten von Hartmut Rosa. Foto: IW
Mit „Gedinge“, einen Begriff aus dem Bergbau zitierend, verwandelten sie nun das alte Rathaus in ein begehbares Kunstobjekt. Den Besuchen präsentieren sich 22 Räume, in denen noch bis vor zwei Monaten das Herz der Verwaltung Haushams schlug. Jetzt ist das Gebäude leergeräumt. Es zeigt sein nacktes Inneres mit Gebrauchspuren, Rissen, Gerüchen und – fast möchte man sagen – Altersflecken, Runzeln und Falten. Das Gebäude bekommt etwas Menschliches. Das Anrührende und Ehrliche dabei ist: hier wurde nichts aufgehübscht und übertüncht, allen anfänglichen Zweifeln zum Trotz, ob man das Gebäude so zeigen könne. Die Räume dürfen sein, was sie sind.
Geschichte und fiktive Geschichten
So rührt die Installation für manche Besucher an etwas sehr Persönliches und zeigt zugleich jedoch ein „fiktives Rathaus“ mit einem „fiktiven Büroalltag“. Wer durch die abgedunkelten Räume mit ihrer blauen, spärlichen Neonröhrenbeleuchtung geht und den Soundinstallationen sorgfältig ausgewählter Texte lauscht, wird selbst quasi zum Teil der Installation. „Wenn ich mir vorstelle, wie ich hier all die vielen Jahre gesessen habe“ hört man den einen oder anderen raunen, oder „hier haben wir geheiratet“. Die „hybriden Fotografien“ von Joss Bachhofer, prosaisch wirkende Szenen aus Fotos und TV-Aufnahmen, wollen näher betrachtet und entschlüsselt werden. Nicht Foto und nicht Malerei, sondern beides zugleich und höchst ästhetisch, wirken sie in ihren zusammengesetzten Texturen so alterslos wie das Gebäude.
„Das Büro“ – Teil der Installation „Gedinge“ . Foto: IW
Was bleibt übrig, wenn die Bürokratie geht? Waschbecken, Spiegel, dahinter eine geflieste Wand. Spuren, die auf dem Boden belegen, wo Jahrzehnte lang Büromöbel standen, wie in der Installation „Das unsichtbare Büro“. In einem Raum, in dem übrig gebliebene Gebrauchsgegenstände aus dem ehemaligen Rathaus zur Installation werden, lässt sich Jochen Strodthoffs Stimme vernehmen: „Die Firmenleitung weiß um den Gemütswert privater Gegenstände am Arbeitsplatz“. Die Textpassagen aus dem „Büroroman“ von Walter E. Richartz aus dem Jahr 1978 sind Teil der Installation „Das Büro“.
Abriss und Idyll
Der Wegweiser, der einst in die verschiedenen Amtsräume wies, führt nun die Besucher zur „Bodenstation“, in die „Warteschleife“ oder zum „Traum des Buchhalters“. Im ehemaligen Sitzungssaal sind die Betrachter mit den Videoinstallationen „Abriss und Idyll“ konfrontiert. Wo sich ehemals das Standesamt befand, darf Ping Pong gespielt werden.
Besucher der Ausstellung entdecken in 22 Räumen immer neue Aspekte und Facetten in Objekten, Bildern, Soundcollagen. Foto: IW
Während die Besucher in der unteren Etage vom Geräusch klappernder Schreibmaschinen und eifrig stempelnder Beamten, von bürokratischen Gesetzestexten oder literarischen Büroszenen begleitet werden, gelingt ihnen „die Flucht“ über die Treppe in die obere Etage. Aus den „Bürowelten“ der leistungsorientierten Gesellschaft gelangt man zu den Träumen der Büroangestellten nach Erholung und Idylle. Der gesamte Parcours gleicht einem Panoptikum. Ist zugleich Persiflage auf den Irrtum, mit immer mehr Technik könnte mehr geleistet werden, während die Menschen auf beiden Seiten des Schreibtisches von der Bürokratie überfordert sind.
Kunst und Kohle
„Kohle“ – Teil der Haushamer Identität, hier in limitierter Auflage mit Blattgold . Foto: IW
Der Name „Gedinge“ erinnert an die Geschichte des Bergbaus in Hausham. Kohle ist auch Bestandteil der Ausstellung. Sie quillt aus dem Tresor der Installation „Haushamer Kohle“, die von Joss Bachhofers Bild „Geld auf der Bank“ ergänzt wird. Wer will, kann ein Stück Kohle kaufen: 120 Briketts, belegt mit 24 Karat Gold, sind in nummerierter und signierter Auflage für nur 12 Euro zu haben.