Am Karfreitag das Leid annehmen und Halt finden
Meditation. Foto: Isabella Krobisch
Predigt zum Karfreitag
Zum heutigen Karfreitag hat uns Matthias Striebeck eine Predigt geschenkt, die wir Ihnen in voller Länge, gesprochen von Sebastian Urmel Saurle und in einer pdf-Datei anhängen. Im folgenden Text finden Sie eine komprimierte Fassung.
Wenn sich früher das Osterfest näherte, dann sagte irgendwann in den Vorbereitungen – in meiner Erinnerung meistens mein Vater: Der Karfreitag ist der höchste Feiertag der Protestanten. Eine wirkliche Erklärung gab es – glaube ich – nicht dazu. Zumindest kann ich mich nicht erinnern.
Aber das ist auch nicht unwahrscheinlich. Wie soll man diesen Tag begründen oder beschreiben, an dem niemandem nach Feiern zumute ist. An dem es sogar ein Verbot für all das Brimborium gibt, das die christlichen Feiertage sonst so umgibt.
Unsere Zeit weiß mit dem Karfreitag nichts mehr anzufangen. Man kann an diesem Tag keine Kostüme und keine Schokolade verkaufen. Selbst Karten-, Blumen- oder Kerzenhändler stellen keine Steigerungen fest.
Der Karfreitag entzieht sich
Der Karfreitag entzieht sich den gesellschaftlichen Gepflogenheiten. Wir können laut sein und feiern. Aber wir können anscheinend nicht mehr still werden und „feierlich“ sein. Vielleicht konnten wir das noch nie. Vielleicht war das schon immer nur äußerlich.
Praktisch niemand hat sich je daran gewagt, rund um den Karfreitag irgendwelche Geschichten und Legenden zu erfinden. Selbst bei Ben Hur erinnern sich alle nur an das Wagenrennen, obwohl es doch eigentlich um den Karfreitag geht. Wir sind aber so gestrickt, dass wir diesen Teil immer wieder verdrängen. Niemand wird gerne mit Tod und Sterben konfrontiert.
Meditation. Foto: Isabella Krobisch
Aber genau deshalb verstehen wir das Besondere und das Eigentliche unserer Religion nicht – oder nicht mehr. Denn die eine und große Frage stellen sich alle Menschen überall auf der Welt. Ganz unabhängig von ihrem Weltbild und ihrer Religion: Woher kommt das Leid in der Welt?
Der religiöse, der gläubige Mensch fragt vielleicht gleich hinterher: Wie kann Gott das zulassen? Die Kriege. Die ertrinkenden Flüchtlinge. Die Dürren. Die Depressionen. Die Krankheiten. Vorgestern in dem Film „Oskar und die Dame in rosa“ sagte der krebskranke Titelheld: „Entweder Gott ist gemein – oder eine Niete.“
Es gibt Dinge, die grauenhaft sind
Unsere Religion drückt das Verhältnis zwischen den Menschen und Gott, zwischen den Kindern, dem Sohn und dem Vater immer in familiären Bildern aus. Und wenn es um den Karfreitag geht, dann treibt mich das regelmäßig zur Verzweiflung: ein Vater, der seinen einzigen Sohn opfert. Ein Sohn, der freiwillig in den Tod geht – für die vielen. Und dann sprechen alle auch noch von Liebe und Güte und Gnade. Und von Erlösung. Und in einem solchen Zusammenhang auch noch von Sünde. Kein Wunder, dass uns an dieser Stelle die Psychologen unsere Religion immer wieder um die Ohren hauen. Das ist grauenhaft.
Aber es gibt auf dieser Welt eben Dinge, die grauenhaft sind. Und die lassen sich nicht beschönigen. In einer Ausgabe der „Zeit“ hat das eine Journalistin sehr gut formuliert: “Gott ist nicht tot, weil Philosophen wie Nietzsche das theoretisch hergeleitet haben. Sondern Gott ist tot, weil wir Menschen einander an Kreuze nageln. Weil wir andere in Kriegen bombardieren, in Meeren ertrinken lassen, durch unüberwindbare Grenzen von rettenden Lebensressourcen abschneiden.
