Malen bis die Landschaft verschwindet
Jürgen Welker in seinem Atelier, links eines der ersten freien Bilder nach seinen erfolgreichen Menschenserien. Foto: Ines Wagner
Offene Ateliertage in Tegernsee
Jahrelang hat Jürgen Welker seine berühmten Figuren gemalt. Und dann haben sie sich plötzlich aufgelöst, ins Nichts, in Farbe, in Fläche. Was tun, wenn die Figuren verschwinden? Aufatmen. Weitermalen. Befreit und frei die Farben fließen lassen.
Betritt man das Atelier, steht man in einer anderen Welt. Lässt die kleine Rosenstrasse hinter sich und betritt das geräumige Reich des Malers Jürgen Welker. Kleckse, Pinsel, Farbeimer, kleinformatige, großformatige Bilder überall. Ein gelbes Mountainbike lehnt zwischen zwei gigantischen Farblandschaften, auch in diesen dominiert das Gelb, leuchtet, verscheucht die dunklen Wolkenberge. Aber Gelb? Nein, eigentlich habe es keine Bedeutung, sagt Jürgen Welker.
Schicht um Schicht malt Jürgen Welker
Die Farben kommen und gehen. Phasenweise. Zum Beispiel die Bilder in Pink. Das sind wahre Farbexplosionen. Das Pink ist so leuchtend, weil er da mit Airbrushfarbe arbeitet, die sehr fein pigmentiert ist und daher diese enorme Leuchtkraft hat. Seine Farben mischt er selbstverständlich selbst. Meist ist die Basis Acrylfarbe, gemischt mit Acrylbinder und Pigmenten. Daraus stellt er feine Lasuren her. Viele der Bilder bestehen aus mehr als dreißig Schichten dieser feinen Lasuren und wirken immer noch leicht und transluzent, manchmal wie mehrfachbelichtete Fotografien.
Blick ins geräumige Atelier. Foto: Ines Wagner
Es gibt Bilder, da strahlt das Weiß mit derartiger Leuchtkraft, dass man nicht glauben möchte, dass sie mehrfach übermalt wurden, und zuerst vielleicht pink waren, sehr bunt jedenfalls. Denn so beginnt Jürgen Welker mit seinen Bildern: in starken Farben. Am Anfang eines jeden Bildes steht auch eine Landschaft, die nach und nach, genau wie die Farben, verschwindet. Besonders, nachdem er sein Leben lang zuvor Menschen gemalt hatte, war das Erkennen der Landschaft in dieser Art abstrakter Malerei für ihn die größte Überraschung.
Kraftvolle Bilder von enormer Tiefe
Die Landschaft gibt ihm gewisse Haltepunkte, Markierungen, bevor sie sich Schicht für Schicht auflöst. Er sagt, durch die vielen Schichten kommt er der Landschaft näher, auch wenn er sie dabei komplett übermalt. Es sind kraftvolle Bilder. Die vielen Lasurenschichten verleihen den Bildern eine enorme Tiefe. Sind weniger Übermalungen vorhanden, wirken die Bilder ruhiger, klarer, weniger komplex, aber deshalb nicht weniger intensiv.
Im Atelier von Jürgen Welker. Foto: Ines Wagner
Das Loslassen der Menschenfiguren, die ihn als Maler so erfolgreich etabliert haben, war ein Prozess, vielleicht sogar ein fast unmerklicher. Aber irgendwann hat er zugelassen, dass sie sich ganz in der Farbe auflösen, in blasser, immer blasser werdender Farbe. Bis die Figuren ganz verschwanden und nur noch Farbe blieb. Dann hat er sich eine Weile ausschließlich den Farben gewidmet. Angefangen mit starkfarbigen, kleinformatigen Bildern und abstrahierten Bootsthemen, um sich dann von den Themen zu befreien und ganz frei zu malen. Unermüdlich hat er gemalt, Bild um Bild. Und sich immer befreiter gefühlt, abgesehen vielleicht von dem Drang, malen zu müssen. Aber malen, das ist für ihn offensichtlich ein Elixier.
Farbwelten widerspiegeln den Schaffensprozess
Es gibt keinen Tag, an dem er nicht malt, keinen Tag, an dem er nicht in seinem Atelier steht von morgens um sieben bis nachts. Aus den kleinen Formaten wurden immer größere, denn die Farbflächen, die Farbwelten, Farblandschaften, Farbexplosionen brauchen Raum. Und Raum hat er. Einen schönen Raum im ehemaligen Gebäude der Druckerei von der Tegernseer Zeitung. Urgemütlich ist es auch, in all dem künstlerischem Chaos, denn irgendwie lebt er ja auch mehr hier als zuhause.
Jürgen Welker – Immer wieder kraftvolles Gelb. Foto: Ines Wagner
„Wenn mir die Sachen zu leicht fallen, dann misstraue ich ihnen“, sagt er. Und zeigt auf die Bilder, die noch nicht so oft übermalt sind. Auf einen Punkt, der ein Mond sein könnte. Er ist sein größter Kritiker. Und ringt mit jedem Bild. Scheinen die Landschaften banal, sind sie noch zu offensichtlich, wird wieder übermalt. So lange, bis das Bild stimmt. So arbeitet er immer an mehreren Bildern gleichzeitig, an manchen malt er ein Jahr. Aber er ist auch nachsichtiger und großzügiger geworden mit den Jahren. Er kann jetzt die Farben auch mal stehen lassen, selbst wenn sie ihm noch zu kräftig sind. Und auch ein Bild kann er so stehen lassen, wenn es ihm fertig dünkt, obwohl es vor seinem kritischen Blick vielleicht noch nicht ganz perfekt ist.
Und vor allem kann er auch leichte, gute, fröhliche Phasen zulassen, es muss nicht alles ernst sein, damit es gut wird. Ja und das Gelb! Irgendetwas scheint doch zu sein mit dem Gelb, überlegt er laut. Ja, es taucht eigentlich immer wieder auf. Und es ist kraftvoll.