Geschichtsaufarbeitung gegen Rechtsextremismus
Floko Zibert vom Blyb. lud Katrin Himmler bereits zum zweiten Mal an den Tegernsee ein. Foto: IW
Das Gmunder Hotel Blyb. nimmt die Verantwortung gegenüber seiner Standortgeschichte ernst: Mit einem Vortrag zum Thema „Die Neue Rechte. Rassismus ohne Rassen“ von Politikwissenschaftlerin Katrin Himmler und einem Netzwerktreffen unterschiedlicher Akteure, die sich mit der Aufarbeitung der Zeit des Nationalsozialismus im Oberland beschäftigen, standen jüngst zwei intensive Veranstaltungen auf dem Programm. Und das soll erst der Anfang sein.
Über 250 Interessierte strömten in die Aula der Realschule Tegernseer Tal in Gmund zum Vortrag von Katrin Himmler. Ursprünglich sollte die Politikwissenschaftlerin und Großnichte des SS-Reichsführers im Hotel Blyb. sprechen – aber das überragende Interesse erforderte einen größeren Raum. Die Schule ist für Katrin Himmler kein unbekannter Ort: Sie besuchte neben dem Abendvortrag in vier Tagen sogar vier Schulen im Landkreis: Die Realschulen in Gmund und Miesbach sowie die beiden Gymnasien – eingeladen von Floko Zibert vom Blyb., unterstützt vom Landratsamt.
Tegernsee „kein Idyll fern aller Fronten“
Das heutige Hotel Blyb. sei ein Ort, der verpflichtet, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen. Er sei keineswegs ein „Idyll fernab aller Fronten“ gewesen, so Floko Zibert in seiner Einleitung. Seit der Eröffnung vor einem Jahr hat er Kontakt aufgenommen zu zahlreichen Leuten, die zur Rolle des Tegernseer Tals während des Nationalsozialismus forschten, und so auch Katrin Himmler eingeladen. Ein großes Anliegen ist für ihn – neben der Aufarbeitung der Geschichte – Demokratie-Bildung und Rechtsextremismusprävention, besonders bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Nächstes Jahr, so sein Wunsch, soll das Format auf weitere Schulen im Landkreis ausgeweitet werden. Denn, so formulierte auch Schulleiter Tobias Schreiner bei seiner Begrüßung, „die Linien aus Vergangenheit und Zukunft laufen an den Schulen zusammen“.
Über 250 Gäste kamen zum Vortrag über die „Neue Rechte“. Foto: Corinna Bord
Katrin Himmler sprach in ihrem mit Spannung verfolgtem Vortrag über die Ziele und Strategien der „Neuen Rechten“, veranschaulichte Parallelen zur Zeit des Nationalsozialismus auch anhand der Regionalgeschichte und zeigte schließlich Möglichkeiten auf, wie Politik und Zivilgesellschaft sich gegen den wachsenden Einfluss der Rechten einsetzen können. Ausgehend von der aktuellen Lage, in der rechts motivierte Anschläge, Antisemitismus und Radikalisierung wachsen, machte sie deutlich, dass es sich um ein umfangreiches Netzwerk aus Parteien, Gruppierungen, Denkfabriken, Straßenprotesten, Online-Plattformen und Videoportalen handelt. Neben den führenden Köpfen Götz Kubitschek, Martin Sellner, Björn Höcke und Maximilian Krah gäbe es gefährliche Galionsfiguren wie die junge Influencerin Annie Hunnecke. Als „Poster-Girl“ der Identitären Bewegung präsentiert sich diese ganz im Stil von Hitlers völkisch-idealisiertem Landleben.
Katrin Himmler warnt vor Fake News – das Rechercheteam „Correctiv“ deckt unzählige auf. Repro: IW
Rechtsextremismus habe viele harmlose Gesichter – oftmals sogar versteckt unter dem Deckmantel sozialen Engagements. Mit Bezug auf ihre Familiengeschichte und Heinrich Himmler zeigte sie Parallelen zwischen den „Neuen Rechten“ und Strategien des NS-Regimes. Das Schema sei damals wie heute das Gleiche und ähnele erschreckend der AfD im Bundestag: Verunglimpfung der Demokratie, Verhöhnen anderer Redner, Verachtung politischer Gegner. Dazu Propaganda „an der Basis“ mit dem Ziel der Destabilisierung des Landes und Abschaffung der Demokratie. Katrin Himmler stellte historische Ereignisse im regionalen Kontext dar – mit Blick auf Himmlers Rolle als Reichsführer SS und Innenminister sowie dem Wirken weiterer Nazigrößen im Oberland. Parallel verwies sie auf jüngere Ereignisse, wie jüngst die Wahlparty des AfD-Politikers Maximilian Krah in Holzkirchen oder Aktionen der „Bayerischen Kameradschaft“ in Miesbach vor etwa zehn Jahren.
Betrachte man die Wahlergebnisse der AfD, wäre es naiv zu glauben, die Masse bestünde aus Protestwählern. Vielmehr wären erschreckenderweise immer mehr Menschen einverstanden mit undemokratischen, menschenverachtenden Haltungen. Dabei würden sich die wenigsten im Detail mit den Inhalten der Parteiprogramme – damals der NSDAP, heute der AfD – befassen, sondern nur einige wenige Punkte kennen, mit denen sie sich einverstanden fühlten.
