Karl Bär liest „Gift und Wahrheit“
Karl Bär, Bundestagsabgeordneter der Grünen, liest in der Bücherecke. Foto: MZ
Lesung und Vortrag in Holzkirchen
Fünf Jahre lang musste sich der heutige Bundestagsabgeordnete der Grünen Karl Bär mit einer Klage gegen ihn in Südtirol beschäftigen, bis er 2022 freigesprochen wurde. Jetzt las und erzählte er von dem Verfahren in der Bücherecke.
Eigentlich, so eröffnete Karl Bär den Abend, würden Politiker erst im Alter aus ihren Büchern lesen, er aber wolle anhand des Buches von Alexander Schiebel „Gift und Wahrheit“, in dem er mehrfach vorkomme, seine Geschichte erzählen und sie mit den Ereignissen in Südtirol verweben.
Dort hatte in der Gemeinde Mals im Oberen Vinschgau 2014 eine Volksabstimmung gegen den Einsatz von Pestiziden im Obstbau stattgefunden und Alexander Schiebel hatte „Das Wunder von Mals“ geschrieben und einen Film dazu gedreht.
Lesetipp: Das Wunder von Mals
Karl Bär und Kollegen vom Umweltinstitut München hatten zur Unterstützung der Aktion in Mals 2017 ein Fahrradkorso im Vinschgau organisiert, bei dem sie in Schutzanzügen und mit Schildern auf die Gefahr durch Pestizide hinwiesen. Zudem gab es in München am Karlsplatz eine satirische Plakataktion „Pestizidtirol“, sowie eine Webseite vom Umweltinstitut www.pestizidtirol.info, bei beiden wurde der Widerspruch zwischen Werbung für Südtirol und der Pestizidbelastung aufgezeigt.
Anklage in Südtirol
Daraufhin wurden Autor, Verleger Jacob Radloff vom oekom Verlag und die Mitarbeiter vom Umweltinstitut vom damaligen Landeshauptmann Südtirols Arnold Schuler wegen Diffamierung und Karl Bär zusätzlich wegen Markenfälschung angezeigt.
„Unser Ansatz war, die Geschichte vom Dorf Mals, das eine Agrarwende machen will, dafür zu nutzen, dass Nachahmer gefunden werden“, erklärte Karl Bär. Der Tourismus habe dazu als Hebel dienen sollen.
Mals in Südtirol. Foto: Petra Kurbjuhn
Die Plakataktion in München habe ein Riesenpresseecho in Südtirol gefunden und danach hätten sich 1372 Obstbauern der Klage angeschlossen. Er selbst habe die Sache zunächst nicht ernst genommen, als ihm aber der Anwalt erklärte, dass alle Obstbauern ihn auf Schadenersatz verklagen können, habe er doch das Problem erkannt. Dennoch, er sei in der komfortablen Lage gewesen, dass das Umweltinstitut hinter ihm stand.
Anders Alexander Schiebel, der als selbständiger Künstler in ernste Geldsorgen kam. Man habe entschieden, keinen Rückzieher zu machen und auf Konfrontation mit Unterstützung der internationalen Öffentlichkeit sowie internationaler NGOs zu setzen.
Apfelanbau in Südtirol. Foto: Petra Kurbjuhn
Die Solidarität sei groß gewesen, berichtet Karl Bär, 120 NGOs und 88 internationale Zeuginnen und Zeugen, unter ihnen Ärztinnen und Ärzte aus Südtirol waren auf ihrer Seite. Im Herbst 2020 wurde das Verfahren wegen Diffamierung vor dem Gericht in Bozen abgeblasen, aber das Verfahren wegen Markenfälschung gegen ihn blieb erhalten.
Was folgte war, so berichtete der Politiker, eine absurde Gerichtsbarkeit. Ein Kapitel des Buches trägt deshalb auch die Überschrift: Der Rückzug vom Rückzug vom Rückzug. Bei jedem Termin vor Gericht sei etwas passiert, der Höhepunkt sei eingetreten, als ein Anwalt von einer Lawine erfasst worden sei.
Das Wunder von Mals und Gift und Wahrheit von Alexander Schiebel. Foto: MZ
2021 seien von den 1360 Obstbauern mit Ausnahme von einem alle von der Klage zurückgetreten, dieser aber sei nicht zur Verhandlung erschienen, wiederum Vertagung, dann aber habe genau dieser vor Gericht verkündet, er sei von der Landesregierung zur Klage genötigt worden.
„Diese Aussage hat nie jemanden interessiert“, wunderte sich Karl Bär, letztlich aber erfolgte im Juli 2022 der Freispruch. Diese Art von Klage, so erklärte der Politiker, nenne man SLAPP (Strategic Lawsuits against Public Participation) oder strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung.
Rechtsmissbräuchliche Klagen
SLAPPs seien also rechtsmissbräuchliche Klagen, mit denen Kritiker und Kritikerinnen eingeschüchtert werden sollen. So zitierte er auch zum Schluss einen prominenten Politiker, der etwa sagte, er habe ein paar Dollar ausgegeben, um seinen Gegnern das Leben zur Hölle zu machen. Wer wars? Natürlich Donald Trump.
In der angeregten Diskussion ging es vor allem darum, was dieser absurde Prozess gebracht habe. Zum einen, so informierte Karl Bär, habe das Umweltinstitut bei der EU erreicht, dass die EU-Kommission einen Vorschlag für eine EU-Richtlinie gegen SLAPPS vorlegte. Zudem würden die Spritzhefte der Obstbauern ausgewertet, um erstmals der Öffentlichkeit Einblick zu geben, was wieviel gespritzt werde. Etwa ein Drittel der Obstbauern reduziere seit 2017 den Einsatz von Herbiziden, sagte Karl Bär. In jedem Fall aber habe man erreicht, dass die Pestizidspritzung in Südtirol zu einem zentralen politischen Konfliktthema geworden sei.