Weil wir es zulassen, dass Menschen aus Armut verzweifeln, durch Gleichgültigkeit in Vergessenheit geraten, vor Einsamkeit depressiv werden.
Am Karfreitag hinschauen
Der Karfreitag könnte ein Feiertag sein, an dem wir uns diese brutale Realität der Menschheit ganz ohne verschönerndes Brimborium vor Augen führen. Ein Tag im Jahr, an dem wir kollektiv nicht die Augen vor dem Elend verschließen, sondern es uns ganz bewusst vergegenwärtigen. Ein Tag, an dem wir nichts beschönigen, sondern hinschauen, wie das Blut fließt, auch wenn es uns erschreckt und Angst macht. Nicht, um uns schuldig zu fühlen. Sondern um uns der Wirklichkeit zu stellen. Ein Tag, an dem wir nicht behaupten, schnelle Lösungen zu haben, wenn uns nur mal jemand machen ließe. Sondern ein Tag, an dem wir es aushalten, keine Lösung zu haben.“ Sie sagt dann: „Aushalten, dass Gott tot ist.“
Ich sage dasselbe. Und ich folge ihr auch in der Argumentation. Aber der Schluss, den ich ziehe, ist der genau entgegengesetzte: Von Karfreitag bis Ostersonntag führt uns unsere Religion den Super-GAU vor Augen. Das Was-Wäre-Wenn es keinen Gott gäbe. Wenn ein Kind nach seiner Mutter schreit – und keine Antwort mehr bekommt.
Aber der leidende Mensch, der es geschafft hat, den Glauben an Jesus Christus für sich anzunehmen, der findet gänzlich andere Antworten – und er stellt sich dann rückwirkend auch die Fragen ganz anders.
Meditation. Foto: Isabella Krobisch
Für mich selbst ist das Beispiel dafür immer wieder der Pfarrer und Liederdichter Paul Gerhardt. Das Lied Oh Haupt voll Blut und Wunden ist z.B. von ihm und zählt zum Weltkulturerbe. Dieser Mann hat es geschafft, dass aus den Bekenntnissen der Theologen, die wir in der Liturgie einfach mitsprechen sollen, eine wirkliche Zuversicht erwachsen ist, die bis heute unübertroffen bleibt.
Dieser Mann wusste, wovon er sprach. Lange vor Corona lebte er während des Dreißigjährigen Krieges, in der Zeit der großen Pestepidemien. Er hat große Teile seiner Familie und vor allem vier seiner fünf Kinder beerdigt. Er wusste, was Trauer und Schmerz bedeutet.
Doch er hatte diese wunderbare Fähigkeit, um die wir ihn eigentlich nicht beneiden müssen, weil Gott jedem und jeder von uns diese Fähigkeit ebenfalls anbietet und schenken will … er hatte diese wunderbare Fähigkeit, sich umzudrehen und sich in die Arme eines barmherzigen und gnädigen Gottes zu werfen.
Ohne Gott wäre nichts als Leere
Paul Gerhardt erforscht immer sein eigenes Herz. Und dann singt er von seiner eigenen, persönlichen, seiner tief empfundenen Frömmigkeit. Und wenn wir seine Worte in den Mund nehmen, dann hofft er, dass sie zu unseren Worten werden. Zu unserem Bekenntnis.
Ohne Gott würden wir uns auf der Suche nach Trost umdrehen: Und da wäre nichts als Leere. An einem Karfreitag müssen wir das aushalten. Um zu begreifen, dass wir das nicht aushalten können und wollen. Gott schenkt sich uns. Gott versöhnt sich mit uns. Gott ist in Christus. Und Gott ist in allen seinen Kindern, wenn sie seine Hilfe brauchen, sich umdrehen und Halt suchen.
Amen.
Melanie und Matthias Striebeck bei einer Abschiedsfeier in Neuhaus. Foto: Monika Ziegler
hier gelesen von Sebastian Urmel Saurle
Sebastian Urmel Saurle und Lydia Starkulla bei einer Lesung im Foolstheater Holzkirchen. Foto: Petra Kurbjuhn