Staat und Zivilgesellschaft gefragt
Zum Abschluss wog die Politikwissenschaftlerin unterschiedliche Möglichkeiten des Staates gegen das Erstarken des Rechtsextremismus ab, wie den 13-Punkte-Plan, das Demokratiefördergesetz oder mögliche Parteiverbote. Sie betonte jedoch, dass es vor allem auf den Zusammenhalt aller Demokraten ankommt und wichtig sei, rechtsextremen Aussagen zu widersprechen, Solidarität mit Opfern zu zeigen und die eigene Medienkompetenz zu stärken.
In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum wurde noch einmal die Rolle der Bildung deutlich – an den Schulen und in der Erwachsenenbildung. Bildung bedeute, so der ehemalige Leiter der vhs Oberland Thomas Mandl, sich selbst und alle Informationen immer kritisch zu hinterfragen. Auch Empathie-Bildung gehöre dazu, denn Menschenverachtung entstünde aus Mangel an Empathie. Floko Zibert wies zum Abschluss darauf hin, dass jeder täglich entscheiden könne, wie er über sein Land spricht und jeder seinen Beitrag zu einem demokratischen Deutschland leisten könne. Seine Hausaufgabe an sich selbst: Das von ChatGPT zusammengefasste Wahlprogramm der AfD zu lesen.
Netzwerktreffen im Blyb.
Als Floko Zibert und sein Team damit begannen, die Geschichte des ehemaligen Himmler-Anwesens und damit die Geschichte des Tegernseer Tals während der NS-Zeit zu erforschen, wurde deutlich, wie viele Menschen und Gruppen sich bereits dem Thema widmen. Um dieses „Inselwissen“ zu bündeln, lud das Blyb. zum Netzwerktreffen ein. Etwa 30 unterschiedliche Akteure folgten der Einladung, um sich kennenzulernen und auszutauschen. „Inselwissen ist nicht hilfreich, wenn es darum geht, ein Momentum zu generieren“, so Floko Zibert.
Unterschiedliche Akteure – von Einzelpersonen bis Projektgruppen – kamen zum Netzwerken. Foto: IW
Darunter waren Historikerin Susanne Meinl und Literaturwissenschaftlerin Ingvild Richardsen, die beide zahlreiche Bücher zum Thema Nationalsozialismus beziehungsweise jüdisches Erbe im Oberland und Tegernseer Tal veröffentlichten, Lisa Hilbich von der Geschichtswerkstatt Miesbach und Wolfgang Foit vom katholischen Bildungswerk. Jugendliche aus dem selbstverwalteten Jugendzentrum Haindlkeller in Miesbach berichteten davon, wie sie den Auftritt von AfD-Politiker Maximilian Krah in Miesbach verhinderten. Bildungsvertreter aus Schulen, vhs und LMU berichteten über ihre Projekte der zeitgeschichtlichen Aufklärung und Demokratie-Bildung. Auch die Tegernseer Heimatführer bereiten das Thema auf, es gibt bereits eine Tegernseer LiteraTour zur Schriftstellerin Grete Weil. Stefan Burger berichtete von seiner Arbeit bei der KZ-Gedenkstätte Dachau und Sonja Still von der Aufarbeitung der Zeit innerhalb des Olaf Gulbransson Museums – um nur einige zu nennen.
Die Reaktionen der Beteiligten waren einhellig begeistert: „Endlich kümmert sich mal jemand.“ Wo Vielfalt, Demokratie und Toleranz gefährdet sind, brauche es ein starkes Netzwerk, um dagegenzuwirken. „Das Blyb. ist ein guter Ankerpunkt, um die unterschiedlichen Projekte zu bündeln“, … ein „Gamechanger“ im Tegernseer Tal für das Thema. Auch Katrin Himmler war beim Treffen dabei. Ursprünglich habe sie niemals einen Fuß in das Haus ihres Großonkels setzen wollen, „aber wie ihr das hier macht, ist beeindruckend.“
Das Netzwerktreffen fand im „Backhaus“ des Blyb. statt. Foto: IW
Floko Zibert berichtete, dass bei der Frage, wie sie das Thema Geschichte im Blyb. kommunizieren wollten, die Antwort schnell klar gewesen sei: sich mit seinem jungen Team an diesem extrem schwierigen Ort der Vergangenheit stellen. Und das Gedankengut Richtung Offenheit streuen, einen Ort der Begegnung, Vielfalt und Inspiration schaffen „für eine bunte, plurale, tolerante, coole, kluge Gesellschaft“. Es solle aber keinesfalls ein „Erinnerungsort“ sein. Gemeinsam wurde die Frage diskutiert, wie man Rechtsextremismusprävention in die Gesellschaft und in die neue Generation bekommt und wie man mit gesellschaftswirksamen Formaten neue Räume eröffnen kann.
Was nehmen die Akteure mit?
Einig waren sich alle: Ein Lernen aus Negativbeispielen funktioniert nicht (mehr) so gut, besser sei es, Demokratie positiv darzustellen. Der Schlüssel zur Aufarbeitung der Zeit ist die Regionalgeschichte. „Grabe, wo du stehst“, so Wolfgang Foit. Es sei wichtig, am Tegernsee etwas über die Tegernseer Geschichte zu erzählen, um das Interesse der Menschen zu wecken. Dazu sei eine „gelebte Geschichtsaufarbeitung“ wichtig – sowohl von Historikern – etwa mit einem von außen finanzierten wissenschaftlichen Forschungsauftrag – als auch von Privatpersonen aus der Bevölkerung. Wichtig ist, dass beides parallel erfolgt – Geschichtsforschung und Aufarbeitung sowie wirksame Demokratie-Bildung. Weitere Treffen sind geplant.
Weiterlesen: Die Tegernseer Heimatführer am Dokumentationszentrum Obersalzberg