Kerstin Brandes: Grenzgänger in Schliersee
Geduld mit dem Ungelösten im Herzen haben und die Fragen selbst lieb zu haben, riet Rilke in seinem berühmten Brief an einen jungen Dichter. Dieser Aufforderung scheint Kerstin Brandes aus Miesbach nachgekommen zu sein. Kennt man von der Malerin bisher zumeist sauber gemalte Landschaften, präsentiert sie sich jetzt völlig neu und provokativ.
Auf billigem braunen Packpapier skizziert sie weibliche Akte nach Modell. Klassisch schön im Gestus oder aufgelöst in der Form, der zeitliche Prozess ist abzulesen. Dann aber baut die Malerin „Störfaktoren“, wie sie selbst sagt, ein. Sie will bewusst ihren eigenen artigen Malprozess stören, um ihr sicheres Terrain zu verlassen. Dazu muss sie sich zwingen. Aber der Wunsch war unbewusst da. Fragen stellen, ohne die Antworten zu kennen.
Es entstehen wilde farbige Flächen, die mit den Akten einen Raum bilden. Dabei bilden sich Landschaften heraus oder häusliche Umgebungen, mit denen die Akte in Wechselwirkung treten. Es ist eine fragende Beziehung, eine unsichere, eine, die nicht die absolute Wahrheit hat, sondern zulässt, auch zu irren. Tiefgründiges Wahrnehmen und Aufnehmen provoziert damit die Künstlerin beim Betrachter, der sich selbst Fragen stellt.
In den kleinformatigen Studien hat die Künstlerin mit Schraffierungen begonnen, einen Raum zu erzeugen, aus dem sich der Akt heraushebt, aber nicht vordergründig, auch hier die Korrespondenz von Mensch und Umgebung.
In einigen Arbeiten lässt Kerstin Brandes das Unbewusste ganz zum Tragen kommen. Bei der sogenannten Sudeltechnik wird mit geschlossenen Augen beidhändig nichts wollend auf das Papier gekritzelt. Und danach kommt die gewollte Störaktion. Aus dem Vorhandenen heraus gestaltet die Malerin mit schnellen Strichen einen Akt. Unbewusstes und Bewusstes verbinden sich.
Kerstin Brandes lässt ihre Figuren in die Welt hinein, ebenso auf unsicheres Terrain, wie sie es selbst mit ihren neuen Arbeiten betritt. Ihr Lehrer Stefan Heide aus München stellt einen Bezug zur Vita der Künstlerin her und verweist auf das Bild der Einladung. Hier steht eine bekleidete Frau, die auf die Modedesignerin Kerstin Brandes hindeutet. Sie schaut in ihre Vergangenheit. Dort hat sie ein perfektes Handwerk verrichtet und sich eingerichtet in ihrem Kokon. Sich selbst Grenzen gesetzt. Diese aber verließ sie jetzt, wie der Schmetterling. Und aus der Metamorphose, aus dem Aufbruch stellt sie sich die wichtigen Fragen: Wo komme ich her, wo gehe ich hin, wer bin ich?
Auf ihrem Weg hat sich Kerstin Brandes einen bedeutenden Begleiter gewählt. Ihre Studien haben oft französische Titel. Und eine Besucherin erkannte sofort: Diese Zeichnungen erinnert an Rodin. Und Kerstin Brandes nickt. Das auffallendste Bild der Ausstellung in kräftigem Rot zeigt eine sich tief verneigende Person: Hommage.