Mit Trommelwirbel Mitgefühl trainieren
Ankunft der bayerischen Protagonisten Detlef Dauer, Judith Heimerl und Ingrid Huber im Gutshof Fratres in Niederösterreich. Foto: Petra Kurbjuhn
Thementag in Fratres
Starke, tief ins Innerste zielende Bilder, bewegende Texte, ein hochkarätiger, wissenschaftlicher Vortrag, hinreißende Spielszenen und eine mitreißende Trommelsession – so lässt sich der von KulturVision veranstaltete Thementag „Compassion“ in der Kulturbrücke Fratres im Waldviertel kurz beschreiben. Aber er war viel mehr als das.
Kann man Mitgefühl trainieren?
So lautete der Titel des letzten Thementages des diesjährigen Sommerprogramms im österreichischen Fratres, der an verschiedenen Plätzen des Gutshofs von Gründer Peter Coreth veranstaltet wurde.
Sylvia und Reinhard Puchinger bereiten auf die Ausstellung vor. Foto: Hannes Reisinger
Mitgefühl wurde den Besuchern zunächst anhand der Ausstellung „Wenn einer geht“ der Schlierseer Künstlerin Cornelia Heinzel-Lichtwark eindrücklich vor Augen geführt, meditativ eingeleitet von Sylvia und Reinhard Puchinger an den Trommeln. In ihrem Bilderzyklus hat die Malerin einen sterbenden Freund über mehrere Wochen begleitet und ihn täglich porträtiert. Die 16 in Fratres ausgestellten Bilder zeigen einen berührenden, zutiefst ergreifenden Abschied, der den Betrachter in seinen Bann zieht und ihn mit der Vergänglichkeit konfrontiert.
Ausschnitt aus der Serie „Wenn einer geht“ von Cornelia Heinzel-Lichtwark. Foto: Petra Kurbjuhn
Dazu verlas Monika Ziegler einen bewegenden Text des evangelischen Pfarrers Matthias Striebeck, der seine Teilnahme in Fratres leider kurzfristig absagen musste. „Tod, Sterben, Passion“ beschrieb ein Beerdigungsgespräch, bei dem die Angehörigen völlig überfordert sind. Sie wissen nicht, wie sie sich verhalten und mit dem Geschehenen umgehen sollen. Und er beschreibt das Sterben in früheren Zeiten. Striebeck erzählt von Zeiten, in denen man sich auf den Tod vorbereitete, von der „ars moriendi“ – der Kunst des Sterbens, in der man sich von allen verabschiedete, die einem wichtig waren und betend auf den Tod wartete.
Besucher in der Ausstellung. Foto: Hannes Reisinger
Die Kunst von Heinzel-Lichtwark besteht aus der Sicht Striebecks auch darin, dem Sterbenden mit großem Respekt zu begegnen, mit Abstand und dem rechten Verhältnis von Nähe und Distanz.
Nähe und Distanz
Beides wurde in Fratres beachtet. Nach einer gemütlichen Pause im herrlichen Garten des Innenhofs mit anregenden Gesprächen, erfrischenden Getränken und köstlicher Verpflegung bot der Stadel ausreichend Platz für Vortrag und Spielszenen, die nun auf dem Programm standen.
Genügend Abstand im Stadel. Foto: Hannes Reisinger
Die rund 50 Gäste verfolgten den wissenschaftlichen Vortrag von Monika Ziegler über neue Erkenntnisse der Hirnforschung und das menschliche Sozialverhalten konzentriert und lernten wichtige Details aus der Studie der Neurowissenschaftlerin und Psychologin Tania Singer kennen. Diese ging mit über 300 Probanden ein Jahr lang der Frage nach, wie man Mitgefühl üben kann. In einem interdisziplinären Forschungsprojekt untersuchte sie neuronale, hormonelle und entwicklungsbedingte Grundlagen des menschlichen Verhaltens sowie soziale und moralische Komponenten. Monika Ziegler erklärte in ihrem Vortrag Begriffe wie Mitleid, Altruismus, Empathie oder Mitgefühl und setzte sie zueinander in Beziehung.
Monika Ziegler bei ihrem Vortrag „Kann man Mitgefühl trainieren?“. Foto: Hannes Reisinger
Neben kurzen Achtsamkeitsübungen nach Jon Kabat-Zinn wie „Wir betrachten unseren Zeigefinger“ oder dem „Body Scan“, bei denen wir uns absichtsvoll, aufmerksam, ohne Bewertung und ohne Ablenkung dem gegenwärtigen Moment widmeten, amüsierten wir uns über Cathrin Pauls hinreißend konzipierte „Szenen einer Ehe“.
Detlef Dauer und Judith Heimerl in „Szenen einer Ehe“. Foto: Hannes Reisinger
Detlef Dauer und Judith Heimerl aus Holzkirchen übernahmen sie spontan, da das Schauspielerehepaar Cathrin Paul und Bernd Schmidt leider auch nicht in Fratres dabei sein konnte. Ein Absagemarathon innerhalb kürzester Zeit, der Monika Ziegler als Initiatorin und Verantwortliche des Thementages vor große Probleme stellte.
Ende gut, alles gut. Oder doch nicht? Foto: Petra Kurbjuhn
Aber Ende gut – alles gut. Die beiden Einspringer waren mehr als Ersatz. Ihre Spielszenen unter der Regie von Ingrid Huber ließen uns an so manch bekannter Verhaltensweise in einer Paarbeziehung plastisch teilhaben. „Nie hörst du mir zu!“ „Das habe ich nie gesagt!“ „Immer nur du!“ „Du bist schon genau wie deine Mutter.“ Erheiterung im Publikum. Wer kennt sie nicht, diese Gespräche?
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Gemeinsam achtsam und mit viel Gefühl
Und wir trainierten weiter unser Mitgefühl, wollten Gehörtes und Gesehenes anwenden und verinnerlichen. Gut, dass Sylvia und Reinhard Puchinger aus Wiesmaden im Waldviertel zum Abschluss zu einer sensationellen Trommelsession in das weite Rund des Innenhofes einluden.
Trommelsession im Heckengarten. Foto: Hannes Reisinger
Was könnte ein aufeinander Eingehen, Zuhören und Miteinander besser stärken als eine gemeinsame Trommelstunde? Strahlende Gesichter, leuchtende Augen, wiegende Bewegungen im Rhythmus der unterschiedlichen, von Reinhard Puchinger gebauten Trommeln. Fröhlich, stimmungsvoll und begeistert folgten wir Reinhard und Sylvia und staunten, wie leicht und wie schnell wir zu einem unbeschwerten Gleichklang fanden.
Kulturbrückengründer Peter Coreth im Vordergrund beim Trommeln. Foto: Petra Kurbjuhn