Dürfen Kunst und Satire alles?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Foto: Eva Winter, Olaf Gulbransson Museum
Sonntagsmatinee in Tegernsee
Die Frage kann in einem Museum, das sich Karikaturen widmet, durchaus einmal gestellt werden. Dass die Antwort darauf ein klares Jein ist, erörterte kompetent und anschaulich Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der rechtlichen Seite. Und die muss es schließlich wissen.
Die Stühle waren bis auf den letzten Platz besetzt im Olaf Gulbransson Museum, als Sabine Leutheusser-Schnarrenberger nach einer Einführung von Helmut Nanz, Vorstand der Olaf Gulbransson Gesellschaft, vors Mikrofon trat. Der Vortrag der ehemaligen Justizministerin zum Thema „Kunst und Karikatur – ihre moralischen und juristischen Grenzen“ wurde mit Spannung erwartet. So ganz ohne Juristerei ginge es bei diesem Thema nicht, sagte die Politikerin gleich eingangs. Wer daraufhin einen Vortrag in unverständlichem Paragrafen-Deutsch befürchtete, konnte erleichtert aufatmen. Mit anschaulichen Beispielen nahm die ehemalige Bundestagsabgeordnete und ehrenamtliche Verfassungsrichterin in Bayern ihre Zuhörer mit.
Frei oder in Grenzen?
„Die Kunst ist frei“, zitierte sie den einfach und schnörkellos formulierten Artikel 5 des Grundgesetzes. „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern.“ Dass dieses Grundrecht der Kunst– und Meinungsfreiheit zu den unverzichtbaren Grundlagen liberaler Demokratien gehört, ist nicht überall und jedem selbstverständlich. Insbesondere Populisten und Autokraten gingen gern gegen diese Rechte der freien Meinungsäußerung vor. Dass Karikaturen auch als Angriff auf die eigene Religion empfunden werden können, hätten die Mordanschläge auf die Redakteure der Karikaturenzeitung Charlie Hebdo gezeigt. Wann und wo also gerät die Kunst und Satire an ihre Grenzen?
In papan’s Bilderkosmos der aktuellen Ausstellung im Olaf Gulbransson Museum kommt auch die christliche Religion nicht zu kurz. Foto: papan
In Deutschland sind auch diese Grenzen im Grundgesetz definiert, erfuhren die Interessenten. Sie bestünden dort, wo sie mit anderen Gesetzen kollidierten. Zwar sei die Kunstfreiheit ohne Vorbehalte gewährt, allerdings dürfe sie nicht die Grenzen des Zumutbaren überschreiten oder die Persönlichkeitsrechte und Menschenwürde verletzen.
Franz Josef Strauß beleidigt
Eine Karikatur Rainer Hachfelds beispielsweise, die Franz Josef Strauß Anfang der 1980er Jahre als Schwein in Richterrobe in sexuell eindeutiger Pose zeigte, ging durch mehrere Instanzen, bis sie schließlich als „Eingriff in den geschützten Kern der menschlichen Ehre“ geahndet wurde, der „nicht mehr mit künstlerischer Freiheit“ zu erklären war. Die Frage „Satire darf alles, Rainer Hachfeld auch?“ wurde von der Justiz mit Nein beantwortet – der Künstler habe den Tatbestand der Beleidigung erfüllt.
Das Beispiel zeigte deutlich, dass „der Kern der Kunstform Karikatur zwar Entfremdung und Überspitzung ist“, aber nicht zur verächtlichen Schmähung mutieren dürfe. In einem anderen Fall aus der Literatur, dem Roman „Esra“ von Maxim Biller, wurden laut Rechtssprechung Persönlichkeitsrechte und Menschenwürde der ehemaligen Lebensgefährtin des Autors verletzt.
Dunkler oder heller Tag für die Kunst?
Wie schmal ist der Grat, mag sich mancher Zuhörer gefragt haben. Wo hört erzählerische, literarische Freiheit auf und wo gewinnen möglicherweise persönliche Gefühle die Oberhand und werden zur beleidigenden Waffe? Ob das Gerichtsurteil zum Roman nun wegen der Freiheitsbeschneidung ein schwarzer Tag für die Kunst war oder sogar ein ganz heller, wurde jedenfalls selbst in dieser Runde konträr gesehen. Ein im Publikum anwesender Karikaturist warf in der anschließenden Diskussion einen weiteren interessanten Gedanken ein: Ob es nicht primär wichtig sei, zwischen Karikatur und primitiver Provokation zu unterscheiden und ob die Juristen nicht zuweilen Letztere versehentlich sogar zur Kunst erklärten.
Lesetipp: Die aktuelle Ausstellung „papan. Wer keinen Spaß versteht, versteht auch keinen Ernst“
Karikatur spielt gern mit kopulierendem Mensch und Tier – eines von papans augenzwinkernden Gießharzobjekten. Foto: IW
Ob Künstler papan mit dem einen oder anderen Bild die religiösen Gefühle seiner Betrachter touchiert, werden im Nachgang manche Besucher vielleicht kurz hinterfragt haben. Um sich dann schmunzelnd dem nächsten Werk zuzuwenden, in dem beispielsweise ein Nachtfalter eine Dame begattet. Im Gegensatz zu FJS ist sie nicht eindeutig zu erkennen. Obwohl? Könnte das die oftmals von papan zitierte ehemalige Lebensgefährtin, die Karikaturistin Franziska Becker, sein? Wenn ja, dürfte für sie die Kunst frei sein. Doch nein, Frau Becker trägt rotes Haar und lehnt lässig am Tresen. Aber schauen Sie doch selbst einmal nach.